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Claudio Abbado bei den Berliner Philharmonikern.: Hier & Jetzt

Einmal pro Jahr kommt der ehemalige Chefdirigent der Berliner Philharmoniker zurück zu "seinem" Orchester. Diese Begegnung wurde auch diesmal wieder zum Fest, für das Publikum ebenso wie für die Musiker

Es dauert nur Sekunden, und schon greift er einem ans Herz. Claudio Abbado hat für das ersehnte jährliche Konzert mit den Berlinern Philharmonikern, seinem früheren Orchester, Schumanns „Genoveva“Ouvertüre zum Einstieg gewählt, eine Medias-in-res-Musik, die auf der Stelle für dramatischen Aufruhr sorgt. An diesem Abend zelebriert der 78-jährige Maestro weniger das Metaphysisch-Jenseitige, als dass er eine bestürzende Geistesgegenwart an den Tag legt. Kraftvoll spielen die Philharmoniker auf, dabei ohne jeden Nachdruck oder Knalleffekte: Die Details bleiben kammermusikalisch durchhörbar, das große Ganze erscheint organisch, beseelt, bis in die kleinste Nuance und die natürlich ausschwingenden Schlussakkorde. Transparenz und Vitalität – der Abend wird ein Fest des gestischen, plastischen Musizierens, eine Feier des Hier und Jetzt.

Die Solisten fügen sich kongenial ein. Anne Sofie von Otters subtiler, souveräner Mezzosopran spinnt in Alban Bergs Altenberg-Liedern silbrige Fäden, um sie sogleich leuchtend einzufärben und wieder auszubleichen. Fünf Miniaturerregungen, Kleinode, in Bernstein gefasst. Isabelle Faust geht ebenso feinnervig und hochkultiviert bei Bergs Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ ans Werk (das sie mit Abbado und dessen Mozart Orchestra auch auf CD eingespielt hat).

Unerhört, wie sie allein die Quintfolgen zu Beginn durch ausgefeilte Vibratotechnik aus fahler Ferne in allernächste Nähe rückt. Mitunter ist ihr Spiel fast zu vollendet, nie gerät sie außer sich. Die Volksmusikpassagen und die Kadenz zu Beginn des zweiten Satzes hätte man sich ein wenig derber gewünscht, schon um der Transzendierung im finalen Bach-Choral willen. Abbado und die Berliner bauen eine Lichtskulptur um Fausts lyrische Geige, mal gleißend, mal sanft verglühend, ohne sich je im atmosphärischen Ungefähr zu verlieren.

Auch Schumanns Zweite befreit der Maestro von Schlacken und Schlieren, alles ist Charisma, alles Gesang. Die Philharmoniker sind derart beieinander (und wachsen über ihr ohnehin hohes Niveau noch einmal hinaus), dass sie die resoluten, nie scharfen Punktierten im Eingangssatz, die raffinierten Übergänge zu den Trios im Scherzo und die fein austarierten Rubati wie mit einem Atem interpretieren. Am Ende sind es vor allem die schmerzhaft süßen Streicherkantilenen im Adagio espressivo, die Hellwachträume und Klangblütenwunder dieses dritten Satzes vor dem in jubelnder Eleganz schließenden Finale, die in der gewitterschwülen Berliner Nacht noch lange nachklingen. Christiane Peitz

Noch einmal Sonntag (ausverkauft).

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