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"Theater der Operationen". Auch Marc-Antoine Mathieus "Der Wirbel" (auf Deutsch bei Reprodukt) wird in dem Sammelband thematisiert.

© Zeichnung: Mathieu/Reprodukt

Comic-Forschung: Jagd nach der Chimäre

Das Medium Comic oszilliert zwischen Bild und Text und hatte es daher lange schwer, als Kunstform anerkannt zu werden. Ein neuer Sammelband nähert sich dem Thema intermedial - mit bemerkenswerten Ergebnissen.

Der Sonderforschungsbereich „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“ an der Freien Universität Berlin hat im vergangenen Jahr auf einer Tagung die Stellung des Comics innerhalb der akademischen Forschungslandschaft untersucht. Elf Autorinnen analysierten innerhalb ihrer Beiträge, die jetzt als Buch erschienen sind, die interkulturellen und intermedialen Transferleistungen dieser hybriden Kunstform - ein Schwerpunktthema hierbei stellt fraglos die Frage nach der Stellung des Comics als mediale Erscheinungsform innerhalb des kulturellen Anerkennungsdiskurses dar.

Die Texte gruppieren sich hauptsächlich um den Themenkomplex, der noch immer geltenden, aber brüchig werdende Distinktionsmarkierungen der Hoch- bzw. Populärkultur, welcher jedoch aufgrund der Legitimierungsschübe durch die immer profundere Berücksichtigung des Comics innerhalb des deutschen Feuilletons an Verbindlichkeit und Gewicht verliert.

Aber auch die intermediale Gestaltungsmacht wird ausführlich berücksichtigt, hier muss lobend hervorgehoben werden, dass man den Comic nicht in altehrwürdiger geisteswissenschaftlicher Tradition als eine unvollendete Chimäre aus schriftlicher Narration und filmischer Darstellung würdigt, sondern endgültig die befruchtende Besonderheit dieser Kunstform anerkennt, welche zahlreiche Transferbewegungen in die verschiedensten Kunstformen evoziert hat. Somit ist das Austauschverhältnis zwischen den Felder der Literatur, des Films und des Comics durchaus als reziprok zu bezeichnen und nicht als parasitär.

Die ästhetischen Strategien des Comics werden ebenfalls ausführlich umrissen. Man muss den Autoren auch dafür danken, dass sie sich auf den offenen und wenig trennscharfen (Über-)Begriff des Comics einigen konnten und nicht ich zeitgeistlicher Demut den marketingtheoretisch aufgeladenen Terminus der „Graphic Novel“ wählten - dessen sublimer Abgrenzungsduktus eine ganze Reihe grandioser Erzähler diskreditiert, die sich nicht von der Serialität der Narration des Comics lossagen wollen.

Hybrid. Das Cover des Sammelbandes.
Hybrid. Das Cover des Sammelbandes.

© Promo

Aber diese Diskussion dauert an und kann hier und heute nicht zufriedenstellend geklärt werden, ganz im Gegensatz zur Beurteilung dieser Anthologie - ich halte sie für eine der besten des deutschsprachigen Raums, weil sie die intermediale und interkulturelle Forschung zum Thema stark vorantreibt und nicht im rein semiotischen oder bildwissenschaftlichen Diskurs verhaftet bleibt sondern die dialogische Verschmelzung von Bild und Schrift im Comic in den Fokus der Untersuchungen stellt.

Oftmals krankten Sammelbände an der stark subjektiven Sicht der Einzeldisziplinen, die ohne wirklich gemeinsames und somit verbindendes Forschungsinteresse Partikularergebnisse anhäuften und im besten Falle knapp kontextualisierten, der vorliegende Band umgeht diese Fallstricke elegant und kann daher allen wissenschaftlich Interessierten ans Herz gelegt werden.

Eine ausführliches Verzeichnis der Autoren ist auf der Verlagshomepage zu finden.

Thomas Becker (Hg.): Comic - Intermedialität und Legitimität eines popkulturellen Mediums. Ch. A. Bachmann Verlag, Bochum 2011. Gebunden mit Schutzumschlag,198 Seiten, mit teils farbigen Abbildungen, 29,90 Euro.

Mehr von unserem Autor Markus Dewes finden Sie auf seinem Blog derdigitaleflaneur.blogspot.com, mehr seiner Beiträge für den Tagesspiegel gibt es unter diesem Link.

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