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In der Zeichenschule. Markus Hockenbrink hat „Der Comic im Kopf“ illustriert, hier das Titelbild.

© Icom

Comic-Ratgeber: Lass dich überraschen

Comics zeichnen lernen per Lehrbuch? Erfolgsautor Reinhard Kleist macht den Praxistest.

Ich habe mich immer dagegen gewehrt, Ratgeber über das Comiczeichnen zu lesen. Mir war das zu schematisch und eingefahren, und ich wollte nun wirklich nicht wie Uderzo oder Jim Lee zeichnen. Jetzt habe ich es also nach rund 20 Jahren im Comicgeschäft doch einmal getan. Und will es nicht missen. Zum einen, weil Frank Plein es uns in seinem kürzlich erschienenen Buch „Der Comic im Kopf – Kreatives Erzählen in der Neunten Kunst“ erspart, zu sehr in eingefahrenen Techniken zu denken. Ich habe davor mal einen Mangas-zeichnen-Ratgeber durchgeblättert, und dort wurde einem jeder Strich vorgeschrieben. Reinste Diktatur! Zum anderen, weil er uns jede Menge Begeisterung und Energie mit auf den Weg gibt. Und er vermittelt uns das berechtigte Gefühl, dass jetzt genau der richtige Zeitpunkt ist, Comics zu machen.

Es hat nie bessere Comics gegeben, und gerade ist Deutschland, auch dank der Graphic Novels, auf einem fantastischen Weg, auch international. Das macht Mut, und am Ende des Buches kann man sich nichts Schöneres vorstellen, als endlich eine Geschichte in Comicform zu erzählen.

Geschichten erzählen mit Aristoteles und Shakespeare, Clowes und Moore

Als Erstes nimmt uns der Autor die Angst vor der leeren Seite und zeigt Techniken, die eigene Lethargie zu überwinden, die uns oft vom Erzählen fernhält. Meines Erachtens das wichtigste Kapitel. Seine Ideen und Techniken, wie man mit der Hilfe von Experten wie Aristoteles über Shakespeare bis Daniel Clowes und Alan Moore interessante, spannende und aufregende Geschichten erzählt, erkläre ich hiermit zur Pflichtlektüre. Wie viele Geschichten würden uns dann erspart bleiben, in denen der Zeichner sich einen Kaffee macht und vor dem leeren Papier sitzt. Das Leben ist zu kurz für Geschichten, die man sofort wieder vergisst.

Bewundernswert ist die große Fülle von Beispielgeschichten, die Frank Plein ausbreitet, um seine Theorien zu illustrieren. Ich habe mich jedoch des Öfteren dabei ertappt, wie ich seine Beispiele umgedreht oder ins Gegenteil verkehrt habe, was zu meiner Meinung nach viel spannenderen Geschichten geführt hat. Manchmal tappt der Autor doch in seine eigene Falle und wird zu stereotyp. Aber oft wird es ja erst interessant, wenn man die Stereotypen über den Haufen wirft und das Unerwartete, Überraschende, Gegenpolige auf den Leser loslässt.

Frank Plein gibt uns das Rüstzeug, tiefer in die Welt der Geschichten vorzudringen. Er besitzt nicht nur ein umfassendes Wissen über jegliche Art von Ratgebern zum Comic, sondern von Geschichten in Film, Theater, Roman und Videospiel, und diese sind beim Erzählen in Comicform genauso wichtig.

Wilder Ritt durch die Welt der Geschichten: Eine Seite aus dem Buch.
Wilder Ritt durch die Welt der Geschichten: Eine Seite aus dem Buch.

© Icom

Etwas vermisst habe ich die Mangas, deren virtuoser und andersartiger Umgang mit dem Faktor Zeit in diesem Buch unbedingt hätte erwähnt werden sollen. Und außerdem: Vor einer zweiten Auflage, die ich dem Buch unbedingt wünsche, sollte bitte noch mal Korrektur gelesen werden.

Verblüffend, wie sehr das Buch sich manchmal (im Kapitel über Archetypen zum Beispiel) wie ein psychologischer Führer zur Selbsterfahrung liest. Aber bei einem Thema wie Geschichtenerfinden und Charakterentwicklung ist das ja nicht allzu weit entfernt.

Ich selber als Zeichner, der sich zurzeit hauptsächlich mit Biografien und Reportagen auseinandersetzt, habe in direkter Hinsicht nicht so viele Anknüpfungspunkte gefunden. Es geht in dem Buch allerdings auch in erster Linie um das freie Erzählen, den Comic im Kopf. Und siehe da: Viele Elemente besitzen auch dann eine Gültigkeit, wenn sie mit dem realen Leben, realen Figuren kombiniert werden. Psychologie eben.

Interessenverband Comic (Hg.): Frank Plein: Der Comic im Kopf. Kreatives Erzählen in der Neunten Kunst. Mit zahlreichen Illustrationen von Markus Hockenbrink, 192 Seiten, 19 Euro. Hervorgegangen ist das Buch aus dem gleichnamigen Blog von Frank Plein und dem Illustrator Markus Hockenbrink. Erstes Kapitel zum Download und weitere Informationen auf der Icom-Website.

Unser Gastautor, der Berliner Comiczeichner Reinhard Kleist, hat zahlreiche in Deutschland und international erfolgreiche Graphic Novels verfasst, darunter „Cash“ und „Castro“. Zuletzt erschien von ihm bei Carlsen „Der Boxer – die wahre Geschichte des Hertzko Haft“, nach einem Tatsachenroman von Alan Scott Haft (176 Seiten, 16,90 Euro). Weitere Tagesspiegel-Artikel von und über Reinhard Kleist gibt es unter diesem Link.

Reinhard Kleist

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