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CITY Lights: Schummeln gilt

Seit zwei Wochen laufen die Kameras für „Tom Sawyer“, Hermine Huntgeburths Klassiker-Neuverfilmung. Dreharbeiten am Mississippi sind nicht vorgesehen; das Team hat sich in Neuruppin am See niedergelassen.

Seit zwei Wochen laufen die Kameras für „Tom Sawyer“, Hermine Huntgeburths Klassiker-Neuverfilmung. Dreharbeiten am Mississippi sind nicht vorgesehen; das Team hat sich in Neuruppin am See niedergelassen. Die Entscheidung, einen der berühmtesten Flüsse der Welt von einem weniger illustren Gewässer doubeln zu lassen, hat bereits für Spott gesorgt. Dabei gilt: Kein Drehort ist unpassend, der Regisseur muss ihn nur richtig nutzen. Bei Clint Eastwoods „Flags of Our Fathers“ glaubte man sich auf der japanischen Insel Iwo Jima zu befinden; erst der Nachspann bewies, gedreht wurde auf Island. Als Negativbeispiel ist Tony Scotts Thriller „Spy Game“ unübertroffen, der den Zuschauern Budapest als Ost-Berlin andrehen wollte.

Die bekanntesten deutschen Western, die Karl-May-Adaptionen der sechziger Jahre, sind in Jugoslawien entstanden. So weit durfte Erich Waschneck nicht reisen, als er 1938 Frauen für Golden Hill inszenierte. Also ließ er sich mit seinem Team am Kurischen Haff nieder, im Fischerdorf Pillkoppen (Mittwoch in den Eva-Lichtspielen). Die einheimischen Komparsen sorgten für eine gewisse Authentizität: Wer Tag für Tag Fische fängt, mag sich besser in einen Goldgräber hineinversetzen als ein Staatsschauspieler. Zerstört wird die Western-Atmosphäre allerdings spätestens durch Grethe Weiser und Hubert von Meyerinck. Sobald sie den Mund aufmachen, ist es aus mit der Goldgräberstimmung. Der Zuschauer hört und sieht nur noch Berlin.

Es hat Versuche gegeben, in die Western der Nazizeit koloniale Propaganda hineinzudeuten: Amerikanische Siedler als Volk ohne Raum. Diese Deutung ist weder abwegig noch zwingend, und nachweisbar schon gar nicht. Selbst ein Film mit klarer Moral kann eine gegenteilige Wirkung erzielen: Michael Curtiz' Angels with Dirty Faces (1938, Donnerstag im Arsenal) war als Abrechnung mit dem Gangstermythos gedacht, doch funktionierte so nicht. Denn Todeskandidat Rocky (James Cagney) ist ein Held, der soeben einen widerlichen Schurken erschossen hat (Humphrey Bogart, bevor er zum Star wurde). Rocky geht als moralischer Sieger auf den elektrischen Stuhl. Begleitet wird die Vorführung von einer Buchpräsentation: Daniel Illgers „HeimSuchungen. Stadt und Geschichtlichkeit im italienischen Nachkriegskino“. Curtiz' Film spielt zwar in Chicago und nicht in Rom, doch Illger macht deutlich: Der Moloch Großstadt ist überall.

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