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Kultur: Christian von Ditfurths historisches Gedankenspiel rekonstruiert die sozialistische Wiedervereinigung

Im nächsten Jahr feiert die vereinigte Demokratische Republik Deutschland (DRD). Ihren zehnten Gründungstag.

Im nächsten Jahr feiert die vereinigte Demokratische Republik Deutschland (DRD). Ihren zehnten Gründungstag. Die schrittweise Angleichung der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik an den DDR-Sozialismus ist vollzogen. Borussia Dortmund heißt jetzt Vorwärts Dortmund, Daimler-Benz und BMW sind zum "VEB Autobau Süd" verschmolzen. Während Helmut Kohl, der sich von Hannelore getrennt und seine Vertraute Juliane Weber geheiratet hat, ein ruhiges Pensionärs-Dasein am Wolfgangsee führt, zanken sich unverbesserliche Widerständler wie Heiner Geissler, Joschka Fischer, Peter Glotz, Volker Rühe, Helmut Schmidt und Gerhard Löwenthal im Züricher Exil darüber, ob Linke oder Rechte die größere Schuld am Untergang der zweiten deutschen Demokratie tragen.

Wie bitte? Ganz recht, von alldem ist natürlich kein Wort wahr. Es hätte aber durchaus so kommen können, meint der Historiker Christian von Ditfurth, und er hat sich deshalb ein weltpolitisches Szenario ausgemalt, das es möglich gemacht hätte: 1988 stürzt Gorbatschow, die neostalinistische Führung der Sowjetunion verstärkt den militärischen Druck auf den Westen und verlangt eine Neuordnung Europas. Die Westmächte geben Deutschland preis; im Gegenzug lässt die Sowjetunion Kuba fallen und sichert zu, auf weitere Einmischung in der westlichen Hemisphäre zu verzichten. Jetzt beginnt die schrittweise Gleichschaltung der bundesdeutschen Gesellschaft unter Regie der SED und ihres neuen, flexibleren Generalsekretärs Egon Krenz. Bündnispartner, die der "friedliebenden" totalitären Macht und ihrer nationalistischen Rhetorik immer mehr positive Züge abgewinnen können, finden die Kommunisten zuhauf: in allen Parteien (nur die Grünen werden verboten), in Kirchen und Gewerkschaften, aber auch in den Chefetagen von "Zeit", "Spiegel", "FAZ" und "Bild".

Alles läuft im Prinzip genauso ab wie einst in der "antifaschistisch-demokratischen" Frühphase der SBZ der Jahre 1945-48, die zur Gründung der DDR führte. Und eben das macht diese History Fiction, trotz ihrer pfiffig-provokanten Ausgangsidee, zu einem eher zähen Lesegenuss. Eine depremierende Geschichte, deren Verlauf und Ausgang man genau kennt, wird nicht dadurch aufregender, dass man sie einfach in eine andere Zeit verlegt und die Protagonisten auswechselt.

Während Ditfurth im Wesentlichen die Mechanismen kommunistischer Machtübernahme nachzeichnet, wie sie in Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg gegriffen haben, muten die fiktionalen Details seiner Erzählung zuweilen verstiegen an. Warum wird ausgerechnet Karsten D. Voigt, im richtigen Leben einer der strammsten Atlantiker in den Reihen der SPD, zum Chefkollaborateur der Sozialdemokratie und schließlich zum Ministerpräsident des "DRD"-Regimes - warum also muss ausgerechnet er den Part Grotewohls übernehmen, während sich zum Beispiel Egon Bahr nach längerem Zögern fürs Exil entschließt?

Scheint hier schlicht dichterische Willkür zu walten, wirkt etwa die Charakterisierung des ehemaligen "Zeit"-Chefredakteurs Theo Sommer als Schönschreiber der Diktatur wie eine indirekte Polemik gegen dessen Haltung zum Kriegsrecht in Polen 1981 - Sommer hatte damals Jaruszelski um des lieben Friedens in Europa Willen Erfolg gewünscht. Reicht das aber zum Verdacht, er wäre im Ernstfall östlicher Machtergreifung ein Quisling geworden? Und kann man sich Ex-"Bild"-Chef Peter Boenisch, nur weil er für manchen Geschmack allzu aalglatt wirkt, wirklich als Informationsminister eines gesamtdeutsch erweiterten SED-Regimes vorstellen? Der Versuch, real existierende Biografien in eine fiktionale Wirklichkeit hinein zu verlängern, stört hier die konkrete Fantasie eher, als dass sie beflügelt wird.

Viele Ostdeutsche hadern mehr denn je mit der deutschen Vereinigung, in der sie einen Akt der "Kolonisierung" durch den Westen sehen. Und mancher westdeutsche Politiker oder Intellektuelle beteuert sehr gerne, für solche Klagen größtes Verständnis zu haben. Da ist es nützlich, sich vorzustellen, was uns denn geblüht hätte, wäre es umgekehrt gekommen. Man kommt dabei ins Grübeln, wie tragfähig die Oberfläche demokratischer Zivilisation und wie verlässlich das Freiheitsbewußtsein unseres politisch-publizistischen Establishment tatsächlich ist.

Dennoch wirkt Ditfurths Gedankenspiel seltsam leblos. Der Demokratie drohen eben längst andere, weniger offensichtliche Gefahren. Was ist zum Beispiel von den aufgelösten diktatorischen Strukturen unerkannt in unser reales politisch-gesellschaftliches Leben eingeflossen? Darüber ließen sich Spekulationen anstellen, die mehr hervorrufen könnten als ein wohlig-amüsantes Gruseln über das, was uns erspart blieb.Christian von Ditfurth: Die Mauer steht am Rhein. Deutschland nach dem Sieg des Sozialismus. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999. 256 Seiten. 36 DM.

Richard Herzinger

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