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Christo Vladimirov Javacheff und seine Frau Jeanne-Claude blockierten zusammen Pariser Straßen mit Ölfässern und verhüllten den deutschen Reichstag.

© Justin Lane/dpa

Christo Vladimirov Javacheff: Der Künstler, den die eigene Popularität bisweilen stört

Seine Projekte ließen die Welt staunen: verhüllter Reichstag, Ölfasser in Paris und pinke Textilinseln vor Florida. Heute feiert der Künstler Christo Vladimirov Javacheff seinen 80. Geburtstag.

Als Christo im vergangenen Herbst einmal wieder in Deutschland war, hat er seinen Textilproduzenten besucht, der seit 1983 die Stoffe für alle seine Projekte liefert. Beim Interview entschuldigt er sich für seinen Knoblauchatem: Anweisung von Jeanne-Claude. Täglich Joghurt und Knoblauch zum Frühstück halte ihn jung. Nach ihrem Tod 2009 kam es ihm nicht in den Sinn, etwas daran zu ändern. In dieser Szene ist viel Christo enthalten: Das symbiotische Verhältnis zu seiner Frau, die am gleichen Tag wie er, dem 13. Juni 1935, geboren wurde und der unerschütterliche Glaube daran, dass eine tägliche Zumutung am Ende einen großen Nutzen bringen kann.

Anfangs passen seine Werke noch in Galerien

Als Kunststudent in Bulgarien ist Christo Vladimirov Javacheff gekitzelt durch die Zweiteilung der Welt im Kalten Krieg. Er flüchtet 1957 in den Westen, lernt in Paris eine durchsetzungsstarke Generalstochter kennen, die nie mehr von seiner Seite weichen wird: Jeanne-Claude. Ihre bald auch gemeinsamen Projekte werden immer größer. Passen Christos verhüllte Gegenstände anfangs noch in Galerien, blockiert er 1962 in Paris eine Straße meterhoch mit Ölfässern: seine Version des Eisernen Vorhangs. Er verpasst der Pont Neuf einen Faltenwurf und lässt 1983 Inseln vor Florida von pinkem Textil umtreiben. Er verteilt gelbe Sonnenschirme („Umbrellas“) an der Küste Kaliforniens, blaue an der Küste Japans. Diese Kunst ist mit Abstand die beste: Sie braucht Distanz für die Wirkung ihrer Aura.

Er redet mit „japanischen Reisbauern, Cowboys und Scheichs in Abu Dhabi“

Und der Künstler hält Distanz zum Kunstbetrieb: Er will mit „japanischen Reisbauern, Cowboys und Scheichs in Abu Dhabi“ reden. Sie sind ihm lieber als die Galeristen, Direktoren und Kuratoren des eingefahrenen Betriebs. Der stört sich daran, dass seine Projekt so populär wurden. Seine Kunst sei nur Spektakel, seine Besucher nur „Fans“ – wo bliebe da der kritische Kunstgenuss? Aber Christo hält sich zugute, dass er Leute anspricht, die sonst in kein Museum gehen. Er zwingt Politiker, die er ja ebenfalls zu den kunstfernen Schichten zählt, sich eine Haltung zu seinen Ideen abzuringen. Im Falle des verhüllten Reichstages musste das Parlament abstimmen, nach 24 Jahren Diskussion. Das sei Teil des Werks: wie es Jahre vor seiner Realisierung in den Köpfen der Politiker Gestalt annimmt. Seine Kunst, glaubt Christo, mache keinen Kommentar zur Politik, sie verändere einen realen Teil der Welt. Das sei der Unterschied zu Künstlern, die Politik „nur illustrieren“.

Der Künstler kommentiert vom Rande der Welt, nicht so Christo

Das ist natürlich frech. Man hat dem Künstler ja eine andere Rolle zugedacht: Er kommentiert vom Rande aus die Welt. Er hat an ihr nicht wirklich teil. Es ist, als könne die Welt einen Künstler, der selber anderen die Regeln diktiert, nur schwer aushalten. Christo wollte mit Jeanne-Claude ja immer bestimmen, wer welche Fotos drucken durfte. Internationale Kanzleien verteidigen die Bildrechte an den Kunstwerken. Der Künstler beharrt sogar auf der Wortwahl, man spreche bitte von „verhüllen“, keinesfalls von „verpacken“. Redaktionen sprechen von Kontrollwahn. Aber aus Christos Munde klingt alles ganz notwendig. Das, was nach außen „kommerziell“ aussieht, garantiert nach innen Unabhängigkeit. So ist er nicht darauf angewiesen, dass vor seinem Kunstwerk die Fahne eines Sponsors weht. Dazu gründete er vor vielen Jahren eine Firma, die sich durch Verkäufe seiner Kunst finanziert und projektweise andere Firmen ausgründet – etwa die Verhüllter Reichstag GmbH. 2006 rief die Harvard Business School an: Ob sie sein einzigartiges Finanzierungsmodell in ihre Fallstudiensammlung aufnehmen könne? In 50 Jahren sei nie eine Rechnung offen geblieben, sagt Christo stolz.

Kritiker standen um Stoffschnipsel an

Und 1995 in Berlin? Obwohl alles über 24 Jahre geplant war, waren die Leute von der Wirkung des silbernen Gletschers wie überrumpelt. Erhaben thronte der Reichstag in Berlin, davor lagerte die Welt zu einem zweiwöchigen Picknick. Ehemalige Kritiker standen um Stoffschnipsel an. Wie konnte etwas, das mit an Verbissenheit grenzender Hartnäckigkeit geplant worden war, plötzlich so frei und leicht aussehen? Wie konnte so viel Beharren in etwas derartig Gelöstes münden? Christo und Jeanne-Claude hatten ihre poetischen Ideen mit großer Penetranz in die Welt gebracht und die Poesie hat das überlebt. Das ist das eigentliche Wunder.

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