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Universale Ikone: Batman, hier vor kurzem in seiner Reinkarnation durch einen Demonstranten in Brasilien.

© Reuters

Comic-Helden: Helden wie wir

Der Autor Grant Morrison gilt als streitbares Comic-Genie. Jetzt hat er in einem persönlich gehaltenen Sachbuch die Geschichte der Superhelden aufgeschrieben – und analysiert, was sie über uns und unsere Welt aussagen.

Grant Morrison ist einer der populärsten Comic-Autoren unserer Zeit. Ende der 1970er Jahre veröffentlichte der 1960 geborene Schotte seine ersten alternativen Science-Fiction-Comics auf dem britischen Markt, ehe er in den 80ern schließlich in englischen Comic-Magazinen wie dem legendären „2000 AD“ publizierte. In Zuge der „Britischen Invasion“ betrat Grant Morrison wie viele andere Insulaner den US-amerikanischen Comic-Markt. Morrisons Arbeit an DCs Serie „Animal Man“, wo er sich sogar selbst in die Geschichte schrieb, und „Doom Patrol“ brachte ihm jenseits des großen Teichs schnell den Ruf eines ungewöhnlichen Querdenkers und heißen Talents ein. Durch die Erzählung „Batman: Arkham Asylum“ festigte Morrison 1989 seine Reputation als einer der angehenden Stars des Mediums.

1997 machte Morrison nach weiteren Comics für DC und dessen reiferes Vertigo-Imprint die Abenteuer in „Justice League“ zu einem Blockbuster-Titel und führte 1998 mit „DC One Million“ bereits seinen ersten DC-Event als Autor an. Mit  „The Invisibles“, „New X-Men“, „WE3“, „Seven Soldiers of Victory“ und „All Star Superman“ folgten weitere viel beachtete Arbeiten, bevor er 2006  die monatliche „Batman“-Heftserie als Autor übernahm und dem Dunklen Ritter seinen Stempel aufdrückte. 2009 führte er das DC-Universum in und durch die „Final Crisis“ und eine Neuausrichtung, um mit dem großen DC-Relaunch 2011 den prestigeträchtigen Superman-Flaggschiff-Titel „Action Comics“ zu übernehmen. Morrison ist bekannt für seine komplexen, durchkalkulierten Meta-Geschichten, die überdies seine genaue Kenntnis der Genre-Vergangenheit und der Historie einzelner Figuren reflektieren – was ihn zu einem streitbaren Comic-Genie macht, Heilsbringer für die einen, Abo-Kündigungs-Grund für die anderen.

2011 erschien ein comic-historisches Sachbuch aus Morrisons manischer Feder, das nun unter dem Titel „Superhelden. Was wir von Superman, Batman, Wonder Woman und Co. lernen können“ beim Hannibal-Verlag auf Deutsch erschienen ist. Doch ist Morrison, dessen Comic-Wissen ihn zu einem herausfordernden, gerne weit übers Ziel hinaus schießenden Autor macht, der Comics praktisch atmet, isst und trinkt, wirklich der Richtige, um einer breiten Zielgruppe in einem halbwegs verständlichen Sachbuch die Geschichte der Superhelden näher zu bringen?

Superman war nur der Anfang

Zu Beginn seiner 500 Seiten starken Schwarte berichtet Morrison liebevoll, aber nie verklärt über das Golden Age – über die Anfänge des Superheldencomics, als Jerry Siegel und Joe Shuster Ende der 1930er Jahre Superman entfesselten und das Konzept von Übermenschen mit zivilen Geheimidentitäten und Erzfeinden für die bunten Bilderheftchen auf den Weg brachten. Dabei bleibt Morrison auf den faktischen Hauptstraßen – sonst hätte er ein gut und gerne doppelt so dickes Buch schreiben müssen. Trotzdem macht der Schotte auch kurze Abstecher zu der einen oder anderen amerikanischen Nebenstraße und Obskurität sowie den ersten, teilweise beschämenden internationalen Superhelden-Stereotypen Großbritanniens, Japans, Frankreichs und Italiens.

Ein Held für alle Fälle: Vor kurzem konnte man diesen Superman auf einer Ballonparade in Brüssel sehen.
Ein Held für alle Fälle: Vor kurzem konnte man diesen Superman auf einer Ballonparade in Brüssel sehen.

© dpa

Indem er die Historie der Super-Fiktionen nicht allein mit seiner eigenen Biografie, sondern vor allem auch mit der Geschichte der realen Welt verknüpft, zeigt Morrison die Parallelen zwischen dem Zeitgeist der Vergangenheit und der Evolution des Heldencomics als Spiegelbild der amerikanischen Gesellschaft. So gelangt Morrison schließlich zum Niedergang des ersten Superhelden-Booms nach dem Zweiten Weltkrieg und zu Fredric Werthams Hexenjagd auf Horror- und Superhelden-Comics, die dem Psychologen zufolge angeblich eine ganze Generation junger Amerikaner verdarben. Morrison kommt nicht umhin, auch den ersten großen Absturz des abgestraften Helden-Comics und seiner Champions zu beschreiben – und den von Merkwürdigkeiten gepflasterten Weg durch die 50er hin zum Silver Age, für den Morrison viel Kritik und Häme übrig hat.

Superman ist die Leitfigur der ersten Hälfte dieses Buches, doch im Silberglanz treten nun auch in Morrisons Chronologie die Marvel-Recken – genauer gesagt Autoren wie Stan Lee und Zeichner wie Jack Kirby und Steve Ditko samt der Fantastischen Vier und Spider-Man – ins Rampenlicht. Sie verkörpern die frischen Marvel-Konzepte 60er und einen neuen Ansatz um Seifenopern und ein verknüpftes, konsistentes Universum. Morrison ist ganz in seinem Element, wenn er leserfreundlich das Erfolgsrezept von Kontinuität oder des Multiverse – mehrerer nebeneinander existierender Parallel-Erden und somit verschiedener Inkarnationen eines Helden wie Flash oder Batman – erläutert und seine Bestandaufnahme der zweiten großen Superhelden-Ära mit den kosmischen neuen Götter von Kirby und Jim Starlin abschließt.

Hassliebe zum Autor der "Watchmen"

Danach zeigt Morrison den erwachenden Realismus im Superhelden-Genre in den 70ern und 80ern auf – die Helden wurden, wie ihre Fans, erwachsen, und eine neue Generation Kreativer hatte keine Scheu mehr vor erwachsenen Themen. Aus den Edelmetallen Gold und Silber wurde Stahl, noch immer glänzend, aber mit vielschichtiger Patina. Stahl, mit dem die Fiktion der maskierten Männer und Frauen durch die Probleme der Wirklichkeit schnitt und alle möglichen Themen aufgriff: Klassenkampf, Politik, Drogen, Rassismus, Sexismus. Künstler wie Denny O’Neil und Neal Adams, Chris Claremont und John Byrne oder Steve Gerber offerierten neue thematische Mischungen, und Alan Moore lieferte „Marvelman“ und sich als Superstar zum Anbeten, woraufhin Morrison selbst seine Faszination für Comics erst wieder entdeckte und einen Schaffensdrang entwickelte.

Unverwüstlich: Superman ziert anlässlich seines 75-jährigen Jubiläums aktuell eine kanadische Münzserie.
Unverwüstlich: Superman ziert anlässlich seines 75-jährigen Jubiläums aktuell eine kanadische Münzserie.

© Promo

Dann geht es in Morrisons umfangreicher Retrospektive auch schon um Frank Millers immens einflussreiches Meisterwerk „Batman: Der Dunkle Ritter kehrt zurück“, ehe wieder Moore im Fokus steht, natürlich mit seinem Epos „Watchmen“, wobei Morrison keinesfalls nur Lob für den Meilenstein hat und die Hassliebe zwischen sich und dem bärtigen Propheten, der die Superhelden aus dem Paradies vertrieb, nicht unter den Tisch fallen lässt. Selbst seine berüchtigten Reisen – vielleicht sollte man besser sagen, Trips – mit dem Autor Peter Milligan klammert der Schotte in seiner lässigen Rückschau nicht aus. 

Die Comicgeschichte als Steinbruch für Hollywood

Historisch korrekt folgen der Aufstieg des Image-Verlages um die Marvel-Abtrünnigen Jim Lee, Todd McFarlane und Rob Liefeld und die mit Variant-Covern und Riesenauflagen aufgepumpte Antihelden-Seifenblase der 90er. Viel Zeit verbringt Morrison in den unverkennbaren Comic-Neunzigern jedoch nicht. Das mag daran liegen, dass der schottische Chaosmagier damals zumeist damit beschäftigt war, durch die Welt zu jetten, seine Tantiemen zu verprassen und Pilze und anderen Stoff einzuwerfen. Die Balance zwischen Business und Berauschung gestaltete sich, wie Morrison zugibt, ab einem gewissen Punkt jedoch etwas schwierig. Da Morrisons Trips in der Szene allerdings common knowledge sind, überrascht ihre Aufnahme in „Superhelden“ höchstens insofern, als dass Morrison diese autobiografische Note für wichtig genug hält, um sie zu Protokoll zu geben. Aber es ist eben seine persönliche Rückschau. Zumal sich Morrison ebenso fing wie sein Sachbuch das tut, in dem es folglich um die Miniserie „Kingdome Come“ und moderne Impulsgeber wie Warren Ellis, Mark Millar oder Brian M. Bendis geht. Hier biegt Morrisons Superhelden-Betrachtung auf die Zielgeraden ein, zu den Mega-Events wie der Serie „Civil War“ oder der „Final Crisis“, und natürlich darf das immer stärker interessierte Hollywood nicht fehlen, nachdem die geekigen Superhelden in der Moderne ein Franchise-Steinbruch für den Mainstream geworden sind.

Die Maske, welche Maske? Das Buchcover.
Die Maske, welche Maske? Das Buchcover.

© Hannibal

Am Ende erzählt Morrison trotz seines geballten Wissens und seiner Anekdoten natürlich nicht viel Neues, während in der deutschen Übersetzung des hübsch aufgemachten Paperbacks aus „Panels“ auch noch ständig „Panelen“ werden und die unvermeidlichen _ aber leider falsch übersetzten - „Comic-Bücher“ sich wieder einmal großer Beliebtheit erfreuen. Dennoch ist „Superhelden. Was wir von Superman, Batman, Wonder Woman und Co. lernen können“ ein üppiger, gut geschriebener, an den richtigen Stellen komprimierter Überblick mit der richtigen Mischung aus Objektivität und Subjektivität, obschon Morrisons neutraler Blick auf Golden und Silver Age ein wenig gefälliger erscheint als die Perioden, in die er selbst involviert ist.

So oder so: „Superhelden“ überzeugt als eine gelungene, wenn auch etwas DC-lastige Zusammenfassung und als ein kenntnisreicher Kommentar der Superheldencomic-Entwicklung und -Historie, und zwar aus der Feder eines der Experten und absoluten Stars der modernen Comic-Landschaft. Der geht in seinem seitenstarken Sachbuch glücklicherweise wesentlich klarer vor als in vielen seiner Panel-Geschichten, die dazu neigen, selbst den hartnäckigsten Leser irgendwann abzuhängen. „Superhelden“ tut das zum Glück kein einziges Mal – und ist selbst im Zeitalter von Wikipedia lohnenswertes, gebündeltes Infotainment.

Grant Morrison: Superhelden - Was wir Menschen von Superman, Batman, Wonder Woman & Co lernen können. Übersetzt von Paul Fleischmann, Hannibal, 496 Seiten, 29,99 Euro

Der Blog unseres Autors Christian Endres findet sich hier: www.christianendres.de.

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