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Erinnerungsarbeit: Szenen aus "Madgermanes".

© Birgit Weyhe

Comicbuchpreis für „Madgermanes“ von Birgit Weyhe: Zwischen den Welten

Zum ersten Mal wurde jetzt der hoch dotierte Comicbuchpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung verliehen. Preisträgerin ist die Hamburger Zeichnerin und Autorin Birgit Weyhe - ein Atelierbesuch.

Hamburg - Gemeinsam mit anderen Illustratorinnen, einer Dokumentarfilmgruppe und einer freien Künstlerin arbeitet die Comic-Zeichnerin Birgit Weyhe („Im Himmel ist Jahrmarkt“, „Reigen“) in einem schlichten 50er-Jahre-Bürohaus in Hamburg-Altona. Die 45-Jährige hat ein rundes offenes Gesicht und schulterlanges, graumeliertes Haar und ihr Schreibtisch sieht erstaunlich aufgeräumt aus. Die Zeichnerin lacht: „Ich brauch tatsächlich ein bisschen Ordnung um mich herum, weil das sowieso schon so ein Wust ist. Wenn es zu unordentlich wird, dann wird es auch in meinem Kopf zu unordentlich.“ Dafür hängen über der großen Arbeitsplatte dicht an dicht Zeichnungen, Skizzen, Fotografien, Plakate. „Das ist quasi der Altar meiner Heroen.“, erklärt Birgit Weyhe. „Anke Feuchtenberger, bei der ich studiert hab, oder Marijpol. Auch eine Comic-Zeichnerin.“ In einer Ecke hängt eine Karte in Schwarz-weiß mit einem ernst schauenden afrikanischen Paar. „Das ist Portraitfotografie aus Nairobi,“ antwortet Birgit Weyhe auf meine Frage. „Ich bin ja in Uganda und Kenia aufgewachsen, und die zwei sind tatsächlich das Vorbild für die Eltern der einen Protagonistin in meinem Buch, und dieses Foto taucht auch auf.“

Die Rückkehr war für viel ein Schock

„Madgermanes“ heißt das Comic-Buch, an dem Birgit Weyhe zur Zeit arbeitet und für das sie am Montag mit dem Comicbuchpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung ausgezeichnet wurde. „Madgermanes“ nennen sich die ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik heute. Ende der 70er Jahre wurden sie von der Volksrepublik Mosambik als Arbeitskräfte ins sozialistische Bruderland DDR entsandt. Mit dem Ende der DDR verloren fast alle ihre Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Weyhe ist vor ungefähr zehn Jahren aus sie aufmerksam geworden, als sie zu Besuch bei ihrem Bruder in Pemba, im Norden von Mosambik war.

Zwischen der DDR und Mosambik: Eine Szene aus "Madgermanes".
Zwischen der DDR und Mosambik: Eine Szene aus "Madgermanes".

© Weyhe

„30.000 Mosambikaner waren in der DDR, und die Mehrheit ist zurückgegangen“, erzählt sie. „Aber allein in Pemba sind sehr viele auf die schiefe Bahn gekommen, sind alkoholabhängig geworden oder haben Drogen genommen. Die haben nirgendwo reingepasst. Die haben keinen Job gefunden. Was will man, wenn man sechs Jahre in Karl-Marx-Stadt an der Stanzmaschine stand?“

Birgit Weyhe hat viele Interviews geführt mit diesen ehemaligen Vertragsarbeitern, mit den wenigen dagebliebenen in Deutschland und immer wieder auch in Mosambik. Mit dem in der DDR erlernten Beruf konnten die meisten in Afrika nichts anfangen, dazu kam die Erfahrung der komplett anderen Lebensumstände in Ostdeutschland. „Die brachten natürlich einen Satz von Vorstellungen mit, wie es sein könnte. Dass es schön wäre, wenn es überall fließend Wasser gäbe und Toiletten und Schulen und Bibliotheken.“ In Mosambik erwartete die Vertragsarbeiter hingegen ein vom langen Bürgerkrieg völlig zerstörtes Land.

Protest mit einer alten DDR-Fahne

Doch nicht nur die Verwüstungen, die Armut in Mosambik waren ein Schock für die Vertragsarbeiter. In der DDR erhielten sie für ihre Arbeit nur die Hälfte des Lohns, der Rest sollte ihnen später in ihrer Heimat ausgezahlt werden. Doch auf das Geld warten sie noch immer. In Maputo, der Hauptstadt Mosambiks, protestieren die „Madgermanes“ noch heute, erzählt Birgit Weyhe. „Die laufen jede Woche mit einer alten DDR-Fahne einmal durch die Stadt und trommeln und erinnern an ihre ausstehenden Lohnzahlungen. Es war lange nicht klar, wo es gehapert hat, also wer hat was einbehalten oder nicht ausgezahlt. Erst Ende der 90er oder Anfang der 2000er hat sich endlich mal jemand auf deutscher Seite darum bemüht, in den Akten nachzukucken. Und es auf ist tatsächlich so, die DDR hat das gezahlt nach Mosambik und dann endet es aber.“

Ausgezeichnet: Birgit Weyhe bei der Arbeit.
Ausgezeichnet: Birgit Weyhe bei der Arbeit.

© Magnus Kersting

Zur Zeit steckt die Comic-Künstlerin mittendrin in ihrer deutsch-mosambikanischen Geschichte. Anhand von drei ausgedachten Biografien, die alle auf ihren Recherchen basieren, erzählt sie vom Leben der „Madgermanes“, von damals bis heute. „Natürlich ist es ein Skandal, dass diese Arbeiter um die Hälfte ihres Lohns gebracht wurden,“ sagt Birgit Weyhe. „Aber was mich fast noch mehr berührt hat in den Gesprächen, ist diese Heimatlosigkeit. Was hat das mit denen gemacht, dass sie rausgerissen worden sind aus einem Umfeld, einer Kultur, einer Sprache, aus einem gewissen Denken, und in was komplett anderes reinkatapultiert worden sind? Dass sie eigentlich Spielball waren. Und dann so die Frage, was ist Heimat, was bestimmt unser Denken, was formt uns, wo fühlen wir uns zugehörig?“

Afrikanische Bildmotive und europäische Comic-Tradition

Das Leben zwischen zwei Kulturen, zwischen zwei Kontinenten verbindet Birgit Weyhe mit ihren Protagonisten. Als sie selbst drei Jahre alt war, zog ihre Mutter mit ihr von München nach Uganda. „Ich bin in einen ugandischen Kindergarten gekommen, und da war ich zunächst das einzige weiße Kind, was auch mal eine interessante Erfahrung war, das umgekehrt zu erleben, wenn man immer nur oder primär über Hautfarbe definiert wird.“ Als Erwachsene ist sie dann wieder nach Deutschland gegangen. „Mit 19 stand ich dann in München, weil ich dachte, da gehör' ich ja hin, da komm ich ja her, die Sprache sprech' ich ja. Und so fremd wie in München hab ich mich überhaupt nie wieder gefühlt vorher oder nachher, das war ganz schrecklich.“ Und Birgit Weyhe erzählt weiter, dass es unzähliger Kinofilme, Konzerte, Gespräche, Bücher bedurfte, bis sie sich einigermaßen wohl und sicher im deutschen Alltag, in der deutschen Kultur fühlte.

Seit vielen Jahren lebt Birgit Weyhe jetzt schon mit zwei Töchtern und ihrem Partner in Hamburg. Nach einem Studium der Germanistik und Geschichte ging sie noch einmal an die Uni. Dieses Mal um Illustration zu studieren. An der HAW in Hamburg traf sie auf die Professorin Anke Feuchtenberger, die maßgeblich dafür war, dass Weyhe heute Comic-Zeichnerin ist. „Mit den Comics habe ich das erste Mal ein Medium für mich gefunden hab. Ich konnte Geschichten erfinden, aber sie auch bebildern. Und diese Kombination aus Wort und Bild ist gut für mich.“

In ihrer ausgezeichneten Diplomarbeit „Ich weiß“, die in Feuchtenbergers Mami-Verlag erscheint, setzte sich Weyhe mit ihrer afrikanischen Kindheit auseinander. Sie verbindet ihre afrikanischen Erinnerungen und Erlebnisse mit Mythen und phantastischen Geschichten. Verwebt, wie auch in ihrem aktuellen Buchprojekt „Madgermanes“ afrikanische Bildmotive mit europäischer Comic-Tradition. Mittlerweile habe sie ihr Zuhause gefunden, erzählt sie zum Abschied, in genau diesem Zwischenbereich zwischen Bild und Wort und auch zwischen Europa und Afrika. „Genauso wie ich mich in Deutschland nicht 100-prozentig beheimatet finde, ist aber natürlich weder Kenia noch Uganda mein Zuhause, jetzt schon lange nicht mehr. Und eben dieses Miteinander von Bild und Wort, da muss mich nicht festlegen. Ich kann immer das nehmen, von dem ich das Gefühl hab, dass es passt.“

Hinweis: Mit der Preisverleihung des Comicbuchpreises 2015 der Berthold Leibinger Stiftung beginnt die Ausschreibung für den nächsten Preis. Der mit 15.000 Euro dotierte Preis wird für einen hervorragenden Comic in deutscher Sprache vergeben. Die Arbeit soll bis zur Preisverleihung im Mai 2016 nicht publiziert, ihre Fertigstellung aber absehbar sein. Neben dem Preisgeld erhält das prämierte Werk im Literaturhaus Stuttgart und im Literarischen Colloquium Berlin eine Ausstellung. Bis zum 1. Juli 2015 können nun Bewerbungen eingereicht werden. Weitere Informationen gibt es unter: www.leibinger-stiftung.de

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