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CITY Lights: Friede dem Palatsi!

Ein schwerer Schiffsrumpf, knirschendes Eis ..

Ein schwerer Schiffsrumpf, knirschendes Eis ... keine Angst, hier geht es nicht um das soeben zum Jubiläum erneut medial ausführlich ausgeleuchtete Katastrophenschiff, sondern um den finnischen Eisbrecher „Tarmo“. Irgendwann zu Beginn des aktuellen, auch schon ein bisschen in die Jahre gekommenen Jahrhunderts bricht er sich mit bulliger Kraft die Bahn durch splitternde Eismassen. Drumherum Spaziergänger und Schaulustige, sogar ein Motorrad tuckert zwischen Kamera und nahendem Schiffsbug vorbei. Berliner Behörden würden so etwas nie erlauben. Die Bewohner Helsinkis bleiben dagegen cool, schließlich gehört ihre Stadt zu den kältesten Großstädten der Erde.

Den meisten Deutschen dürften Helsinkis raue Romantik vor allem in der melodramatischen Verzerrung durch Aki Kaurismäki vertraut sein. Doch es gibt auch noch einen anderen – bei uns bisher weitgehend unbekannten – finnischen Filmemacher, der sein Land seit Jahrzehnten mit historischer Forschungslust und Kamera begleitet. Peter von Bagh ist Autor, Dokumentarist, Filmessayist und einer der ganz großen Kino-Enthusiasten Europas, der die Attraktionen ungezählter bedeutender und obskurer Werke nicht nur finnischer Filmkunst in seinem Bildgedächtnis sammelt. „Eine Legende der Old-School-Cinephilie“ nannte ihn Kollege Olaf Möller im Katalog zum Filmfest Rotterdam, wo Bagh dieses Jahr geehrt wurde. Von dieser Cinephilie profitiert auch Helsinki, forever (2009), Baghs ebenso opulente wie feingliedrige Hommage an seine Heimatstadt – eine bunte Filmcollage aus Filmschnipseln, Tondokumenten, Fotografien, Gemälden und Musiknummern, die ganz ohne die vertrauten Ordnungsmittel wundersam zu einem organischen Ganzen wächst. Ein ebenso informatives wie betörendes Unternehmen: Heute abend – zum 100. Jahrestag der Hauptstadtwerdung Helsinkis – kann man Baghs Stadt-Hommage im Finnland-Institut kennenlernen.

Nicht nur der Kinopalatsi am Esplanade-Boulevard von Helsinki wurde 1965 abgerissen, auch anderswo müssen immer wieder ganze Stadtteile gigantischen Modernisierungsprojekten weichen. Istanbul, ebenso wasserreich wie die Stadt am finnischen Meerbusen und um einiges reicher an Geschichte und Romantik, taumelt gerade in einen ähnlichen Strudel von Umbrüchen, wie Imre Azem in Ekümenopolis mit kritischem Blick zeigt. Der Dokumentarfilm wird Mittwoch im Rahmen eines IstanbulSchwerpunktes auf der Türkischen Filmwoche gezeigt.

Dieses Festival feiert auch schon seinen 10. Geburtstag und wagt mit dem Umzug ins Colosseum an der Schönhauser Allee den Wechsel von Kreuzberg in die an türkischen Kultureinflüssen arme Diaspora im einstigen Ostteil der Stadt, wo derzeit die erste Zuzüglergeneration aus dem einstigen Westdeutschland und aus Westeuropa das migrantische Feld beherrscht. Eröffnet wird das Festival heute abend mit Caner Alpers Zenne – Dancer (auch Sonnabend und Sonntag): Das Drama orientiert sich an der Geschichte des 2008 von Familienmitgliedern ermordeten Homosexuellen Ahmet Yildiz. Beim Filmfest in Antalya wurde der in der Türkei wegen seiner Thematik hoch umstrittene Film letztes Jahr mit fünf Goldenen Orangen ausgezeichnet. Widersprüche beleben: Der Schönhauser kann ein bisschen Türkei nur guttun. Und vielleicht finden ja auch ein paar Weddinger Kids den Weg in den Prenzlauer Berg.

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