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© Illustration: Spiegelman/Promo

Comics: "Das geht direkt ins Hirn"

Comiclegende Art Spiegelman zeigte seine Arbeiten in Berlin – und streitet radikal für Meinungsfreiheit.

Nach drei Minuten war klar: Das würde kein politisch korrekter Abend werden. „Holocaust und 11. September“, sagt Art Spiegelman und lächelt sanft. „Wir sprechen über den Geruch des Todes.“ Dann zündet er sich – verbotenerweise – eine Zigarette an und inhaliert genüsslich. Langsam dringt am Montagabend der Qualm des kühnen Rauchers von der Bühne in den Zuschauerraum des Hebbel-Theaters. „Das geht direkt ins Hirn“, sagt Spiegelman über seine Arbeit – und dann bietet der legendäre Comiczeichner den Besuchern der Veranstaltung „Comix 101 – Art Spiegelman im Gespräch“ einen wahren Bildersturm, für alle sichtbar per Beamer an die Wand geworfen.

Paris Hilton, 9/11, Internet. Jede Folie reißt ein neues Thema an und wirft doch stets die gleichen Fragen nach den Grenzen und Bedingungen der modernen Mediengesellschaft auf. Pornografie, Kirchenfenster, Zensur. Und dazwischen immer wieder Comics in allen Variationen: von unanständig bis philosophisch, von Schwarz-Weiß bis zum Bewegtbild. Von Gotthold Lessing bis Wilhelm Busch, von Laokoon bis Roy Liechtenstein findet Spiegelman Referenzen für seine Theorie von den reduzierten Bildern, die direkt ins Hirn des Menschen dringen.

Er sei ein kompromissloser Verfechter freier Meinungsäußerung, sagt Spiegelman. Ausführlich bezieht er Stellung zum Streit um die Mohammed-Karikaturen, die vor zwei Jahren in der islamischen Welt Aufregung ausgelöst hatten. Ehrensache für Spiegelman, dass er jedes der Bilder zeigt und ausführlich erläutert. Seine persönliche Hitliste der umstrittenen Zeichnungen hat er mit kleinen Bomben benotet: je mehr, desto besser.

„Wenn jemand mit Grund beleidigend ist, ist das o.k.“, sagt Spiegelman. Den Gegenwettbewerb des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, in dem Zeichner aufgefordert wurden, antisemitische Klischees zu verbreiten, lehnt er dann auch nicht der Beleidigungen wegen ab, sondern „weil die Zeichner dieser Bilder niemals gegen ihren Präsidenten zeichnen dürften“.

Anders als viele Altersgenossen hat Spiegelman auch in seiner Kindheit keine „Zensur“ erfahren. Dabei sei Comiclesen früher sehr verpönt gewesen, mehrfach waren Anti-Comic-Gesetze in Vorbereitung. „Meine Eltern hatten aber so wenig Ahnung von Comics, dass sie sie nicht einmal verboten haben.“ Stattdessen wurde der kleine Art süchtig nach dem legendären Comicmagazin „MAD“, dessen Humor ihn bis heute prägt. Spiegelman selbst prägt mittlerweile den Nachwuchs: Seit rund 15 Jahren entwirft er berühmte Titelbilder für das Magazin „New Yorker“, als einziger Comiczeichner der Welt hat er den Pulitzerpreis gewonnen.

Spiegelmans Erfahrungen beschränken sich nicht auf den kreativen Schaffensprozess. Auch der 60-Jährige hat Hass erfahren, Tausende fühlten sich von seinen Werken falsch getroffen oder diskriminiert. Der Künstler nimmt’s mit Ironie. Sein Titelbild, das eine Immigrantin mit einem orthodoxen Juden knutschend zeigt, kurz nachdem sich die beiden Bevölkerungsgruppen in einem New Yorker Stadtteil zerstritten hatten, habe den beiden verfeindeten Gemeinschaften immerhin einen gemeinsamen Feind geschaffen: „Mich!“, sagt Spiegelman. Und übrigens seien Comics auch ein bisschen wie Berlin: „Sie sind in Teile zerlegt.“

Johannes Boie

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