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CITY Lights: Mein Bett ist dein Bett

Die besten Filme über die Arbeiterklasse kommen aus Großbritannien. Zunächst als „kitchen sink dramas“, also Spülbecken-Dramen, belächelt, erweisen sich britische Sozialstudien als so krisenfest wie die Abenteuer von James Bond.

Die besten Filme über die Arbeiterklasse kommen aus Großbritannien. Zunächst als „kitchen sink dramas“, also Spülbecken-Dramen, belächelt, erweisen sich britische Sozialstudien als so krisenfest wie die Abenteuer von James Bond. Warum hat Deutschland keine vergleichbare Tradition? Zunächst ließen die Nazis keine Filme über soziales Elend zu, doch auch nach 1945 sah es nicht besser aus: In der DDR durfte es nur glückliche Arbeiter geben, in der frühen Bundesrepublik stand die Unterschicht unter Kommunismusverdacht und die Arbeiterfilme der sozialliberalen Ära krankten an ihrem didaktischen Ansatz. So bleibt Phil Jutzis Mutter Krausens Fahrt ins Glück neben „Kuhle Wampe“ der Klassiker des proletarischen deutschen Kinos (Sonnabend im Krokodil). Er entstand 1929 nach Heinrich Zilles Tod und setzte dessen „Milljöh“-Zeichnungen fürs Kino um. Beeindruckend ist die undeutsche Leichtigkeit, mit der Elend, Prostitution, Kriminalität und Klassenkampf thematisiert werden.

Selbst Ufa-Filme mit Starbesetzung und Gesangseinlagen stellten sich der Realität. Ich bei Tag und du bei Nacht (Sonntag im Bundesplatz-Kino) von Ludwig Berger behandelte 1932 ein heute erneut aktuelles Thema: den Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Käthe von Nagy und Willy Fritsch spielen zwei Geringverdiener, die sich die Miete für ein Zimmer und das Bett – zu verschiedenen Zeiten – teilen. Sie arbeitet als Kosmetikerin, er kellnert in einem Nachtlokal.

Gleich zwei Veteranen des deutschen Films werden dieser Tage 85. Der DefaRegisseur Günter Reisch wird vom Zeughauskino mit einer Retrospektive geehrt, zu deren Höhepunkten das Karl-Liebknecht-Biopic Solange Leben in mir ist (Sonnabend) gehört. Er ist 1965 entstanden, wirkt aber – zudem in Schwarz-Weiß gedreht – mindestens 20 Jahre älter. Von seinem Pathos und den Massenszenen geht jedoch eine große Faszination aus. Und zu Ehren von Barbara Rütting, die mit ihrer herben Sinnlichkeit ein Fremdkörper in der Adenauer-Ära war, zeigt das Bundesplatz Das zweite Leben, eine deutsch-französische Co-Produktion aus dem Jahr 1954, die an die Völkerverständigung appelliert (Sonntag und Montag). Der Titel erwies sich als prophetisch. Barbara Rütting begann selbst ein zweites Leben, sie wurde 1982 Mitglied der Grünen und ließ sich beim Protest gegen Pershing-II-Raketen festnehmen. Die Schauspielerei hat sie fast völlig aufgegeben.

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