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© Illustration: Didier Conrad/Finix

Frankobelgisches: Hart aber komisch

Anarchistisch, frech, brutal und alles andere als jugendfrei: Endlich gehen die „Helden ohne Skrupel“ weiter

Sex und Gewalt! Sex und Gewalt! Sex und Gewalt!  So, habe ich Ihre Aufmerksamkeit? Dann kann ich ja anfangen.

Hongkong im Herbst 1949. In der Hafenstadt treffen die britische Kolonialmacht, Maos Kommunisten und die nationalistischen Kuomintang unter General Chian Kai-Shek auf einander. Die kommunistische Agentin Alix gerät an den amerikanischen Schlepperkapitän Mac, der mit seiner Crew in Hongkong gestrandet ist. Diese besteht aus dem schwulen Heizer Tony, dem Schwein Roland und dem - tja, was ist er eigentlich? - kleinen Tim. An Politik ist Mac nicht interessiert, dann schon eher an den Puffs der Hafenstadt, aber - wo die Liebe eben so hinfällt - der dicke Zigarrenraucher verfällt einer zierlichen Agentin. Und das setzt eine ganze Kette von Ereignissen in Gang, die ihn und seine Freunde über Korea zurück in die USA spülen.

So weit, so realistisch. Doch die beiden Franzosen Yann und Conrad, Texter und Zeichner der Serie „Helden ohne Skrupel“, huldigen keinesfalls einem platten Realismus. Ihre Herkunft aus den Seiten des guten, alten „Spirou“-Magazins können diese Antihelden nicht verleugnen.

Die Vorbilder sind zweifellos die franko-belgischen Comicgötter Franquin, Peyo, Morris und ihre école marcinelle (benannt nach dem Brüsseler Vorort, in dem Franquin jahrelang sein Studio hatte). Doch die „Helden ohne Skrupel“ sind definitiv nichts für kleine Kinder. Da wird gesoffen und geraucht, es gibt heißen Sex und ziemlich brutale Morde.

Gnadenlos und äußerst schwarzhumorig hacken Yann und Conrad im neuesten deutschen Band auf der Scientology-Sekte herum, machen sich über Psychoanalyse lustig und reißen Scherze, die die Grenze des politisch Korrekten auch gerne überschreiten. In früheren Alben durchlief der kleine Tim die Pubertät im Schnelldurchlauf, nachdem er eine britische Geheimagentin nackt gesehen hatte. Ein Prozess, der erst zum Ende kam, als Tim es mit ihr - ganz „Verdammt in alle Ewigkeit“-mäßig - auf einer Sandbank trieb. Oder der schwarze Schmuggler O‘Rourke, der von einem schwer verletzten Crewmitglied gebeten wurde, ihn wieder zusammen zu flicken. Mit den Worten „Klar, und danach gibt‘s heiße Schokolade!“ entsorgt er den Mann über die Reling.

Das war der Redaktion des „Spirou“-Magazins 1982 (so alt ist die Serie schon) zu viel Sarkasmus. Die erste Geschichte „Matricule Triple Zéro“, die zeichnerisch und vom Storytelling her noch schwer an Milton Canniffs Abenteuerklassiker „Terry und die Piraten“ erinnerte, musste abgebrochen werden.

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Nichts für Kinder. Bei »Helden ohne Skrupel« geht es brutal zu.

© Illustration: Finix

Der Kleinverlag Temps Futur nahm sich der „Innommables“ (so der Originaltitel der Serie) an, aber Querelen zwischen Künstlern und Verlag stoppten auch hier die kontinuierliche Veröffentlichung. Erst 1996 bot Dargaud der Serie eine neue verlegerische Heimat.

Bei allen anarchistischen Frechheiten, sexistischen und rassistischen Scherzen, von denen weder Europäer noch Afrikaner noch Asiaten verschont bleiben, begreift sich Texter Yann wohl doch als Bewahrer der franko-belgischen Traditionen, denn es gelingt ihm immer wieder, den Hauch romantischer Abenteuer einzufangen. Das ist zum großen Teil auch Conrads Verdienst, der die geheimnisvolle und bedrohliche Atmosphäre Hongkongs, später Koreas und der USA kongenial in seinen Bildern einfängt. Sein Zeichenstil ist ökonomisch, dort wo es sich anbietet, er kann aber auch die Hintergründe mit Details bis zum Abwinken anreichern. Von all den Nachahmern Franquins schafft er es tatsächlich am ehesten, den klassischen Spirou-Stil in unsere Zeit zu transferieren.

Zwölf Alben liegen auf französisch vor, auf Deutsch erschienen neun davon zwischen 2001 und 2002 in schneller Reihenfolge im Hamburger Carlsen Verlag, die restlichen drei Bände kommen jetzt ab August beim Kleinverlag Finix. Der Spin-off „Die weiße Tigerin“, der etwas ernster, in bisher sechs Alben das weitere Schicksal der Mao-Agentin Alix erzählt, erscheint beim Münchner Verlag Schreiber & Leser (bisher vier Bände auf Deutsch).

Yann (Text), Conrad (Zeichnungen): Helden ohne Skrupel, Band 9 - Östlich von Rooswell. Aus dem Französischem von Rossi Schreiber. Finix Comics, Hadamar 2009, 64 Seiten, 12,80 Euro.

Conrad & Wilbur: Die weiße Tigerin, Band 4 - Raubkatze auf dem Dach. Aus dem Französichem von Resel Rebiersch. 48 Seiten, 12,95 Euro. Schreiber & Leser.

Unser Autor Lutz Göllner ist Kulturredakteur beim Berliner Stadtmagazin zitty sowie Mitglied der Jury des Max-und-Moritz-Preises, der wichtigsten deutschen Comic-Auszeichnung.

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