zum Hauptinhalt
Dynamische Panelunterteilung mit dem, was da ist : Eine von Alex Niño gezeichnete Seite in "Das Geisterhaus" #6 aus dem Condor-Interpart-Verlag.

© Promo

Comiczeichner Alex Niño: Inseln im Bilderstrom

Der philippinische Comic ist eng mit der Geschichte der Inselgruppe im Pazifik verknüpft. Am 1. Mai feiert mit Alex Niño einer der bedeutendsten Vertreter des dortigen Comicschaffens seinen75. Geburtstag. Grund für eine Huldigung eines oft übersehenen Meisters der sequentiellen Kunst.

Der Versuch, die verschiedenen Einflüsse auf den einzigartigen Zeichenstil von Alex Niño auszumachen, erweist sich als kompliziertes Unterfangen. Wohl nennt der 1940 in der Provinz Tarlac auf der Insel Luzon geborene philippinische Comiczeichner in der 1978 für das Comicmagazin "Heavy Metal" entstandenen Story "Tap-Dancing On A Tender Cerebellum" Namen wie Moebius, Arthur Rackham sowie Heinrich Kley (dessen Nähe zu Niño vor allem in der Darstellung topographischer Sujets und in dessen Verwandtheit zum Jugendstil liegt; unter anderem war Kley für die deutsche, der Stilrichtung den Namen gebende Zeitschrift "Jugend" tätig), interessanter ist jedoch die Ähnlichkeit von Titel und Thema zum drei Jahre später entstandenen berühmten Comic "Taps" seines Namensvetters Alex Toth, mit dem Niño sich Ende der achtziger Jahre anlässlich der Produktion der Zeichentrickserie "Die Sechs-Millionen-Dollar-Familie" das Büro teilte.

 Der Farbton macht die Musik

 In "Taps" bringt Toth das seltene Kunststück fertig, Musik beziehungsweise deren rhythmische Struktur in Panels zu übertragen; etwas, was in ähnlich gelungener Form Michel Fiffes "Looking For The Perfect Beat" aus der zweiten Ausgabe von dessen "Zegas"-Reihe oder Kyle Bakers "Break The Chain!" bewerkstelligen – Erstere unter massivem Farbeinsatz, Letztere mit Unterstützung des Rappers KRS-ONE und einer dem Comicheft beigelegten Musikkassette.

Auf Grund der den Comic definierenden Erzählrhythmik, die sich durch Einzelbilder in Sequenzen ergibt, sind Musik und Bilderzählung prinzipiell strukturelle Verwandte. Jedoch ist der Versuch, eine Melodie anschaubar zu machen beziehungsweise – und hier trifft die Bezeichnung den Kern der verhandelten Sache – eine Versinnbildlichung der Tonfolgen eine künstlerische Herausforderung von erhöhtem Schwierigkeitsgrad.

Trotz unglücklicher Publikationsgeschichte warf Thriller#10 von DC Comics diese hervorragende Seite ab.
Trotz unglücklicher Publikationsgeschichte warf Thriller#10 von DC Comics diese hervorragende Seite ab.

© Promo

Alex Niño vollbringt dieses Kunststück in "Tap-Dancing On A Tender Cerebellum", indem er Panelfolgen zum Teil in repetitiver Form anordnet, sofern er sich denn überhaupt Unterteilungen in seinen oftmals panelfreien oder unkonventionell angelegten Seitenarrangements erlaubt, deren Aufbau oft an Inselgruppen erinnert.

Einzelne Bildelemente werden zu einem alle bisherigen Motive vereinigenden Hauptthema verschmolzen, das, einer Tontraube nicht unähnlich, sich im Zentrum der Suite beziehungsweise Seite befindet. In dem 1983 mit Byron Preiss verfassten und ebenfalls in "Heavy Metal" erschienenen wortlosen "An Alien In New York" wird die Motivwiederholung innerhalb eines Panels noch konsequenter in Szene gesetzt; im Hintergrund verwaschen bis zur Auflösung erscheinende Handlungskulissen werden hier als Äquivalent eines musikalischen Backgrounds genutzt. 

Blumenkinder im Jugendstil

 Einige andere Einflüsse lassen sich aus der Biografie des Künstlers und der geschichtlichen Entwicklung des philippinischen Comics ablesen: Als Alex Niño im Alter von sechs Jahren begann, Bilder in den Sandstrand in der Nähe des Hauses seiner Eltern zu zeichnen, nutzte er ein in der Natur vorgefundenes Element, das es ihm ermöglichte, unendliche Variationen eines Bildes anzufertigen. Eine weitere Begebenheit, ebenfalls Manuel Auads empfehlenswertem Bildband "The Art Of Alex Niño" entstammend, erzählt davon, wie Niños frühe mit Schuhcreme angefertigte Zeichnungen, die er sich bei einem Unwetter zum Schutz über den Kopf hielt, durch den Regen einen verwaschenen Stil verliehen bekamen. Dieser unbeabsichtigte Effekt begeisterte nicht nur seine damaligen Redakteure wegen ihrer beeindruckenden Wirkung, sondern übte auch Einfluss auf die Stilistik Niños aus.

Derartige der Natur abgerungene Einflüsse finden sich im Werk fast aller philippinischen Zeichner wieder, angefangen bei Nestor Redondo über Alfredo Alcala bis hin zu Tony DeZuñiga.

Letzterer fungierte auch als Initiator und später mit Kritik bedachter Mittelsmann der "Filipino Invasion", welche durch den Einsatz philippinischer Zeichner in US-Produktionen das Erscheinungsbild amerikanischer Comics veränderte und ein breiteres Spektrum an Ausdrucksformen in deren grafischer Gestaltung bewirkte. Forciert wurde ebenso die Verselbständigung des Eindrucks vom philippinischen Künstler als kostensparendem Lückenfüller und arbeitsamer Allzweckwaffe, was sich im Falle Niños gleichermaßen vorteilhaft wie auch nachteilig auswirkte.

Als Beispiele seien hier die etwas unglückliche Übernahme der herausragenden Serie "Thriller" von Robert Loren Fleming und Trevor Von Eeden und das als eine Art Epilog für die überwiegend von Paul Neary gestaltete Serie "Hunter" fungierende "Hunter III: What Price Oblivion" aus "Eerie" Nr. 87 genannt. Letztere stellte den parodistischen und lesenswerten Höhepunkt in einer sonst vor Klischees strotzenden Reihe dar.

Der Einsatz von Ornamenten als zu Ende gedachten Weiterentwicklungen floraler Motive, ausgeführt in dicken Tuschestrichen als logisch erscheinende Folge konsequent eingebundener kalligrafischer Elemente entfaltet insbesondere bei Niño auf Grund seiner wahnwitzigen Seitenlayouts eine schwindelerregende Wirkung.

Passend zur Koloration wurde diese Batman-Geschichte im 22.Superband vom Ehapa-Verlag als 'Unschuldig!'betitelt.
Passend zur Koloration wurde diese Batman-Geschichte im 22.Superband vom Ehapa-Verlag als 'Unschuldig!'betitelt.

© Promo

Ein weiteres bestimmendes Element in der Bildsprache Niños ist der Surrealismus, der durch nicht naturalistische Koloration oder expressive Darstellung vorangetrieben wird. In einer unbetitelten Geschichte um den von ihm zusammen mit dem Comic-Autor Robert Kanigher erdachten Piraten "Captain Fear" spielt der Zeichner mit der Wahrnehmung des Lesers, indem er die ins Extrem tendierenden Gemütszustände der Protagonisten mit dem Expressionismus entstammenden Mitteln in Szene setzt. Innerhalb eines Mainstream-Comics aus den 1970er Jahren ist dies eine ungewöhnliche Wahl der Mittel. Gut lässt sich der Einsatz von dick getuschten Pinselstrichen beobachten, der ein übergreifendes und kennzeichnendes Merkmal des philippinischen Zeichenstils ist. Weiterhin erkennt man den Einfluss Alphonse Muchas, welcher dekorative Elemente in seinen den Jugendstil definierenden Arbeiten prägend einzusetzen verstand.

 Die Naturgeister in der Dorfkirche

 Deutschland, welches dem Jugendstil seinen Namen bescherte, war im Hinblick auf die Entwicklung des philippinischen Comics nicht ohne Einfluss: José Rizal, philippinischer Nationalheld und Universaltalent, der während seines Medizinstudiums 1886 in Heidelberg den Pfarrer Karl Ullmer kennenlernte, fertigte für dessen Sohn Fritz nicht nur einen von Wilhelm Busch beeinflussten Comicstrip namens "The Two Brothers" an; er gilt auch als Urvater der philippinischen Comics.

Es ist daher nur naheliegend, dass ihn sein Landsmann Gerry Alanguilan mit einem (leider noch unvollendeten) Denkmal in Comic-Form bedachte.

Der Mediziner, aber auch als Autor und Zeichner tätige Rizal war federführend im Kampf um die Unabhängigkeit von den spanischen Kolonialherren, was ihm den Tod in Form eines Erschießungskommandos einbrachte. Die comicgeschichtliche Ironie will es, dass es ausgerechnet spanische und philippinische Zeichner waren, die als kreative Schrittmacher und ästhetisch verwandte Impulsgeber in den 1970er Jahren Furore machten; insbesondere in den Publikationen des Verlegers James Warren.

Panelarrangement für Fortgeschrittene, Lektion 1074 aus'Dead Ahead' #2 von Image.
Panelarrangement für Fortgeschrittene, Lektion 1074 aus'Dead Ahead' #2 von Image.

© Promo

Denn die Kolonialherrschaften über die Philippinen gingen stets mit Einflüssen auf die dortige Comickultur einher; die Etablierung des Comicheftes als Publikationsform ergab sich als kulturelle Folge aus dem Philippinisch-Amerikanischen Krieg.

Doch obwohl das Comicheft dort ein erst in den 1950er Jahren etabliertes Format ist, beginnt die Geschichte des philippinischen Comics wesentlich früher. Das Magazin "Liwayway" veröffentlichte bereits 1924 den Comic "Kenkoy" von Antonio Velasquez und Romualdo Ramos.

Daraus sollte sich zwischen den 1960er und 1980er Jahren eine der größten Comic-Produktionen der Welt mit zeitweiligem Exportcharakter entwickeln. Auflagen, welche zum Teil in die Millionen gegangen sein sollen, bescherten der philippinischen Comicbranche Verhältnisse, die man bestenfalls aus Japan kennt, und von denen Comic-Verlage anderer Länder nur träumen können.

Die kurzzeitige Invasion der Japaner auf der westpazifischen Inselgruppe während des Zweiten Weltkriegs hinterließ keine nennenswerten Einflüsse in der einheimischen Comicwelt. Dem Siegeszug des Manga als globalem und vorwiegend bevorzugtem Ausdrucksmittel gegenwärtiger Jugendkulturen erlagen im neuen Jahrtausend trotzdem viele philippinische Künstler, was nicht bei allen dort ansässigen Kulturschaffenden reine Begeisterung hervorruft.

Doch die Duldung animistischer Praktiken seitens der nach der Okkupation 1565 durch die spanische Krone vorherrschenden katholische Kirche führte zu einem Überleben des Glaubens an Naturmythen in der philippinischen Bevölkerung. Bis heute übt dieser Einfluss auf dort produzierte Comics aus. Belegt wird das durch aktuelle Titel wie den übernatürlichen Thriller "Trese" von Budjette Tan und Kajo Baldisimo oder das stilistisch gelegentlich zwischen Heiligenbildern und Aktionsmalerei wildernde Horror-Epos "Tabi Po" von Mervin Malonzo. Das Fortbestehen der Folklore um Naturgeister mag den Hang Niños und anderer philippinischer Künstler erklären, ihr Hauptbetätigungsfeld überwiegend im Bereich phantastischer Comics zu suchen, und nicht so sehr bei den alles dominierenden Superhelden. Es gibt allerdings, das soll nicht unterschlagen werden, ebenso designverspielte Beiträge zum oft zu Unrecht vielgeschmähten Genre der Comics über junge Liebe.

 Horror als verlegerisches Prinzip

 Die große Horror-Affinität philippinischer Künstler erklärt, warum deren spärlicher Anteil von in Deutsch veröffentlichten Werken vorwiegend in den "Horror"-Heften des BSV- und späteren Williams-Verlages zu finden ist sowie deren Fortführungen durch den Condor- beziehungsweise Interpart-Verlag.

Horror #21 aus dem Williams Verlag stellt ein Unikat dar, denn dieses Cover wurde eigens aus einem Panel gefertigt.
Horror #21 aus dem Williams Verlag stellt ein Unikat dar, denn dieses Cover wurde eigens aus einem Panel gefertigt.

© Promo

Der Williams-Verlag und dessen "Horror"-Redaktion sorgte dafür, dass ein einziges Mal ein Niño-Titelbild die bundesrepublikanischen Kioske der 1970er Jahre schmückte; obgleich dieses eigentlich ein Panel einer im Heft enthaltenen Niño-Geschichte darstellte, welches zu diesem Zweck vergrößert worden war.

Sogar die dem unterdurchschnittlichen Mittelmaß verpflichtete und daher langlebige Comicheftserie "Gespenster-Geschichten" des Bastei-Verlages veröffentlichte in Heft 89 eine frühe Niño-Story aus den 1960er Jahren. Diese war, das muss man einräumen, relativ unspektakulär und gehorchte somit der Tradition des Heftes.

Niños enge Freundschaft zu dem bereits erwähnten Byron Preiss, ein von Wikipedia mit dem Prädikat „Pionier der Graphic Novel“ (Preiss selbst nannte es allerdings „Fiction Illustrated“) bedachter Unternehmer, dessen Protegé Niño war, führte unter Einbezug von Autor Doug Moench zur Adaption von Theodore Sturgeons richtungsweisendem Science-Fiction-Roman "More Than Human", dessen erstes Kapitel der Schwermetall-Vorläufer "Star Fantasy" Ende der 1970er Jahre in Deutschland in Fortsetzungen veröffentlichte. Der Abschluss lässt leider bis heute auf sich warten.

Das Panel aus Horror #21 aus dem Williams Verlag, nach dem das Heft-Cover gestaltet wurde.
Das Panel aus Horror #21 aus dem Williams Verlag, nach dem das Heft-Cover gestaltet wurde.

© Promo

Im zweiundzwanzigsten und vorletzten der "Batman"-Superbände des Ehapa-Verlages befindet sich eine weitere deutsche Niño-Veröffentlichung. Erhältlich ist der Band allerdings nur zu Apothekenpreisen, da Ehapas letzte Veröffentlichungen in niedrigeren Auflagen an die Kioske kamen und dementsprechend selten sind. Außerdem wirkt er, wie bei den DC-Bearbeitungen durch Ehapa aus den 1980er Jahren üblich, ziemlich ungelenk was Farbgebung und Übersetzung angeht. Hier die Originalseite Niños. In der deutschen Version wird zudem der Name des Künstlers unterschlagen, eine ebenfalls vertraute Vorgehensweise in der damals mit DC-Material befassten Redaktion des Stuttgarter Verlages. Im selben Jahr, nämlich in "Superman/Batman" 21/1985 taucht Niño noch einmal als Tuschezeichner für Howard Bender auf, damit hat es sich dann auch.

Es bleibt eine Mutmaßung, ob Niños beeindruckende Arbeiten für die Serie um den Sohn von Dschungelheld Tarzan, "Korak", den Weg in die deutschen Ausgaben von BSV, Williams und Ehapa fanden. Ebenso besteht Unklarheit über eventuelle Veröffentlichungen in den Reihen "Vampir Comic" und "Vampirella" des Pabel-Verlags sowie den "Vampirella"-Heften des Volksverlages, die viele Geschichten aus den Warren-Produktionen auf ganz eigene Art zu verwursten wussten. Zitat Dirk Hess, ehemals zuständiger Redakteur beim Pabel-Verlag: „Redaktionelle Texte und nahezu alle Kurzgeschichten sowie die „Eindeutschungen“ stammen von mir. Die Originaltexte waren mir damals oftmals zu stereotyp und emotionslos. Einiges ist typisch amerikanisch. Ebenso wie Erika Fuchs die "Micky Maus" nicht sklavisch am Originaltext klebend textete, habe ich die Warren-Storys zum Teil völlig losgelöst vom Originaltext nach dem emotionalen Bildeindruck erstellt.“ Zitiert nach "Die Sprechblase" 12/2011 und ein erhellendes Schlaglicht auf den respektlosen Umgang deutscher Redakteure mit Originalmaterial während der 1970er Jahre.

Das Blattwerk spricht vom Unausprechlichen in Gespenster-Geschichten #89.
Das Blattwerk spricht vom Unausprechlichen in Gespenster-Geschichten #89.

© Promo

Zumindest konnte man in Deutschland die 1998er Walt Disney-Produktion "Mulan" nach von Alex Niño entwickelten Designs und Storyboards in den Kinos ansehen. Interessant auch, was der Mann nebenbei veranstaltete, um sich bei Laune zu halten, bis er 2007 nach deutscher Erstveröffentlichungs-Zeitrechnung beschloss, via Panini zum "Planet Hulk" auszuwandern.

 Ein endlos geflochtenes Band

 2013 tobte sich Niño noch einmal in einer von Jeff Lemire für die zweite Ausgabe der Anthologie-Reihe "Batman: Black & White" verfassten Geschichte am Fledermausmann aus, die Niños verstärkte Hinwendung zum Einsatz von Copic Markern und dessen Einfluss auf seinen gegenwärtigen Zeichenstil dokumentiert, wenngleich etwas lustlos.

Wer den in seinem Element befindlichen Zeichner von Horror-Geschichten erleben will, greife lieber zum eindrucksvolleren "Dead Ahead" (2008 -2010), in dem der philippinische Ausnahmezeichner alle Register seines Könnens zieht. Die unspektakuläre Geschichte von dahin dümpelnden Zombies auf hoher See bleibt zwar ein nebensächlicher Aufhänger, besticht aber durch ihre halluzinierenden Bilderwelten. Niño betreibt darin die völlige Auflösung herkömmlicher Seitenarrangements und erzählt in einer Art fortlaufenden Wandmalerei.

Es wäre interessant, dieses in einer nicht dem gewöhnlichen Heftformat unterworfenen Publikationsweise veröffentlicht zu sehen, um diese grafische Tour de Force und Hommage an die Anfänge der sequentiellen Bilderzählung beginnend mit dem Teppich von Bayeux in voller Wucht auf sich einwirken lassen zu können. In grafischer Raffinesse sticht "Dead Ahead" versierte Kollegen sowohl im Format (Sacco) als auch auf der stilistischen Ebene (Ware) bisweilen locker aus. Niño erreicht hier die brutalistische Eleganz eines Philippe Druillet, etwa wenn Wellenkämme sich in von Qual verzerrte Gesichter verwandeln und ein nicht mehr enden wollender Prozess stetiger Metamorphosen initiiert wird.

Die Liebe zum Unheimlichen und der Einfluss einer im Animismus verwurzelten Gesellschaft standen Pate bei zwei von Niños eindrucksvollsten Werkschauen, dem leider nie nachgedruckten Prachtbildband "Satan's Tears" von 1977 und dem auf nur 2000 Exemplare limitierten Portfolio "The Fantasy Worlds Of Alex Niño" aus dem Jahr 1975.

Zuletzt erschien anlässlich der diesjährigen Teilnahme Alex Niños beim Wonder Con in Anaheim der selbstpublizierte und erschwinglichere Bildband "Art Quest Of Alex Niño", welcher über seine Website bezogen werden kann, die erste Auflage ist allerdings bereits vergriffen.   

Out of the blue and into the black oder Fläche und Kinetik 

Das 75. Lebensjahr Niños böte einen Anlass in einem umfassenden Einzelwerk oder einer archivarischen Reihe die Höhepunkte aus dem Schaffen des Künstlers einem heutigen Publikum zu präsentieren. Vielleicht sogar in deutscher Sprache, wo doch neuerdings selbst hier ansässige Verlagshäuser, die der Rückbesinnung auf klassische Comictraditionen bisher unverdächtig waren, eine Strategieänderung attestiert werden kann.

Auf dieser Seite aus Star Fantasy #12stimmt bildkompositorisch alles, bis auf die Übersetzung.
Auf dieser Seite aus Star Fantasy #12stimmt bildkompositorisch alles, bis auf die Übersetzung.

© Promo

Siehe zum Beispiel den Avant-Verlag, der eine Gesamtausgabe des Westerncomics "Manos Kelly" von dem ebenfalls in den 1970er Jahren große Erfolge feiernden Spanier Antonio Hernández Palacios angekündigt hat. Angesichts zu hebender Schätze von die Science Fiction neu definierenden Klassikern wie der Harlan-Ellison-Adaption "Repent Harlequin! Said The Ticktockman" und Michael Moorcocks "Behold The Man", in denen Niños Verve bei der Gestaltung derartiger erzählerischer Kaliber deutlich wird, ein durchaus lohnendes Unterfangen.

Wem das nicht reicht, dem sei eine Seite aus Niños Version von H.G. Wells "The Time Machine" aus der 'Pendulum-Illustrated-Classics'-Reihe an Herz und Augapfel gelegt. Wie hier Kontraste gegeneinander ausgespielt, durch den Einsatz von Fläche bedrückende Wirkung erzielt und die Linienführung für eine die Spannung dynamisierende und somit kinetische Wirkung genutzt werden, ist meisterlich. Ganz zu schweigen von der mit kühlen Blautönen operierenden Farbgebung: Allein der Einsatz der sonst ungenutzten weißen Panelränder als in die Bilder bedrohlich eingreifende und sich darin fortsetzende Elemente zeugt von außerordentlicher visueller Inspiration.

Verspielte Albträume beschert 'Nightmare' aus 'The Art Of Alex Nino' von Auad Publishing.
Verspielte Albträume beschert 'Nightmare' aus 'The Art Of Alex Nino' von Auad Publishing.

© Promo

Obwohl ein überaus innovativer und prägender Stilist, wurden Niño leider nie die Meriten zuteil, wie sie einem Krigstein, Toth oder Eisner zugebilligt wurden, obgleich auch diese Ausnahmekünstler im Laufe ihrer Karrieren gelegentlich schlechte Scripts bebilderten.

Vielleicht sind aber die von Niño maßgeblich mitbetriebene experimentierfreudige Herangehensweise an Seitenlayouts sowie die Rückbesinnung auf thematische Vielfalt des gegenwärtigen Comicmarktes das schönste Geschenk zum 75. Geburtstag von Alex Niño.

Mehr von unserem Autor Oliver Ristau lesen Sie hier.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false