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© Illustration: Promo

Coming-of-Age-Manga-Comic: Bloß nicht erwachsen werden

Höchste Zeit, diese kurzweilige, kluge US-Bestsellerserie auch in Deutschland zu entdecken - das schrieben wir letztes Jahr. Jetzt ist der erste Band von „Scott Pilgrim“ auf Deutsch erschienen. Grund genug, die Empfehlungen von Stefan Mesch und Mawil noch einmal hervorzuholen.

„Scott Pilgrim ist der Inbegriff eines Dummkopfs. Es macht Spaß, mit einer dummen Hauptfigur zu arbeiten, denn dazu muss man wirklich gar nichts wissen“, sagt Brian Lee O’Malley im Interview mit Comic Book Resources. Seit 2004 arbeitet der Kanadier an seiner surrealen Alltags-Comedy-Serie „Scott Pilgrim“. Fünf der sechs geplanten Bände sind bereits erschienen, schwarzweiß, im manga-esken Taschenbuchformat. Im Juli soll die Reihe abgeschlossen werden, zugleich startet „Scott Pilgrim“ im Kino, mit Kieran Culkin und „Juno“-Einfaltspinsel Michael Cera in der Titelrolle.

Nein, es ist keine Übertreibung. Scott Pilgrim ist ein Riesentrottel! Sein großer Bruder kauft sich eine Brille, und Scott prügelt auf den gefährlichen „fremden Mann“ ein. Scotts Schwester jobbt in der Kaffeehauskette Second Cup, aber Scott braucht ein paar Monate, bis er versteht, dass es verschiedene Filialen gibt und er sie deshalb nicht jederzeit hinter der Bar von jeder Filiale besuchen kann. Scott ist 23 und wohnt im freundlichen und aufgeräumten Toronto. Er wirkt ein bisschen wie die Parodie eines herzensguten, harmlosen All Canadian Boys und ein bisschen wie eine Warnung an alle Videospieler, Comicleser und Indiepop-Gammler.

Denn Scott spielt in einer Band, die nie ihren Durchbruch schaffen wird. Er hat keinen Job und nichts zu tun. Alles in seiner Wohnung – auch das Bett, Scotts Socken und die Zahnbürste – gehört seinem Mitbewohner Wallace. Als er beim Busfahren Knives Chau, einer naiven 17-Jährigen, schöne Augen macht, hält sich Scotts kompletter Indie-Hippster-Freundeskreis den Kopf: „Scott Pilgrim is dating a High Schooler!“ – was denkst du dir da bloß, Junge?

Magischer Nintendo-Realismus

Teenager-Alltag wird oft genug erzählt. „Scott Pilgrim“ romantisiert, ähnlich pompös, ähnlich wild, aber motivisch viel frischer, endlich mal die frühen Zwanziger. Nicht via Glamour, Sex und Drama, sondern entschieden geekig: Mit surrealen Einwürfen und viel absurdem Videospiel-Humor.

Ramona Flowers, Rollerblade-Kurier bei amazon.ca, liefert ihre Bücher via Subraum aus, und skatet jede Nacht, um ihre Route abzukürzen, durch Scotts Kopf.

Die 24jährige ist selbstbewusst, patent und – trotz verrücktem Job – sehr bodenständig. Deshalb wird Ramona das einzige in Scotts Leben, das er wirklich, wirklich will. Auch, wenn er damit Knives Herz bricht.

Prämisse der charmanten Serie und der dramatische Aufhänger: Ramonas sieben Ex-Freunde haben sich zu einer fiesen Oberbösewichter-Liga verbündet und wollen Scott in Duellen stellen – wenn Scott Ramona wirklich für sich haben will, muss er jeden besiegen, mit dem sie jemals zusammen war. Deshalb boxen plötzlich mystische Veganer Löcher in den Mond, Ninjas jagen Scott und säbeln ganze Straßenbahnen in der Mitte durch, Scott rockt Kampfroboter tot, sammelt Extraleben ein und kriegt, fürs mutige „Ich liebe dich“-Sagen, Erfahrungspunkte. Wie in einem Videospiel.

O’Malleys Reihe erzählt eine stille, einfache Geschichte, und glänzt besonders mit den gewollt unspektakulären Dialogen und den banalen Idiosynkrasien seiner vielen, vielen Hauptfiguren. Und nebenbei – und ohne Bruch in Ton und Stimmung – kracht haufenweise Martial-Arts-Irrsinn à la „Dragonball“ und „Ranma ½“ durch Scotts hübschen kleinen Alltag.

Zum Heulen tolle Zaubertrolle

Wer auf die Subtexte in dieser videospielbunten Welt zeigt und „Erkannt!“ oder „Entlarvt!“ schreit, hat einen Kaktus verdient. Denn die surrealen Elemente sollen nichts verschleiern oder spannender machen. Hier geht es wirklich, bei allen Knalleffekten, ganz undramatisch um die romantischen Altlasten, die ein neuer Partner mit sich bringt, und um das unsichere Abtasten am Start einer Beziehung. O’Malley sucht sich seine Metaphern nicht, um das zu tarnen oder attraktiver zu „verkleiden“. Nein, „Scott Pilgrim“ kriegt tatsächlich Alltag und Magie, bestürzend komplizierte Charaktere und bekloppten Manga-Spaß unter denselben großen, exzentrischen kanadischen Hut.

„Dumm“ ist an der grandios geschriebenen Reihe nur eines: die Gestaltung. Alle Figuren sehen aus wie überzeichnete Chibi-Varianten ihrer Selbst, wie „Peanuts“ mit Kulleraugen, wie Zaubertrolle mit Emo-Haarschnitt, wie Achtjährige unter Drogen. Süß und witzig zum Auf-T-Shirts-Drucken. Aber oft nicht präzise genug, um die Figurenkonflikte oder die Erotik zwischen den Freunden zu transportieren.

O’Malleys Drehbuch stimmt. Die Dialoge, der Humor, die klugen subtilen Färbungen. Aber die Umsetzung im Bild steckt voller nerviger erzählerischer „Regiefehler“, sie holpert handwerklich: Unklare Panelreihenfolgen, fehlende Hintergründe, 15 Figuren, alle so simpel gestaltet, dass man sie nur durch ihre Kleider und Frisur unterscheiden kann – und dann ziehen sich diese Leute auch noch ständig um und machen sich Strähnchen! Kein Wunder, dass Scott seinen Bruder verprügelt – alle sehen gleich aus!

„Wenn man das liest, kriegt man Lust, die Handlungsbögen von mehreren Figuren zu verfolgen“, erklärt O’Malley die größte Stärke seiner (Band für Band besser gezeichneten und komplexer erzählten) Reihe: „Man kann sich beim Lesen fühlen, als wenn man selbst in diesen Freundeskreis gehört.“ Absolut, ja! Und es macht Spaß. So lange man die Freunde unterscheiden und erkennen kann.

Scott Pilgrim erscheint im Original bei Oni Press. Auf Deutsch ist jetzt der erste Band bei Panini erschienen (172 Seiten, 12,90 Euro), mehr dazu
hier. Die Website des Autors Brian Lee O'Malley findet man hier.

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