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Mystische Anfälle: Eine Seite aus dem Buch.

© Reprodukt

Comic-Kür: Mit „Blast“ an die Spitze

Eine Tagesspiegel-Jury wählte die Comics des Jahres. Bei der Kür gab es einige Überraschungen - und einen Sieger, bei dem sich fast alle einig waren.

Dieses Buch ist eine Zumutung. Aber wer sich drauf einlässt, wird reich belohnt. Der Held von Manu Larcenets Graphic Novel „Blast“ wird verdächtigt, auf grauenhafte Weise eine Frau umgebracht zu haben. Jetzt versuchen zwei Polizisten, dem auch äußerlich abstoßenden Klotz einen Einblick in seine Motive und sein Seelenleben zu entlocken. Da offenbaren sich Abgründe, die der französische Zeichner und Autor Manu Larcenet in beunruhigenden Bildern aufs Papier gebracht hat. „Ein Comic wie eine Urgewalt, angelegt in einer stilistischen wie inhaltlichen Breite, die dem Porträt einer monströsen Persönlichkeit gerecht wird“, urteilt Andreas Platthaus, stellvertretender Feuilleton-Ressortleiter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und Mitglied der Tagesspiegel-Jury zur Wahl der besten Comics des Jahres. Wie er sahen das viele Mitglieder der neunköpfigen Jury: „Blast“, dessen erster Band in diesem Jahr im Berliner Reprodukt-Verlag auf Deutsch erschienen ist, wurde jetzt mit deutlicher Mehrheit zum Spitzentitel 2012 gewählt.

„Kaum ein Comic hat mich dieses Jahr so stark berührt wie Blast“, urteilt Juror Matthias Hofmann, Chefredakteur der Fachzeitschrift „Alfonz – Der Comicreporter“. Und Frauke Pfeiffer aus der Chefredaktion des Fachmagazins „Comicgate“ lobt: „Manu Larcenet wagt sich an die ausschweifende Charakterisierung eines Mörders. Die ihm eigene Leichtigkeit, die seine sonstigen Werke auszeichnet, weicht hier einer intensiven Schwere, die trotzdem faszinierend ist und der man sich geradezu ausgesetzt fühlt. Eine fantastische Erweiterung der Bandbreite dieses begabten Künstlers.“

Dabei war gerade in diesem Jahr die Zahl der herausragenden Werke groß. Manchem Jurymitglied fiel es schwer, sich in der Vorrunde auf fünf persönliche Favoriten zu beschränken. Am Ende schafften es neben „Blast“ zwei deutsche Titel und zwei aus Nordamerika ins Finale, in dem jedes Jurymitglied die zuvor höchstdotierten Titel noch einmal abschließend bewerten sollte – das Ergebnis finden Sie in der Grafik unten.

Auf dem zweiten Platz landete die Graphic Novel „Packeis“, in der der Hamburger Autor und Zeichner Simon Schwartz die Geschichte der ersten Eroberung des Nordpols aus ungewöhnlichen Perspektiven aufarbeitet. „Ein Geschichte, die eigentlich viel zu gut ist, um wahr zu sein“, urteilt Juror Martin Jurgeit, Chefredakteur der Zeitschrift „Comixene“. Er findet es „mitreißend“, wie Schwartz einen an Hannes Hegens „Mosaik“ geschulten Strich der klaren Linie mit den mythologischen Traumwelten der Inuit und Bildern von der unfassbaren Einsamkeit der Arktis zu einem Gesamtkunstwerk verbindet.

Einer der Überraschungssieger ist die Endzeit-Comicserie „Sweet Tooth“ des kanadischen Zeichners und Autors Jeff Lemire, die seit kurzem auch auf Deutsch erscheint und auf Platz drei landete. Sie war im Vorfeld nur von zwei Juroren nominiert worden, legte im Endspurt aber kräftig zu. „Bei Lemire weiß man gar nicht, was man besser finden soll: die Akzente, die er im Superheldengenre setzt oder seine sehr persönlichen Independent-Comics“, urteilt Juror Lutz Göllner, Kulturredakteur bei der Stadtzeitschrift „zitty“. Die Erzählung um einen jungen Mutanten in einer postapokalyptischen Welt und seine gefährliche Reise in eine vermeintliche Sicherheit, so Göllner, verbinde das Beste aus beiden Welten.

Auf Platz vier landete ein Berliner Zeichner und Autor, der Lesern des Tagesspiegels seit Jahren durch seine Beträge auf unseren Sonntagsseiten bekannt ist: Die Neuinszenierung von „Don Quijote“ durch Felix Görmann alias Flix gehörte von Anfang an zu den Favoriten der Jury. „Der Wechsel und die Gleichzeitigkeit von urkomischen und unendlich tragischen Momenten machen das Buch zu einem sehr bewegenden Leseerlebnis“, urteilt Anne Delseit, freie Redakteurin bei den Fachmagazinen „AnimaniA“ und „Comix“. Und Volker Hamann, Chefredakteur der Comic-Fachzeitschrift „Reddition“ und des „Comic Report“, findet: „Flix wird einfach immer besser, die durchgeknallt-nachdenkliche Geschichte vom Kampf gegen die Windmühlen funktioniert auch in seiner zeitgenössischen Version bestens.“

Die autobiografische Graphic Novel „Stiche“ des US-Amerikaners David Small landete auf Platz fünf – ein zweiter Kandidat, der nur knapp in die Endauswahl gerutscht war, dann aber viel Zustimmung fand. Juror Stefan Pannor, freier Journalist für „Spiegel Online“, war von Anfang an einer der Unterstützer dieses „schmerzhaft schönen“ Buches, in dem der Autor eine traumatische Krebserkrankung in seiner Kindheit thematisiert. Obwohl Small hier sein eigenes Drama in den Vordergrund stellt, so Pannor, sei „Stiche“ von „ergreifender Universalität“.

Alle 35 Spitzentitel der Vorauswahl und ausführliche Begründungen der Jurymitglieder dazu finden Sie online unter www.tagesspiegel.de. Dort stehen auch die kommentierten Ergebnisse unserer Leserumfrage.

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