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CITY Lights: Handschlag für alle

Der deutsche Tonfilm bis 1945 ist zweifellos eine umfangreiche Retro wert. Aber dass man damit über 30 Jahre lang Zuschauer locken kann, dürften selbst die Betreiber der Eva-Lichtspiele nicht erwartet haben.

Der deutsche Tonfilm bis 1945 ist zweifellos eine umfangreiche Retro wert. Aber dass man damit über 30 Jahre lang Zuschauer locken kann, dürften selbst die Betreiber der Eva-Lichtspiele nicht erwartet haben. Der alte deutsche Film am Mittwochnachmittag verleiht dem kleinen Kino in der Blissestraße sein unverwechselbares Profil. Vom Stammpublikum hieß es, es wolle bloß seine Jugenderinnerungen auffrischen – doch mittlerweile sind auch die alten Besucher jünger als die Filme, also muss sie etwas anderes reizen. Vielleicht ist es Martin Erlenmaier, der vor jedem Film kurz den Kontext erläutert und nachher jeden Zuschauer einzeln verabschiedet? Der 100. Geburtstag des Kinos wird am Sonnabend gefeiert, da läuft um 16 Uhr der Crossdress-Klassiker Viktor und Viktoria (1933), gefolgt von Live-Acts draußen im Park, und der Eintritt ist frei.

Vor 110 Jahren wurden Theo Lingen und Willi Forst geboren. Beider Papiere galten in der NS-Zeit als „in Ordnung“, sie hatten keine jüdischen Vorfahren, dennoch bekamen sie den Antisemitismus des Regimes zu spüren. Lingen sah angeblich jüdisch aus, daher durfte sein Kopf nicht auf Plakaten erscheinen. Auch der dandyhafte Forst war Goebbels suspekt. Doch im Krieg wurde musikalische Unterhaltung unentbehrlich, und Forst war ihr Meister. In seinem Wiener Blut (1942) stichelte er gegen humorlose Preußen, die keinen Walzer tanzen können (Sonntag im Bundesplatz). Theo Lingen glänzt darin als blasierter Kammerdiener.

Bereits 1929 entstand der halb dokumentarische Hunger in Waldenburg über das Elend im schlesischen Kohlerevier. Die Zensur kürzte Piel Jutzis Film derart, dass nur ein 36-Minuten-Torso blieb (Freitag im Arsenal). Verboten war es auszusprechen, dass ein Arbeiter nur vier Mark pro Tag verdiente und der Besitzer von Schloss Waldenburg rund 100 Millionen Mark besaß. Zwischentitel mit dem Wort „Blutsauger“ mussten entfernt werden. Erhalten dagegen blieb die sexuelle Denunziation einer jungen Witwe, die aus Geldnot mit einem Arbeiter zusammenzieht. Und die ausgemergelten Gesichter der Waldenburger sprechen für sich. Ein beschämender Film in mehrfacher Hinsicht. Eine aktuelle Parallele hat er in den reißerischen Sozialreportagen im Privatfernsehen, die den Opfern von Armut selbst die Schuld geben, indem sie ihre schlechten Manieren bloßstellen.

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