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Kultur: Club der roten Dichter

„Totengedecke“ in der Volksbühne.

Von David Ensikat

Als Thomas Brasch, der Dichter aus dem Osten, in den Westen gegangen war, saß Lothar Trolle noch lange in der Ost-Berliner Wilhelm-Pieck-Straße, schrieb vor sich hin, wissend, dass er kein Publikum finden würde, langweilte sich und sah viel fern. Manchmal sah er im West-Fernsehen Brasch, den guten Freund von einst, als sie noch zusammenhockten in der Wilhelm-Pieck-Straße, gemeinsam für kein Publikum schrieben, sich langweilten und viel fernsahen. Jetzt war Brasch ein Star da drüben. Er sah gut aus, redete gut, die Leute hörten ihm zu. Der hatte es geschafft. Lothar Trolle war sich sicher, er würde es nicht schaffen im Westen. Er wusste gar nicht, worüber er dort schreiben sollte.

Dafür lebt er heute noch und kann erzählen über seinen toten Freund. Im Roten Salon der Volksbühne, bei den „Totengedecken“. Das ist eine Veranstaltungsreihe, in der sich Peter Wawerzinek – auch so ein Überlebender, der nicht in den Westen gegangen ist – mit einem Gast über tote Künstler unterhält. Das Publikum sitzt an einer langen Tafel und wird bewirtet, diesmal mit Glühwein und Stollen, vorn auf dem Tisch steht ein Bild von Brasch, dahinter sitzen Trolle und Wawerzinek reden über ihn und fragen sich, warum das alles so weit weg ist heute. Wawerzinek flunkert („Der Abstand verdoppelt sich jedes Jahr ums Dreifache“), Trolle mutmaßt, dass das an den historischen Themen liege: Für Brasch war die NS-Zeit noch ganz nah, aber historische Stoffe interessierten heute keinen mehr (Wawerzinek: „Außer die Neonazis“).

Damals, in den Siebzigern und Achtzigern sei Brasch für die im Westen noch eine Projektionsfläche gewesen. Dabei wollte Brasch nie als Dissident gelten (Wawerzinek: „Ich wäre gerne Dissident gewesen und hab’s nicht mal zum Bürgerrechtler gebracht“). Trolle erinnert sich an einen echten Dissidenten, Wolf Biermann, der Mitte der Siebziger Brasch und ihn überreden wollte, in die Partei einzutreten, um den Sozialismus gut zu machen. Dann erzählt er, dass es für ihn wohl richtig war, nicht wie Biermann und Brasch in den den Westen zu gehen: Was ist wichtiger für einen Autor – das Publikum oder der Stoff, über den er schreiben kann?

Wawerzinek unterbricht, redet über einen anderen toten Künstler, der sich solche Fragen mutmaßlich nie gestellt hat, Kevin Coyne. Das war ein „Rockrebell“ in einer Zeit, in der man Leute damit noch irritieren konnte, war aber niemals so bekannt, dass man sich fragen müsste, warum die Leute ihn vergessen.

Schließlich noch die Frage, was damals, in der Brasch-Trolle-Zeit so anders war als heute. „Es gab die Gruppen, man traf sich immerzu, saß zusammen und hatte nichts zu tun. Das war wunderbar. Wir quatschten nur und konnten nichts veröffentlichen und waren uns trotzdem sicher, große Autoren zu sein.“– Wawerzinek: „Und das war gut?“ – „Na klar. Wenn ich jetzt ein Stück schreibe, dann wird das aufgeführt, und ich muss auf die Bühne zum Verbeugen. Das ist doch nicht besser.“ – „Aber da schwebt man doch, wenn man Erfolg hat!“ - "Ach was, das is nischt.“ David Ensikat

Die nächsten „Totengedecke“ am 14. Januar, 20 Uhr, Roter Salon der Volksbühne. Peter Wawerzinek spricht mit Annett Gröschner über Peter Brasch und den polnischen Musiker Czeslaw Niemen.

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