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Comicfestival: Angoulêmer Spagat

Es ist die wohl wichtigste Comicveranstaltung Europas: Das Festival de la Bande Dessinée überraschte mit mutigen Verbindungen von Tradition und Zukunft – und kürte einige unerwartete Sieger.

Der Name Angoulême hat in Comicfachkreisen einen magischen Klang. In der südwestfranzösischen Stadt findet traditionell am letzten Januarwochenende das größte und vermutlich wichtigste Comicfestival auf europäischem Boden statt. Dann blüht die Stadt für vier Tage auf, der Comic, respektive Bande Dessinée, ist im Stadtbild omnipräsent, dicht bedrängt sind die Verlagszelte mit obligatorischen, schier endlosen Signierschlangen. Es gibt Ausstellungen, öffentliche Zeichnergespräche oder Fachdiskussionen (etwa über den Einfluss von Hitchcock und Agatha Christie auf das Werk von Hergé) und allerhand Multimediaspektakel wie das „Concert des Dessins“, wo Zeichner zu Livemusik vor Publikum improvisieren. Natürlich geben sich auch die großen Zeichner ein Stelldichein. In diesem Jahre waren Robert Crumb, Jean-Jacques Sempé und Enki Bilal zu Gast.

Zu einem gelungenem Festival gehört auch, die richtigen Fragen zu stellen. Diesmal ging es um die gesunde Balance zwischen Jung und Alt: Wie lässt sich der traditionelle französische Comic mit modernen Bildgeschichten in Einklang bringen? Dem Festival ist, zumindest in diesem Jahr, der Brückenschlag geglückt: Der Roman graphique (Graphic Novel) als anspruchsvoller Gegenpart zu den unterhaltenden Funnys und Mangas für jüngere Leser. Insofern war das Comicfestival in seinem 37. Jahrgang besonders faszinierend.

Zwischen Mangas und alten Meistern

Festmachen lässt sich dieser Spagat allein schon an der Person des Festivalpräsidenten Blutch, der im letzten Jahr den großen Preis der Stadt gewonnen hatte. Blutch ist, bei aller Virtuosität seiner Comics, ein Kritikerliebling und steht für neue Konzeptionen.

Aber er ist auch der Zeichner, der die Klassiker liebt. Er weiß die Tradition zu pflegen. Seinen Namen verdankt er einer Figur der Serie „Les Tuniques Bleues“ (dt. „Die Blauen Boys“), weshalb auch eine Straßenausstellung dieser traditionellen Semi-Funny-Serie für jüngere Leser vor dem Rathaus zu bestaunen war. In der eigenen Ausstellung von Blutch hingegen waren keine Comicseiten zu sehen, vielmehr präsentierte er ein eindrucksvolles grafisches Werk, das vom humoristischen Einzelbild bis zu poetisch-surrealen Gemälden reicht. Diese teilweise erotischen Bilder waren ganz und gar nicht für Kinder gedacht, und so mancher Comic-Besucher hat den Verzicht auf Comicseiten als Verweigerung und Affront verstanden.

Eine benachbarte Ausstellung war der Humorzeichnung gewidmet, an der deutlich wurde, wie sich Blutch sieht: Als humoristischer Bilderzähler in einer langen Tradition von Satirikern und Karikaturisten. Daher erzählt die Ausstellung auch die Geschichte von den frühen britischen Karikaturisten über den „Simplicissimus“ und die Zeichner des „New Yorker“ bis in die Gegenwart, wenngleich auch mit leichten sachlichen Fehlern.

So wuchs zusammen, was nicht zwingend zusammengehört. Wie an einem Ort eine faszinierende Ausstellung mit verspielten Dekonstruktionen des Systems Comic von Jochen Gerner, und an anderer Stelle eine enorm publikumswirksamen Ausstellung mit vielen Originalseiten des Mangas „One Piece“. Beide auf ihre Art Lichtblicke des Ausstellungsprogramms. Doch nicht alle Ausstellungen waren gelungen. Mitunter wäre weniger mehr gewesen, so etwa die im Comicmuseum beherbergte Ausstellung, in der sich moderne Zeichner den alten Klassikern annahmen und eine Hommage an die Originalseiten schufen. Auch hier wurde deutlich, wie sehr man um Annäherung von Historie und Gegenwart bemüht war.

Ein Außenseiter räumt ab

Als sich dann schon viele Besucher und Aussteller auf der Rückfahrt befanden, gab es den heimlichen Höhepunkt eines jeden Festivals: Die Preisverleihung. Es schien fast so, als hätte man sich die größte Überraschung für

den Schluss aufgespart, denn die Jury besann sich kurzerhand auf die Traditionen. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren mussten sich beim Rennen um den Platz für das beste Album in diesem Jahr der Roman graphique und der Autorenmanga gegenüber einem Außenseiter geschlagen geben: Der köstlichen Satire von Riad Sattouf über den „männlichsten Mann der Welt“ mit dem wohlklingenden Namen Pascal Brutal. Ausgezeichnet wurde der dritte Teil der Reihe, die ganz in klassischen Albenformat (48 farbige Seiten im Hardcover) daherkommt.

In dem Zusammenhang lässt sich sicher auch die Wahl des nächstjährigen Festivalpräsidenten sehen, der für sein bisheriges Werk mit dem großen Preis der Stadt geehrt wurde: Baru. Der Franzose erzählt seine oft sozialkritischen Geschichten überwiegend in traditionellen Formaten, auch wenn er (wie in „Autoroute du soleil“) sich der Form des Mangas nicht verschließt. Die überfällige Würdigung von Baru ist auch eine politische Entscheidung gewesen, denn der Zeichner war schon immer bei der Auswahl der Themen ein sehr mutiger Zeichner. Genau so etwas braucht auch der Bande Dessinée in diesen Tagen, deshalb darf man sich auf einen Präsidenten Baru im nächsten Jahr freuen.

Ein Preis geht nach Berlin

Eine kleine Sensation ist es, dass es auch aus Deutschland einen Preisträger gibt, schließlich kommt so etwas nicht besonders häufig vor. Der Berliner Zeichner Jens Harder ist mit seinem zuerst in Frankreich veröffentlichten

Monumental-Projekt Alpha mit dem Prix d’Audace ausgezeichnet worden, der besonders mutige Comics prämiert – im Grunde genommen der Innovationspreis. Aber Alpha, der erste Teil einer Trilogie über die Entstehung der Welt, ist so außergewöhnlich, dass man an ihr nicht vorbeikam. In dem faszinierenden Werk, in dem die Geschichte der Welt vom Urknall bis zu den erste Humanoiden dargestellt wird, mischt Harder wissenschaftliche Erkenntnisse mit einem assoziativen Bilderstrudel, der ein schier enzyklopädisches Bildwissen darstellt.

Auch wenn das Festival nicht alle Fragen gelöst hat, so hat es zumindest bewiesen, dass es keine Grabenkämpfe geben muss und sich alle populären Strömungen gleichwertig miteinander verbinden lassen. Es war ein atmosphärisches Festival für Jung und Alt und gleichzeitig eine anregende, spannende Momentaufnahme. Da Angoulême auch als Auftakt zur Festivalsaison fungiert, kann man auf die deutschsprachigen Festivals in Luzern und Erlangen in diesem Jahr gespannt sein. Vor allem darf sich der deutsche Comic mit gestärktem Selbstbewusstsein dort präsentieren.

Unser Gastautor, der in Köln lebende Comic-Publizist Klaus Schikowski, hat in diversen Literatur- und Comic-Magazinen sowie Anthologien veröffentlicht und ist Redaktionsmitglied der Fachzeitschrift "Comixene". Aktuell ist von ihm der reichhaltig illustrierte Band "Die großen Künstler des Comic" im Edel-Verlag erschienen, mehr dazu
unter diesem Link.

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