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Lebenswerk: Albert Uderzo zeigt der französischen Kulturministerin Aurelie Filipetti seine Ausstellung.

© AFP

Update

Festival International de la Bande Dessinée: Generationswechsel in Angoulême

Europas größtes Comicfestival steht in diesem Jahr unter dem Stern von Asterix-Zeichner Albert Uderzo, der langsam Abschied nimmt. Zugleich gibt es etliche vielverspechende Newcomer zu entdecken.

Seit Donnerstag läuft das Festival, und noch ist so gut wie nichts entschieden. Zehntausende Comicfans, die in den vergangenen Tagen dem Dauerregen getrotzt und die sonst so ruhige Kleinstadt in ein pulsierendes Mekka der Sprechblasenkultur verwandelt haben, fiebern dem Sonntag entgegen, an dem Europas wichtigste Comicpreise vergeben werden. Bis dahin werden sie weiterhin von Standort zu Standort eilen, den Regenschirm im Anschlag, um ihre persönlichen Perlen und Schätze fernab der für die Preise nominierten Bände zu entdecken.

Diese Suche ist ein soziales Ereignis, der Anlass eines Dialoges, der in die jeweils subjektive Comickultur führt, denn die wenigsten ziehen allein los. Meist laufen die Comicverrückten in Pärchen oder Gruppen durch die Stände der Verlage, präsentieren sich gegenseitig ihre Lieblingsalben und tauschen sich über die Geschichten, deren grafische Ausführung und allerlei Details aus. Geduldig stehen sich die Fans die Beine in den Bauch, um eine Signatur ihres Lieblingsautoren zu bekommen. Zur intensiven Pflege dieser Kultur gehört auch, dass sich die Schulen der Region an den Tagen des Festivals nach Angoulême begeben und mit ihren Klassen die zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen besuchen. Und natürlich verlässt kein Kind diese Stadt ohne einen Comicband unter dem Arm.

Gezeichnetes Konzert mit Bastien Vivès

Wie lebendig die Comickultur auch jenseits des allgegenwärtigen Verkaufsdrangs der Verlage ist, zeigt die Vielfalt der Veranstaltungen rund um den Comic. Ganz Angoulême wartet auf den Samstagabend, an dem Bastian Vivès ein Konzert von dem französischen Popsänger Lescop live illustrieren wird. Diese „gezeichneten Konzerte“ haben sich in den vergangenen Jahren bewährt, zugleich aber auch eine deutlich lebendigere Veranstaltung abgelöst, die vorher im städtischen Theater stattfand. Dort fochten Komiker eine Art spontanen Wettstreit aus, der zugleich von verschiedenen Zeichnern illustriert und animiert wurde. Die Zeichnungen hielten fest, was auf der Bühne passiert und zugleich gaben sie Anlass zur fortgesetzten Debatte. Comickultur als ständiges Experimentieren, Ausprobieren, Erkunden – auch das ein Teil der Angoulême-Tradition.

Geduldsprobe: Einer der vielen Signiertresen.
Geduldsprobe: Einer der vielen Signiertresen.

© Thomas Hummitzsch

Zu dieser gehört aber auch das Ehren verdienter Comicautoren. Dies war in diesem Jahr in erster Linie Albert Uderzo vergönnt. Dem 85-jährigen Zeichner von 34 Asterix-Bänden (und Autor von zehn Bänden) wurde eine große Retrospektive gewidmet. Dem kompletten Eröffnungstag drückte Uderzo seinen Stempel auf, indem er die Werkschau besuchte, sich ins Goldene Buch der Stadt eintrug und am Nachmittag bei einem Publikumsgespräch in einem bis zum Rand gefüllten Kinosaal Rede und Antwort stand. Uderzo, das wurde so deutlich wie sonst nichts, tritt in diesem Jahr von der Bühne der graphischen Literatur. Im Herbst erscheint der 35. Asterix-Band, der erstmals nicht von ihm gezeichnet wird. Didier Conrad wird in seine Fußstapfen als Zeichner treten und Yean-Ives Ferri, Mitglied der diesjährigen Jury, wird das Szenario liefern. Das Festival und seine Besucher verneigen sich tief vor Uderzos Werk, das hier schon 1999 mit dem großen Preis ausgezeichnet wurde.

Von Micky & Donald bis Robert Crumb

Neben der Uderzo-Schau locken ein Dutzend weitere Ausstellungen mit Originalseiten und Zeichnungen der Künstler. Dem Jury-Präsidenten Jean-Claude Denis ist eine große Schau gewidmet, die sich seinem in Deutschland weitgehend unbekannten Werk mit 150 Originalseiten sensibel und umfassend annähert. Brecht Evens, dessen Arbeiten zum Teil auch in Deutschland erschienen sind, stellt gemeinsam mit einigen Freunden seine farbgewaltigen und surreal-abstrakten Originalzeichnungen und Seiten aus. Insbesondere die kongenialen Zeichnungen von Brecht Vandenbroucke fallen hier neben den Evens-Werken ins Auge, und es ist zu wünschen, dass dies auch einer der deutschen Verlage so sieht. Die Ausstellung europäischer Künstler, die die Disney-Welt von Micky & Donald weiterentwickelt haben, ist etwas grob geraten, aber wer sich die Zeit nimmt, sich in den kleinen Filmsaal im Zentrum der Ausstellung zu setzen, der begreift schnell, warum die beiden berühmtesten Disney-Familien so beliebt geworden sind.

Das Wandern durch die Ausstellerhallen ermöglicht auch einen vertieften Blick in die Vielfalt der internationalen Comickultur. Was gab es da, jenseits der für die Comicpreise nominierten Alben, zu entdecken? Zum Beispiel konnte man einen Eindruck des Robert-Crumb-Programms bekommen, das in den kommenden Jahren in Deutschland bei Reprodukt erscheinen wird. Dies ist nämlich im französischen Verlag Cornélius schon etwas weiter gediehen. Und man verrät nicht zu viel, wenn man sagt, dass da grandioses auf den Markt kommen wird. Aktiv wie kaum ein anderer zeigt sich der Vater des Angoulême-Maskottchens Lewis Trondheim. Nicht nur, weil er für das 40. Festival unzählige Variationen der kleinen schwarz-weißen Katze kreiert hat, sondern vor allem, weil allein in diesem Jahr fünf Alben aus seiner Feder angekündigt sind.

Vor dem Sprung auf den deutschen Markt

Massenmedium: Besucher an einem der zahlreichen Verlagsstände.
Massenmedium: Besucher an einem der zahlreichen Verlagsstände.

© AFP

Ins Auge gefallen sind dem Tagesspiegel-Korrespondenten auch die koreanischen Comics, die in diesem Jahr als Schwerpunkt im Zentrum des Festivals stehen – ein noch zu entdeckendes Universum an grandioser Sprechblasenliteratur. Da wäre etwa Kun-Woong Park mit seiner inzwischen auf drei Bände angewachsenen Serie „Blumen“ über den Koreakrieg oder Kim Dong-Hwa mit „Die Geschichte der Grundfarben“, seiner ebenfalls dreibändigen Geschichte zweier Frauen und ihrer bewegenden Liebesabenteuer. Man kann davon ausgehen, dass Korea nach Angoulême auch den deutschen Markt erobern wird.

Da jeder Text auch subjektiv gefärbt ist, sollen hier auch einige persönliche Hingucker aufgeführt werden. Vorjahressieger Guy Delisle hat mit „Gebrauchsanweisung für schlechte Väter“ ein Herzstück von Comic vorgelegt, in dem er mit kurzen Geschichten aus dem Alltag eines Vaters berichtet. Von dem Großmeister der fantastischen Seitengestaltung David B. liegt nun endlich die Sammlung seiner „Nächtlichen Zwischenfälle“ vor, die zwischen 1999 und 2002 in einer kleinen Auflage erschienen sind und deren deutsche Publikation man sich nur wünschen kann. Von Manu Larcenet konnte man hier bereits Band zwei (erscheint im April bei Reprodukt) und drei seiner grandios-düsteren „Blast“-Erzählung bewundern. Einen deutschen Verleger wünscht man sich auch für den Autor David Sourdrille, der mit „Die kranken Vorbilder“ eine faszinierende Geschichte von den Wünschen und Ängsten, Höhen und Abgründen des Menschen erzählt. Sourdrille kann sich immerhin auf Robert Crumb berufen, der den Schweizer im vergangenen Jahr als seinen aktuellen europäischen Lieblingsautor bezeichnet hat. In einem völlig anderen Stil, aber für den deutschen Markt durchaus geeignet, ist Jérémie Dres’ und Yean-Ives Potels autobiografischer Comic einer Polenreise, in der so ziemlich alles besucht werden soll, nur nicht Ausschwitz. Entsprechend allgegenwärtig ist der zu meidende Ort in der etwas naiv gezeichneten Geschichte „Wir fahren da nicht hin, um Ausschwitz zu sehen“. In Frankreich sind auch bereits die neuen Reportagen von Joe Sacco erschienen. „Journalismus“ versammelt kleinere Comic-Reportagen über Flüchtlinge in der Sahara, tschetschenische Witwen, die Unberührbaren in Indien und vieles mehr. Bereits Ende 2011 publizierte Sacco gemeinsam mit dem Pulitzerpreisträger und Cartoonist Chris Hedges eine fünfteilige Amerika-Reportage unter dem Titel „Tage der Zerstörung. Tage der Revolution“, in der sie die Konsequenzen des marktliberalen Kapitalismus in Wort und Bild vor Augen führen. Beides eindrucksvolle Werke, die zweifelsohne auch in den kommenden Jahren in Deutschland erscheinen werden. Und diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Auf der Höhe Zeit: Arbeiten deutscher Zeichner wie hier rechts von Reinhard Kleist reihen sich ein ins Werk französischer und US-amerikanischer Szene-Stars.
Auf der Höhe Zeit: Arbeiten deutscher Zeichner wie hier rechts von Reinhard Kleist reihen sich ein ins Werk französischer und US-amerikanischer Szene-Stars.

© Thomas Hummitzsch

Preise, Preise, Preise

Kommen wir aber zu den Comicpreisen und den Kandidaten. Mit großer Spannung wird erwartet, wer dem diesjährigen Jurypräsidenten Jean-Claude Denis folgen wird, dessen quantitativ und qualitativ großartiges Werk man in diesem Jahr noch einmal entdecken konnte. Im Rennen um den Großen Preis von Angoulême sind Pierre Christin, Cosey, Nicolas de Crécy, Hermann, Manu Larcenet, Lorenzo Mattotti, Alan Moore, Katsuhiro Otomo, Marjane Satrapi, Joann Sfar, Posy Simmonds, Jirô Taniguchi, Akira Toriyama, Jean Van Hamme, Chris Ware und Willem. Gemäß der Geschichte des Festivals darf man davon ausgehen, dass sich am Sonntag zwei der 16 Nominierten über die Ehrung freuen können, denn bislang wurde der Preis in den Jubiläumsjahren fast immer doppelt vergeben. Eine Frau als Jurypräsidentin ist überfällig, mit Florence Cestac stellte das letzte Mal 2001 eine Frau die Jury zusammen. Es würde dem Festival, angesichts der Bedeutung der Mangas in der Welt der Sprechblasen aber auch gut stehen, wenn 2014 erstmals ein Präsident aus Asien der Jury vorstehen würde. Beides zugleich dürfte aber selbst bei zwei Großen Preisen nicht eintreten, denn ein frankophoner Künstler wurde bei den Doppelehrungen bislang immer bedacht..

Neben der Frage, wer den großen Preis abräumen wird, diskutiert natürlich die halbe Stadt über die besten Alben aus der offiziellen Liste der 32 nominierten Comics. Jacques Tardis Hommage an seinen Vater „Stalag II B“ wird allenthalben hoch gehandelt, wie auch Emmanuel Guiberts „Die Kindheit von Alan“. Beide Comics sind historisch angelegt und arg textlastig, was der Erfahrung nach gegen ihre Auszeichnung spricht. Zumal in den vergangenen Jahren insbesondere Alben ausgezeichnet wurden, die zum Schmunzeln und herzhaften Lachen verführen oder aber den Leser aufgrund ihrer außerordentlichen Grafik verblüffen. Vor diesem Hintergrund dürfen Abel Larzac und Christophe Blain durchaus guter Hoffnungen sein. Ihr überzeichneter und gerade deshalb so irrsinnig guter Politcomic „Quai d’Orsay“ hat Tiefe und Humor und lebt von einer wunderbaren Melange aus Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit. Wenn es allein um diese Leichtigkeit ginge, dann muss der Band „Der Affe von Hartlepool“ von Wilfrid Lupano und Jérémie Moreau eine Auszeichnung finden, der die Legende eines Affen erzählt, der als einziger ein Schiffsunglück überlebt, dessen Schicksal aber dennoch nicht gut ausgeht. Zweifelsohne preisverdächtig sind Frederik Peeters „Aâma“-Serie, „Die große Odaliske“ von Bastian Vivès, Florent Ruppert und Jérôme Mulot sowie „Paolo Pinocchio“ von Lucas Varela, die allesamt mit einer klassischen franko-belgischen Grafik überzeugen und dennoch völlig neue Leseerlebnisse bereiten. Ungewöhnliche und überraschende Einblicke liefern Blexbolex mit „Niemandsland“, Nicolas Presl mit „Glücklich wie“, Brüno mit „Lorna“ sowie Christopher Hittinger mit „Die Zeit ist nahe“.

Vorgeschmack: Nach und nach erscheint die opulente Robert-Crumb-Neuauflage auch in Deutschland.
Vorgeschmack: Nach und nach erscheint die opulente Robert-Crumb-Neuauflage auch in Deutschland.

© Thomas Hummitzsch

Ruhmeshalle der neunten Kunst

Comicliebhaber warten in jedem Jahr sehnsüchtig auf die Vorschläge für die Bände, die in das kulturelle Gedächtnis der neunten Kunst Einzug erhalten sollen. Diesen Alben ist der sogenannte „Prix Patrimoine“ vorbehalten. Wenn nicht alles schief geht, dann wird mit diesem Preis in diesem Jahr ein Foliant ausgezeichnet, der die frühen Arbeiten des Asterix-Zeichners versammelt und überaus klug von Philippe Cauvin und Alain Duchêne kommentiert ist. Kommt die Jury allerdings zur Ansicht, dass Albert Uderzo mit seinem hier groß zelebrierten Abschied aus der Comicwelt schon genug Aufmerksamkeit bekommen hat, dann wird in diesem Jahr mit großer Wahrscheinlichkeit einer der anglo-amerikanischen Klassiker diesen Preis abräumen. Von dem Meister der „stummen“ Alltagsdramen H.M. Bateman über George Harrimans „Krazy Kat“ bis hin zu Milton Caniffs „Terry und die Piraten“ – Frankreich entdeckt diese Wegbereiter des modernen Comics aktuell wieder. Ernsthaft Konkurrenz kann diesen Wegbereitern wohl nur der Japaner Yukinobu Hoshino mit seinen „2001 Nachtgeschichten“ machen, einer erschlagenden Weltraumopera auf 700 Albumseiten, die ihresgleichen sucht.

Ein Preis ist schon vergeben. Das beste Album für junge Leser haben der Szenarist Patrick Sobral und der Zeichner Nadou für ihr Album „Die Legendären – Ursprünge. 1. Danaël“ erhalten. Der Comic bildet die Vorgeschichte der inzwischen auf 15 Bände angewachsen, im Mangastil gezeichneten Serie „Die Legendären“ ab, die sich in Frankreich einer großen Leserschaft erfreut.

Vaterfreuden: Guy Delisles neues Werk.
Vaterfreuden: Guy Delisles neues Werk.

© Thomas Hummitzsch

Durch die deutsche Brille betrachtet ist es überaus erfreulich, festzustellen, dass sich der deutsche Comicmarkt in weiten Teilen auf der Höhe der Zeit befindet. Viele der hier am stärksten diskutierten Autoren haben bereits deutsche Verlage, zahlreiche ihrer Bände liegen in Deutschland vor. Zugleich trifft man an nahezu allen Standorten des Festivals auf die Bände deutschsprachiger Autoren, von Jens Harder und Reinhard Kleist über Mahler und Peer Meter bis hin zu Ulli Lust und Barbara Yelin. Und wenn einem in der Menge der comicverrückten Franzosen ein etwa 14-jähriger Junge entgegenkommt, der seinem Freund am Telefon sagt, dass er sich nicht für das Album des französischen Autors, sondern für das eines „deutschen Typen“ entschieden habe, dann wird klar, dass der deutsche Comic angekommen ist in den Höhen der internationalen Sprechblasenkunst.

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