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Online-Strips werden zu Online-Büchern. Panel aus Drew Weings "Set to Sea".

© Illustration: www.drewweing.com

Die neue Webcomicwelle: Online-Bücher statt Endlos-Strips

Waren die erfolgreichsten internationalen Webcomics bisher oft Strips voll mit absurdem Humor und Meme-Referenzen, scheinen sich nun die Lese- und Schreibgewohnheiten zu verändern. Webcomics werden zu abgeschlossenen Web-Graphic-Novels – und die Leser ziehen mit.

Als Batman-und-Robin-Autor Cameron Stewart 2007 die erste Seite seines inzwischen mit dem Eisner Award ausgezeichneten Webcomic Sin Titulo online stellte, erwartete er sofortige Anerkennung. Er, der bekannte Mainstream-Autor müsste doch ein Garant sein für die Gunst der Webcomicleser. „Die Wahrheit ist: es hat sich niemand für meinen Namen interessiert. Cameron wer? Print- und Webleser sind ein sehr unterschiedliches Publikum", sagte Cameron auf dem Toronto Comic Arts Festival 2010. Während Printcomics vor allem durch die Popularität des Begriffs Graphic Novel im Mainstream angekommen sind und eine Fülle von Themen, Stilen und Autoren zu bieten haben, veröffentlichen seit den 90ern verschiedenste Comickünstler ihre Werke online und finanzieren sich dabei über Merchandising.

Seite aus dem Webcomic "Sin Titulo" von Batman-Zeichner Cameron Stewart.
Seite aus dem Webcomic "Sin Titulo" von Batman-Zeichner Cameron Stewart.

© Illustration: www.sintitulocomic.com/2010/08/15/page-104

Seit etwa zwei Jahren aber durchläuft das Format Webcomic bedeutende Veränderungen. Immer mehr professionelle Comicautoren und Zeichner mit Printhintergrund umgehen klassische Verlagsstrukturen und fangen an, das Webcomic-Publikum für sich zu gewinnen.

Cameron Stewart steht mit seinem Mystery-Comic nicht alleine da. Das kanadische Künstlerkollektiv Transmission X versammelt erfahrene Comickünstler und veröffentlicht Comics wie The Abominable Charles Christopher vom Supermanzeichner Karl Kerschl. Und auch abseits der Künstlerkollektive bewegen sich weitere lesenswerte Autoren, etwa Rene Engström, die mit Anders Loves Maria zu den bekanntesten Namen im Webcomicfeld zählt. Thematisch vielfältig dreht sich die Welle der neuen Webcomics um Fantasythemen wie im humorvollen Monsterjägercomic Hanna’s Not A Boy’s Name oder The Meek, das sich zwischen Manga, Disney und Mainstream-Comic bewegt, um Liebe und Beziehungen oder um seereisende Poeten in Drew Weings Set to Sea.

Seite aus Karl Kerschls "The Abominable".
Seite aus Karl Kerschls "The Abominable".

© Illustration: www.abominable.cc/2008/12/03/moral-compass

Gemeinsam hat die neue Welle der Webcomics ein klassisches, in sich geschlossenes Format. Nichts Besonderes in der Printwelt, für Webcomics allerdings eine kleine Revolution.

Comictheoretiker und -zeichner Scott McCloud (Understanding Comics) war seinerzeit begeistert vom Versprechen des Internets, Comics auf eine neue Ebene zu befördern. „Multimedia“ war Ende der 90er in aller Munde und McCloud sinnierte über das "endless canvas", die unendlich weiterscrollende Leinwand des Webs. Die Webcomics der ausgehenden 90er waren zu jener Zeit jedoch meilenweit von McClouds Träumen entfernt. Sie waren größtenteils simple MS-Paint-Strips oder krude Comics von videospielenden Jungs über videospielende Jungs.

Auch die Nullerjahre haben dem Internet keine Masse an Multimediacomics beschert, sondern eher ein Revival des klassischen Gag-a-Day-Comicstrips. Strips wie der Indierockromanzencomic Questionable Content, Kate Beatons Historiencomics oder Randall Munroes XKCD gehören zu den bekanntesten Comics im Netz. „Traditionelle“ Webcomics der Nuller meisterten den Comicstrip und machten zumindest für einige Leser die Tageszeitung überflüssig. Comics im Langformat allerdings galten als Gift für ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Erst vor kurzem pausierte Jonathan Rosenberg, einer der ersten Webcomiczeichner, seinen Comic Goats, da eine seit Jahren laufende Comicgeschichte ohne Ende in Sicht keine neuen Leser und damit keine neuen Käufer von Büchern und Merchandising anzieht.

Seite aus "The Meek" von Der-shing Helmer.
Seite aus "The Meek" von Der-shing Helmer.

© Illustration: http://www.meekcomic.com/2010/03/27/2-30

Jetzt aber scheint der Moment gekommen zu sein, in dem Comiczeichner und -Autoren gelangweilt sind von Comicstrips und anfangen, vermehrt Comicbücher zu schreiben - online. Und mit der Leserschaft als Redaktion. Mit einem klaren Ende in Sicht und bereits neuen Comicideen.

Bisher wagten sich wenige etablierte Webcomickünstler in dieses Terrain vor. Umso erstaunlicher also, dass sich jetzt etwas bewegt in den Lesegewohnheiten der Webcomickonsumenten, sowie in der Experimentierfreude der Zeichner und Autoren. Die neue Webcomic-Welle verändert das Feld, lockert es auf und macht es ungemein lesenswerter. Die aktuellen Entwicklungen sind eine Art durch das Web beschleunigte Evolution des Comics mit einem großen Vorteil: sie spielt sich vor unseren Augen ab und sie ist für alle Leser frei verfügbar.

Dennis Kogel

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