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Signieren im Akkord. Viele Fans kamen vor allem zum Festival, um Originalzeichnungen ihrer Stars zu erhalten.

© Christoph Haas

Comicfestival München: Familientreffen mit Nachwuchssorgen

Fans unter sich, Boom der Klassiker, Jagd nach Lesern: Ein Rückblick auf das 17. Münchener Comicfestival.

Der ewige Zweite zu sein – für die Organisatoren des Münchener Comicfestivals ist das offenbar kein Problem. Seit 1984 gibt es den Internationalen Comic-Salon Erlangen, die Veranstaltung in Bayerns Hauptstadt ist nur ein Jahr jünger. Mit dem fränkischen Event hat sie sich aber nie messen können, und dies wohl auch nie gewollt. Man wechselt sich einfach ab: In den geraden Jahren findet der Salon statt, in den ungeraden das Festival.

Die Mittel in beiden Städten sind sehr ungleich verteilt. Hinter dem Salon stehen eine städtische Finanzierung und das rührige Kulturreferat; das Festival erhält zwar ebenfalls öffentliche Gelder, ist aber nach wie vor eine semiprofessionelle Angelegenheit, die auf den Schultern weniger Leute ruht. Alles geht familiär zu, wie früher, als die Szene noch viel kleiner war und man weniger von Comic-Lesern als von Comic-Fans sprach.

Für Ausstellungen nur bedingt geeignet

Mit der schönen Alten Kongresshalle nahe der Theresienwiese ist seit 2015 ein Ort gefunden, der durchaus Charme besitzt. Jedoch sind die räumlichen Kapazitäten begrenzt. Die Messe, für viele Besucher traditionell der Hauptanziehungspunkt, kann eigentlich nicht mehr wachsen – ein etwas bedenklicher Befund angesichts dessen, dass mit dem Splitter Verlag ein großer Player überhaupt nicht vertreten war, mit Rotopol ein wichtiger Indie-Verlag fehlte und Egmont Ehapa sowie Panini sich mit vergleichsweise geringem Platz begnügten.

Begrenzte Kapazitäten: Die Alte Kongresshalle nahe der Theresienwiese.
Begrenzte Kapazitäten: Die Alte Kongresshalle nahe der Theresienwiese.

© Christoph Haas

Mehrere Räume im Erdgeschoss standen diesmal nicht zur Verfügung, so dass sich für Ausstellungen vor Ort nur die kleine, sehr bedingt geeignete Empore anbot. Die 20 Blätter, die von Uli Oesterle aushingen, erlaubten zwar einen knappen Einblick in die Entwicklung des Zeichners: von seiner starken Orientierung an dem düster-expressiven Stil von José Munoz und Mike Mignola hin zu einer luftigeren Ästhetik mit Retro-Sixties- und Seventies-Anklängen. Dass auf jeglichen Kommentar, auf jegliche Einordung verzichtet wurde, wirkte allerdings ziemlich lieblos.

Umfänglicher und wenigstens im Ansatz kommentiert war die Ausstellung zu „Drei Steine“ von Nils Oskamp. So pädagogisch und politisch wertvoll diese autobiografische Graphic Novel über Neonazi-Umtriebe im Dortmund der Achtziger zweifellos ist, zeichnerisch kommt sie doch sehr bieder daher.

Pioniere und neu aufgelegte Klassiker

Unter den über die Stadt verstreuten Ausstellungen ist die noch bis zum 1. Juli laufende Denis-Kitchen-Ausstellung im Amerikahaus hervorzuheben. Kitchen, geboren 1946, war früher Chef der wichtigen Kitchen Sink Press; inzwischen arbeitet er unter anderem als Nachlassverwalter Will Eisners. Dass er auch ein sehr talentierter Künstler ist, dürfte weit weniger bekannt sein. Seine älteren Arbeiten wurzeln tief in der psychedelischen Subkultur der Hippie-Zeit, inhaltlich gibt es Parallelen zu Robert Crumb. Anders als Crumb, der mit seiner Punkt- und Schraffurtechnik dreidimensionale Effekte zu erzielen sucht, konzentriert Kitchen sich aber ganz auf Linie und Fläche. Ausgerechnet Ernie Bushmillers „Nancy“, ein erzklassischer Comic-Strip, lässt sich als wichtiger Einfluss identifizieren – neben Hieronymus Bosch und dessen Fabelwesen!

Läuft. Die Denis-Kitchen-Ausstellung, zu der ein Katalog bei Undergroundcomix erschienen ist, wird noch bis 1. Juli gezeigt.
Läuft. Die Denis-Kitchen-Ausstellung, zu der ein Katalog bei Undergroundcomix erschienen ist, wird noch bis 1. Juli gezeigt.

© Promo

Schaut man auf die aktuelle Produktion, so bestätigten sich in München Trends, die schon seit einiger Zeit zu beobachten sind. Gesamtausgaben von Klassikern sind nach wie vor ein großes Thema: Bei Carlsen folgt auf den mehrere Kilo schweren kompletten „Gaston“ aus dem vorletzten Jahr ein nur wenig leichterer Band mit allen „Blake & Mortimer“-Abenteuern von E. P. Jacobs. Der erste Band einer Gesamtausgabe von „Andy Morgan“ ist da, im Oktober wird Yves Chalands „Freddy Lombard“ vorliegen. Die Corto-Maltese-Neuausgabe von Schreiber & Leser, sowohl farbig als auch schwarzweiß angeboten, läuft nach Angaben des Verlags überraschend gut.

Sogar eher ephemere Serien wie Jean-Claude Fourniers „Bizu“ (Egmont Ehapa) oder Hermanns Frühwerk „Jugurtha“ (Finix) erhalten mittlerweile das Recht auf eine Gesamtausgabe. Dank einer kaufkräftigen Leserschaft zwischen 40 und 60, die wieder in ihre Jugendträume abtauchen will, dürfte dieser Trend noch eine gute Weile anhalten.

Wie hält man Leser bei der Stange – und wie gewinnt man neue?

In Gesprächen mit Verlagsleitern und –mitarbeitern ging es immer wieder um die klassische, im Comic-Bereich aber besonders brennende Frage: Wie hält man Leser bei der Stange – und wie gewinnt man neue? Wenn es heute möglich ist, sich im Rausch des binge viewing an einem Wochenende mehrere Staffeln einer Fernsehserie anzuschauen, wer hat dann noch Lust darauf, Jahre zu warten, bis ein Zeichner drei oder vier Alben, die eine zusammenhängende Geschichte erzählen, fertiggestellt hat? Welchen Gegenwert an Comics bekommt man für den Preis eines monatlichen Netflixabonnements? Können die Sozialen Medien der Werbung dienen, etwa durch eine direkte Ansprache des Publikums über YouTube? Und wie ist es möglich, aus dem oft als Ghetto empfundenen Kreis der überzeugten Comic-Leser auszubrechen und breitere Schichten zu erreichen?

Was den letzten Punkt angeht, war in den meisten Fällen eine gewisse Desillusionierung spürbar. Der Graphic-Novel-Hype der vergangenen Jahre hat ökonomisch nicht gehalten, was von ihm erhofft wurde, daher das Zurückfahren der entsprechenden Produktion bei mehreren Verlagen. Soll ein Comic, wenigstens nach den bescheidenen Maßstäben der Branche, ein „Bestseller“ sein, muss er Themen besitzen, die ihn allgemein interessant machen – auch für die Medien. Dies war etwa bei Barbara Yelins „Irmina“ („Drittes Reich“, Frauenemanzipation) und Mawils „Kinderland“ (Ende der DDR) der Fall; aber solche Graphic Novels sind viel eher die Ausnahme als die Regel.

Zeitgleich zum Festival gastierte in München vom 27. bis 28. Mai übrigens zum ersten Mal der Wanderzirkus der German Comic Con. Manche der Besucher in der Alten Kongresshalle erklärten, dort einmal vorbeischauen zu wollen. Ob dies umgekehrt auch der Fall war? Wohl sehr selten. Cosplayer waren auf dem Festival auf jeden Fall kaum zu sehen. Zur Comic-Familie gehören sie ja schon lange – aber hier mussten sie sich wohl doch zwischen zwei Welten entscheiden.

Christoph Haas

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