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Comeback für "Titanic": Der unsinkbare Film

Endlich wieder auf der großen Leinwand: James Camerons Welthit „Titanic“. Der 3-D-Riesenaufwand ist zwar überflüssig. Macht aber nichts: Die Überwältigung funktioniert wie am ersten Tag.

Die schlechte Nachricht zuerst: 3-D bringt hier nichts. Freundlich betrachtet, ist das Upgrade des fünfzehn Jahre alten 2-D-Films „Titanic“ bloß überflüssig. Bei kritischerem Hinsehen macht es die Mängel üblicher 3-D-Konvertierungen älterer Filme erst recht offenbar – gerade weil Regisseur James Cameron auch diesmal weder Kosten noch Mühen scheute.

300 Computerspezialisten bearbeiteten knapp 300.000 Einzelbilder 18 Monate lang für ein 18-Millionen-Dollar-Projekt: Diese Zahlen sollen für die „perfekteste“ Film-Konvertierung aller Zeiten stehen – so bombastisch formulieren es die Generäle der Cameron’schen Bildbebastelungsarmee. Hinter der 3-D-Brille allerdings wirken diese Superlative so fad wie bei allen Filmen, die nicht für 3-D konzipiert und nicht gleich mit den entsprechend neuesten Kameras gedreht werden. Viele Bildelemente wirken – in einem zwar dreidimensional erfahrbaren Gesamtraum – nun erst recht zweidimensional, wie feinsäuberlich ausgeschnittene und bemalte Papp-Transparente, die in verschiedenen Tiefenebenen des Bildes hin- und herbewegt werden. Sollte das aktuelle Kino wieder beim Kulissenschiebertheater des Pioniers Georges Méliès angekommen sein?

Was etwa Martin Scorsese mit „Hugo Cabret“ unlängst auf neuestem Stand der Technik so entspannt zelebrierte, wäre James Cameron gewiss ebenfalls ein Leichtes gewesen – hätte er „Titanic“, sein nachgetragener Traum, gleich in 3-D drehen können. So wie „Avatar“, mit dem er den „Titanic“-Weltrekordhit erstmals selber überflügelte und bei dessen Premiere 2009 er sich über die Schwemme schludrig gearbeiteter Konvertierungsfilme lustig machte. Nun also hat ausgerechnet auch der Perfektionist Cameron die Untauglichkeit einer schon wieder veralteten Technik bewiesen.

Schon klar, das Geld ruft. Den 100. Jahrestag des Schiffsunglücks am 14. April lässt sich ein Studio wie Paramount nicht entgehen. Also musste am Ende der weidlich abgeschrittenen Verwertungskette noch die 3-D-Version her. Die Fox startet den Film in Deutschland mit 500 Kopien – eine gewaltige Zahl für ein „altes“ Kinostück. Selbst Neustarts von Massentiteln bleiben hierzulande meist unter der Tausendergrenze.

Jetzt aber die gute Nachricht. Dass die 3-D-Version nichts taugt, stört überhaupt nicht. Denn „Titanic“ ist wieder auf der großen Leinwand zu sehen. Und für Leute, die ihn nicht ohnehin suchthalber alle paar Monate auf DVD gucken, sondern eine originäre Erschütterungserinnerung an das Damals bewahren, ist er so umwerfend wie am ersten Tag.

Aus der Distanz beeindruckt er sogar noch mehr. Nicht nur, dass heute jeder über die Gründe für einen historischen Erfolg – in Deutschland erreichte „Titanic“ über 18 Millionen Zuschauer – meditieren kann. Auch haben sich die Abwehrreflexe gegen die „Schnulze, die sich nach rund zwei Stunden endlich zum Katastrophenfilm mausert“ („taz“), längst sortiert. Der Ballerfilmer Cameron kann allerlei, bloß keine Love Story? Oh doch, und er hat es im Fantasie-Szenario von „Avatar“ erneut bewiesen. Der Technikfuzzi Cameron hat bloß Spektakel-Machbarkeit im Kopf? Keineswegs, in „Titanic“ und „Avatar“ geht es auch um Menschheitsthemen, soziale oder ökologische. Und sein persönliches Schizo-Paradox, ausgerechnet mit technischem Perfektionismus gegen Technik- und Fortschrittsgläubigkeit loszudrehen, setzt Cameron locker obendrauf.

Ein oscarreifes Paar

„Titanic“ ist, neben der akribischen Reinszenierung eines historischen Dauerschauerfaszinosums, vor allem eine wuchtige Romeo-und-Julia-Geschichte, in der sich die Liebe nicht über familiäre, sondern über soziale Schranken hinwegsetzt. In Kate Winslet als Rose, die mit einem Upperclass-Ekel verheiratet werden soll, und Leonardo DiCaprio als Straßenmaler Jack, der auf dem Zwischendeck in die USA zurückreist, hat Cameron das zu Drehbeginn gerade 20 und 21 Jahre alte Kinopaar ikonisch gültig zusammengeführt. Und nie verliert er, als das Schiffsunglück in der zweiten Hälfte des 194-Minuten-Films in gefühlter Realzeit seinen Lauf nimmt, die Liebesgeschichte aus den Augen – ja, er steigert die dramatischen Paar-Szenen grandios bis zum Abschied in den eiskalten Fluten des Nordatlantiks.

Andererseits wird beim Wiedersehen deutlich, wie altmeisterlich souverän der damals 42-jährige Cameron die große Geschichte der Katastrophe inszenierte, bei der 1500 der 2200 „Seelen“ an Bord umkamen. Im Unterschied zu zahllosen neueren Actionfilmen, die ihr Heil in schnellen Schnitten und donnernder Musik suchen, wagt „Titanic“ mitten in visuell größtmöglichem Überwältigungshabitus immer wieder Augenblicke markerschütternder Ruhe. Und findet – etwa in den aus Wasserspiegelhöhe gefilmten Rettungsbooten, aus denen Ruderer in einem Meer still gewordener Körper nach Überlebenden rufen – Bilder von archaischer, ja überzeitlicher Wucht.

Hinzu kommt die Rahmenhandlung um die uralte Überlebende namens Rose, gespielt von Gloria Stuart, die eine Gruppe nüchterner Tiefseeforscher mit ihrer puren Erinnerung bezaubert: Auch dieses dritte narrative Element ist elegant mit der rückblickenden Liebesleidenschaft und Kollektivkatastrophe verknüpft. Augenblicksweise schürt der Film sogar die Lust, Winslet für ihre glühende Frische und DiCaprio für seinen kraftvollen Jungs-Charme jene Oscars hinterherzuwerfen, die ihnen damals versagt blieben. Winslet bekam ihren ersten Oscar erst 2009 für ihre Rolle im „Vorleser“, und DiCaprio wartet bei mittlerweile drei Nominierungen noch auf die Großweihen Hollywoods. Und dass die verliebte Rose Jacks lausige Zeichnungen ergriffen für große Kunst hält, deutet der erneut mitgerissene Zuschauer großzügig als zarte Ironie des sonst nicht eben humorverdächtigen Drehbuchautors Cameron.

Nur der Sinn für den dieser Tage da und dort ausgeschürften filmischen Überbau stellt sich nicht so zwingend ein. Wenn etwa der Film in der „Zeit“ zur „absoluten Metapher vom Scheitern der bürgerlichen Gesellschaft“ stilisiert wird, verweist schon die Historie darauf, dass in jener Aprilnacht 1912 sowohl Milliardäre als auch arme Auswandererteufel klassenlos ertrunken sind. Auch zeigen die Opferstatistiken nicht, dass vor allem Erster-Klasse-Passagiere gerettet wurden, sondern die Seemanns-Rettungsmoral „Frauen und Kinder zuerst!“ wurde ziemlich penibel befolgt. Nein, wenn denn das angeblich für unsinkbar gehaltene Schiff als Metapher taugt, dann als eine auf die menschliche Hybris. Zum Ende eines Jahrtausends, das allerlei Ängste begleiteten, passt sie ebenso wie zum Heute, da die Menschheit sich nur zögernd ihrer Verantwortung für den ganzen Globus bewusst wird.

So (wieder-)gesehen, beweist „Titanic“ selber imponierend seine Unsinkbarkeit. Nur mit dieser Rahmenhandlung ließe sich der Film heute nicht mehr drehen. Cameron erwischte damals den letztmöglichen Moment – die zur Hundertjährigen hochgeschminkte Schauspielerin Gloria Stuart war 87. Vor zwei Jahren ist sie selber gestorben, genau 100 Jahre alt.

Ab Donnerstag in 20 Berliner Kinos; Originalfassung im Cinestar SonyCenter

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