zum Hauptinhalt
314910_0_17bb7eae.jpg

© Illustration: Hommer

Coming-of-Age-Comic: Leben in der Seifenblase

Der Hamburger Zeichner Sascha Hommer schaut in seinem autobiografischen Comic „Vier Augen“ auf eine drogengedämpfte Jugend in der Provinz zurück.

„Entschuldige bitte“, sagt der weiße Hund mit dem schwarzen Gesicht, „aber mir war eben so langweilig. Kannst du nicht ein wenig spannender erzählen?“ Der Erzähler, ein junger Mann mit dunklem Schopf und Brille, gibt nach: „Hmm, na gut. Aber ich beginne nicht nochmal von vorn...“

Sascha Hommers autobiografische Erzählung „Vier Augen“ beginnt also irgendwo mittendrin. In einem Waldhäuschen in der süddeutschen Provinz, irgendwann Mitte der 90er Jahre. Sascha ist 16, ein Alter, in dem vieles anfängt. Das mit dem Kiffen zum Beispiel, später auch das mit dem LSD und den psychedelischen Pilzen. Und irgendwann dann das mit den Halluzinationen, den Horrortrips und der, man muss das wohl so sagen, geistigen Dissoziation. Mädchen kommen auch vor, sie helfen dem Erzähler aber genauso wenig wie die Drogen.

Konjunktur der Pubertätslamenti

Die zeichnerische Erkundung der eigenen Biografie ist in der aktuellen Comiclandschaft nicht selten. So traten etwa die Zeichner Flix („Held“) und Mawil („Wir können ja Freunde bleiben“) mit Jugenderinnerungen auf, und auch Arne Bellstorf, Hommers ehemaliger Kommilitone an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg, reichte 2005 mit „Acht, neun, zehn“ ein Pubertätslamento als Diplomarbeit ein.

314912_0_06f487ee.jpg
Der Anfang. Noch lehnt Sascha sich beim Kiffen cool zurück. -

© Illustration: Hommer

Bei Hommer hat es etwas länger gedauert. Die Uni, wo er unter anderem bei Anke Feuchtenberger Illustration studierte, hat er ohne Abschluss verlassen. Was allerdings nicht heißt, dass er nicht voll im Geschäft wäre.„Vier Augen“ ist bereits die dritte Einzelpublikation des 1979 im Schwarzwald geborenen Künstlers. 2006 veröffentlichte er bei Reprodukt den Comic „Insekt“, 2008 erschien der erste Sammelband des täglich in der „Frankfurter Rundschau“ erscheinenden Fortsetzungsstrips „Im Museum“. Zudem gibt Hommer bereits seit 2003 das Comicmagazin ORANG (hier geht es zur Homepage) heraus. Arne Bellstorf – der auch regelmäßig für den Tagesspiegel arbeitet – kam ab der dritten Ausgabe dazu. Die beiden gründeten den Kleinverlag „Kikipost“, der ab der sechsten Ausgabe des Schwarz-weiß-Magazins im Berliner Reprodukt Verlag aufgegangen ist.

Das zweite Ich

Am Ende der Geschichte von „Vier Augen“ ist man wieder bei Sascha und dem Hund, der so etwas wie die Personifizierung seiner inneren Spaltung ist: „In jedem von uns gibt es ein vergessenes, dämonisches Ich“, erklärt Sascha an einer Stelle. Und redet weiter von den „letzten Dingen“ und einer „verborgenen Struktur“.

314913_0_78e75d8c.jpg
Das Ende. Der nicht nur im, sondern auch auf dem Kopf zweigeteilte Sascha begegnet seinem verborgenen Ich. -

© Illustration: Hommer

Es ist das Problem dieses Buches, dass jenseits von derartigem drug talk wenig Reflexion stattfindet. Zwar wird nichts glorifiziert: Schleichende Verdumpfung, sinnloses Gegrübel, ungeschickter erster Sex, eine schmerzhafte erste Trennung – in melancholischen Bildern lässt Hommer eine realistische, durchaus beklemmende Welt entstehen. Provinzjugend? Schrecklich. Das glaubt man dem Comic. Gut, dass man diese Jahre hinter sich hat.

Sonst aber ist da wenig mehr. Sascha, seine Clique und sein Hund leben in ihrer kleinen Seifenblasenwelt, in einer Szene fallen die Bandnamen „Nirvana“, „Aerosmith“ und „Björk“, mehr Verankerung in der historischen Wirklichkeit gibt es nicht. Die besagten „letzten“ Fragen werden weder ernsthaft gestellt noch wird ihnen nachgegangen, auf welchem Weg auch immer. Im Gegensatz zu dem schrägen Insektenjungen aus Hommers Debüt bleibt die interessanteste Figur des neuen Buchs, der gesichtslose Hund, sehr blass. Und die restlichen Charaktere, so sympathisch sie sein mögen, sind eben vor allem eins: Jugendliche mit Jugendlichen-Problemen. Einige von ihnen bräuchten darüber hinaus schnellstens eine Therapie – aber das macht sie auch nicht viel interessanter.

314911_0_0bd2fffb.jpg
Mit Brille. Das Buchcover. -

© Illustration: Hommer

Zumal man beim Lesen nicht an den Zeichnungen hängen bleibt. Hommers Bilder wirken oft statisch, und auch wenn er einmal aus seinem knubbeligen, realistischen Stil ausbricht – meist, um Drogeneinfluss zu verdeutlichen – sind die Ergebnisse zwar solide schräg. Der Zeichner schafft es auch, die inneren Zustände seiner Figuren in ihrer Umwelt, in Frisuren und Wetterlagen plausibel abzubilden. Doch die existentielle Verlorenheit, die Verunsicherung und die Angst, die doch das Thema sein sollen - sie werden nicht spürbar.

Sascha Hommer: „Vier Augen“. Reprodukt, Berlin 2009, Softcover, 124 Seiten, 13 Euro.

Hier geht es zu Sascha Hommers Blog, hier zu einer Leseprobe des neuen Bandes.

Zur Startseite