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CITY Lights: Genies des Weglassens

Letzte Woche erst wurde an dieser Stelle eine Buchneuerscheinung vorgestellt. Und auch diesmal beginnen die City Lights literarisch, mit einem am Samstag im Arsenal präsentierten Band über die Rolle der „Imagination des Zuschauers“ im Kino, der aus einer Tagung im Jahre 2010 entstand.

Letzte Woche erst wurde an dieser Stelle eine Buchneuerscheinung vorgestellt. Und auch diesmal beginnen die City Lights literarisch, mit einem am Samstag im Arsenal präsentierten Band über die Rolle der „Imagination des Zuschauers“ im Kino, der aus einer Tagung im Jahre 2010 entstand. Auslassen Andeuten Auffüllen lautet der Titel, es geht um das Konzept ästhetischer Reduktion. Trotz des etwas akademischen Tons ist das Buch auch für bloße Filmliebhaber mit Gewinn zu lesen. Hingewiesen sie insbesondere auf den einführenden Beitrag von Julian Hanich, der Tagesspiegel-Lesern durch seine Kritiken vertraut sein dürfte und der seit August an der Universität von Groningen lehrt.

Zur Präsentation wird er ebenso wie die Autoren Christine Noll Brinckmann und Britta Hartmann anwesend sein. Und dann gibt es einen Film, der das Postulat des Auslassens zum Extrem treibt. In Derek Jarmans Blue (1993) ist ganze 74 Minuten nichts als die Farbe Blau auf der Leinwand zu sehen. Zu hören ist dafür eine ganze Menge – ein perfektes Studienobjekt für Selbstexperimente.

Um die Imagination des Zuschauers und die Macht der Montage geht es auch bei dem sogenannten Kuleschow-Effekt. Danach nimmt ein Filmgucker in einem Gesicht völlig unterschiedliche Emotionen wahr – abhängig von dem, was in der vorherigen Einstellung gezeigt wurde. Lew Kuleschow war Leiter der Filmschule in Moskau und als Regisseur Pionier sowjetischen Filmschaffens. Am erfolgreichsten war sein Drama Po Sakonu/ Nach dem Gesetz, das 1925 nach einer Erzählung von Jack London entstand und jetzt in einer vom österreichischen Filmmuseum restaurierten Kopie ins Berliner Arsenal kommt (Freitag mit elektronischer Live-Musik von Franz Reisecker). Der Film ist Western und Kammerspiel zugleich: ein moralisches, spirituelles und höchst körperliches Drama in und um eine einsame Hütte, in der ein Goldgräberpaar einen Mörder bewacht, während drumherum die Elemente toben – gefilmt ganz entgegen Kuleschows Theorie mit expressionistischer Ausdruckswucht und einer Lichtführung, die man nur sensationell nennen kann.

Thematisch passt Wolfgang Staudtes Komödie Ganovenehre zu Kuleschows Geniestück, auch manche Schnitte und Kamerapositionen wirken in dem 1966 gedrehten Kriminallustspiel aus dem Berliner Ludenmilieu durchaus ambitioniert. Dabei darf neben Karin Baal, Helen Vita und dem göttlichen Gert Fröbe auch ein jugendlicher Mario Adorf chargieren. Eine echte Lachnummer. Doch nicht nur deswegen ist das in Artur Brauners CCC-Studio entstandene und Sonntag und Montag im Bundesplatz-Kino gezeigte Stück ein aufschlussreiches Beispiel deutscher Filmgeschichte.

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