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Vom Leben gezeichnet: Eine Seite aus dem besprochenen Album.

© Carlsen

„Die Leopardenfrau“: Mit Spirou zu Sartre

Last und Lust der Vergangenheit: In dem Comic-Album „Die Leopardenfrau“ konfrontieren Yann und Schwartz den Hotelpagen mit großen Herausforderungen und führen ihn ins Paris der Existenzialisten.

Spirou, der Hotelpage mit der roten Haartolle, ist gerade so beliebt, dass er der Held gleich mehrerer Reihen im Carlsen Verlag ist. Neben der „offiziellen“ Serie „Spirou  & Fantasio“ vom Team Fabien Fehlmann und Yoann (Band 52 ist soeben erschienen: „Der Page der Sniper Alley“), die vorwiegend für ein jugendliches Publikum bestimmt ist, gibt es die „Spirou und Fantasio – Spezial“ – Reihe, in der viele, zum Teil noch nie ins Deutsche übersetzte Klassiker der bereits seit 1938 existierenden Serie erscheinen, sowie neue One-Shots: Einzelbände, in denen wechselnde Künstler Gelegenheit bekommen, einen Spirou-Band zu zeichnen. Diesmal stammt er vom Team Yann & Schwartz, die bereits 2009 in Frankreich das Album „Operation Fledermaus“ veröffentlichten (hierzulande 2010). Mit „Die Leopardenfrau“ knüpfen sie inhaltlich an diesen Band an und setzen ihren Pfad der Modernisierung des Spirou-Universums fort – das Album ist in vielerlei Hinsicht ein Genuss.

„Operation Fledermaus“ war - neben „Spirou-Porträt eines Helden als junger Tor“ von Émile Bravo – das gelungenste der One-Shots, es ragte unter anderem deshalb heraus, weil es auf amüsante Weise mit manchen Konventionen der beliebten Serie brach.

Unkonventionelle Geschichten für ein erwachsenes Publikum

Szenarist Yann (Yann Lepennetier), Jahrgang 1954, hatte schon in den 80er Jahren begonnen, Spirou-Abenteuer zu entwerfen, in Zusammenarbeit mit dem heute legendären Zeichner Yves Chaland, der 1990 im Alter von nur 33 Jahren starb. Yves Chaland („Freddy Lombard“) zeichnete sich vor allem durch einen eleganten Strich aus, der die Ligne Claire eines Hergé als Zeichenstil wiederbelebte und zusammen mit weiteren Vertretern der „Nouvelle Ligne Claire“ den sogenannten „Atomstil“ schuf.

Wilde Kolportagegeschichte: Eine Seite aus „Die Leopardenfrau“.
Wilde Kolportagegeschichte: Eine Seite aus „Die Leopardenfrau“.

© Carlsen

Diese Zeichner erzählten unkonventionelle Geschichten für ein erwachsenes Publikum, im Stile der Klassiker Hergé oder Edgar Pierre Jacobs, meist mit Retro-Touch, in den 40er bis 60er Jahren angesiedelt. Verschiedene Spirou-Geschichten konzipierte Yann für Chaland (eine halb vollendete, „Stählerne Herzen“, ist im Spezial-Band 1 „Fantasio und das Phantom“ enthalten), landeten aber nach dessen Tod in der Schublade. In dem 1963 geborenen Zeichner Olivier Schwartz fand Yann dann über 20 Jahre später den geeigneten Partner, um seine alten Ideen wieder hervorzuholen und daraus neue Szenarios für Schwartz zu entwickeln, der sich stilistisch an Yves Chaland anlehnt, ohne ihn sklavisch zu kopieren.

Obskure Gestalten über den Dächern von Brüssel

In „Operation Fledermaus“ kämpfte Spirou 1942 im von den Nazis besetzten Brüssel als Widerstandskämpfer gegen die deutschen Besatzer, während sich sein bester Freund, der Möchtegern-Reporter Fantasio, als Schürzenjäger versuchte. Yann und Schwartz gelang die Balance, eine rasantes Abenteuer vor genau recherchiertem historischen Hintergrund zu erzählen, das Sex und Tod nicht aussparte, dabei zugleich eine schwungvolle „Spirou und Fantasio“-Geschichte blieb, nur erwachsener. Insbesondere der freche, aberwitzige Humor und die zahlreichen, in den detailreichen Zeichnungen versteckten Anspielungen an die belgische Comicwelt überzeugten. Sicherlich waren es vor allem die erwachsen gewordenen Fans der Serie, die diesen Spirou liebten.

Einige Fragen blieben offen. Und so kann der Folgeband „Die Leopardenfrau“ nahtlos an „Operation Fledermaus“ anschließen. Im Brüssel von 1946 sind kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Schatten der Vergangenheit noch nicht gänzlich besiegt - und Spirou hat ein ernstes Alkoholproblem! Wieder so eine provozierende Idee der beiden Autoren, jedoch glaubwürdig motiviert: das Mädchen Audrey, in das er sich während des Krieges verliebt hatte, wurde von den Nazis deportiert und Spirou hat seitdem nichts mehr von ihr gehört. Dann verliert Spirou durch den radikal-kapitalistischen neuen Direktor des Brüsseler Hotels „Moustic“ auch noch seine Arbeit als Hotelpage.

Ein neues Abenteuer rettet Spirou vor einem Abgleiten in die Depression: eine geheimnisvolle „Leopardenfrau“ wird über den Dächern von Brüssel von obskuren Gestalten und einem schießwütigen Kolonialisten gejagt. Spirou kann sie zwar retten – doch wie zum Dank entführt sie seinen Freund Fantasio nach Paris. Spirou, sein Eichhörnchen Pips und Fantasios Flamme „Glu-Glu“ folgen der Spur der beiden und geraten ins Pariser Existenzialisten-Milieu, in schummrige Bars von Saint-Germain des Prés, wo sie der Sängerin Juliette Gréco begegnen und Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir sich intellektuelle Gefechte liefern. Bald stellt sich heraus, dass die Leopardenfrau und ihre Verfolger einen heiligen, mächtigen kongolesischen Fetisch suchen.

Wieder überzeugt Yann mit einer wilden Kolportagegeschichte, die die Wirren der Nachkriegszeit überspitzt und zugleich treffend wiedergibt und das in Belgien brisante Thema des Kolonialismus berührt. Seinen Figuren legt er amüsante, anspielungsreiche Dialoge in den Mund – dabei wird es oft frivol. Und Olivier Schwartz erweist sich erneut als einer der besten Zeichner der Reihe - auf vielen seiner abwechslungsreich montierten Seiten finden sich verspielte Wimmelbilder, in denen man sich verlieren kann. Besonders die pointiert karikierten Porträts der sich in haarspalterische Diskussionen verfangenden Existenzialisten zeugen von Esprit. Die Geschichte ist Auftakt zu einem zweibändigen Abenteuer - die Fortsetzung spielt in Afrika.

Fortsetzung folgt: Das Albumcover.
Fortsetzung folgt: Das Albumcover.

© Carlsen

Ebenfalls empfehlenswert: Die ersten beiden Bände der neuen Gesamtausgabe der von André Franquin gezeichneten Spirou-Abenteuer. Franquin gilt als der klassische Spirou-Zeichner, der der Serie in den Fünfziger Jahren ihren unverwechselbaren Charakter verlieh und durch seinen lebendigen Zeichenstil wie durch seinen Humor einen zeitlosen Klassiker schuf wie Hergé mit „Tim und Struppi“. Die Gesamtausgabe ist auf acht Bände angelegt, in der sämtliche Abenteuer und Kurzgeschichten aus Franquins Feder enthalten sind, abgerundet durch zahlreiches Zusatzmaterial, seltene Zeichnungen und Hintergrundartikel. Band 1 eignet sich auch als interessante Ergänzung zur „Leopardenfrau“, da er Franquins Arbeiten von 1946-1950 enthält, also originale Spirou-Geschichten aus der Nachkriegszeit.

Yann & Schwartz: Spirou & Fantasio Spezial, Bd. 19 Die Leopardenfrau, Carlsen Verlag, 72 Seiten, Softcover, 12 Euro

Franquin: Spirou & Fantasio Gesamtausgabe, Band 1 – Die Anfänge eines Zeichners, Band 2 – Von Rummelsdorf zum Marsupilami, Carlsen Verlag, je ca. 208 Seiten, Hardcover, 29,90 Euro

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