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Graphic Novel: Freundschaft ist ein seltsam Ding

Bevor im Herbst die neue Hollywood-Verfilmung des Mantel-und-Degen-Klassikers „Die drei Musketiere“ in die Kinos kommt, veröffentlicht Carlsen nun die bereits 2008 entstandene Comic-Adaption des französischen Künstlers Nicolas Juncker.

1625 verlässt der junge d’Artagnon seine Heimat, um sich in Paris in den Dienst von König Ludwig XIII. zu stellen und ein Musketier zu werden. Das Stigma des Provinzlers bringt ihm allerdings schon kurz nach seiner Ankunft in der Metropole reichlich Ärger und hier sogar drei Duelle ein, aus denen jedoch eine der berühmtesten Freundschaften der Literaturgeschichte entsteht: Denn in den drei so unterschiedlichen Musketieren Athos, Porthos und Aramis findet d’Artagnon Kameradschaft, Anleitung, Halt und vor allem über Gebühr loyale Freunde. Mit dieser Rüstung überstehen die vier Waffenbrüder politische Intrigen, die Feindschaft mit Kardinal Richelieu und Lady Winter, Frauenprobleme, Geldsorgen und den Krieg gegen die Hugenotten, obgleich ihr Bund nicht ewig halten soll und in den beiden Romannachfolgern noch dramatischer zerfällt.

Doch es sind primär der erste und der dritte Teil der erfolgreichen Musketier-Trilogie von Alexande Dumas dem Älteren (1802-1870), die dank der vielen Verfilmungen von „Die drei Musketiere“ und „Der Mann in der eisernen Maske“ hinlänglich bekannt sind. Auch im Comic gibt es genügend Abenteuergeschichten, die direkt oder indirekt Bezug auf Dumas’ erdachte Heldengeschichte aus dem unruhigen Frankreich des 17. Jahrhunderts nehmen, die der erfolgreiche Autor mit realen Hintergründen und Charaktervorbildern speiste. 2008 fügte der französische Comic-Künstler Nicolas Juncker der langen Liste an Adaptionen eine weitere Version in einem stark sequenziellen Medium hinzu, indem er aus der 1844 ursprünglich als Fortsetzungsgeschichte veröffentlichten Story einen 260 Seiten starken Comic-Roman machte, der jetzt bei Carlsen im Hardcover erschienen ist. 

Perspektivenwechsel 

Wer eine so stattliche Buchvorlage wie „Die drei Musketiere“ für ein anderes Medium umsetzt, muss besonders in der Kunst des Weglassens bewandert sein und ein geschicktes Händchen haben, wenn es um das Raffen und Zusammenstreichen der Vorlage geht. Das gelingt nicht jedem Regisseur oder Autor. Juncker dagegen entpuppt sich rasch als Meister der Reduktion: Denn nicht nur sein Artwork ist für ein so klassisches Mantel-und-Degen-Abenteuer ziemlich ungewöhnlich und dabei enorm reduziert – auch seine inhaltliche Komprimierung des vitalen Klassikers ist erstaunlich gut geworden. Und wer als Künstler trotz aller Kürzungen bei seiner Adaption eines so umfangreichen und einflussreichen Werks aus dem Kanon der Weltliteratur den Mut aufbringt, eine Dreiviertelseite allein der Stimmung zu verschreiben und nur ein paar Wolken über dem Schlachtfeld zu zeigen, der strotzt augenmerklich vor Selbstbewusstsein und erstarrt nicht vor dem Original oder seinen Vorgängern in Sachen Adaption.

Schon Junckers Entscheidung, nicht Dumas’ allwissenden Erzähler zu emulieren, sondern die Hochphase der Freundschaft aus d’Artagnans Perspektive zu erzählen, steht für die Beherztheit des Autorzeichners, der Geschichte studierte und als Pressezeichner und Dozent für Comics am Konservatorium von Saint-Quentin-en-Yveslines arbeitete. Dank dieser Couragiertheit und einem guten Gespür für Genre und Geschichte werden aus einer weiteren Adaption von „Die drei Musketiere“ wirklich die „Aufzeichnungen des jungen d’Artagnan“. Dadurch kann Juncker am Anfang dann auch für viel Ironie, Humor und Spritzigkeit sorgen und die angestaubte Steifheit, die das Buch sprachlich mittlerweile durchaus angesetzt hat, umschiffen. Gleichzeitig ist er ganz nahe an d’Artagnan und seinen Freunden dran. So bekommen die Musketiere ein scharfes Profil fernab aller Stereotypen, und Juncker hat überdies die Möglichkeit, den schleichenden Wandel im Tonfall der Geschichte an den Figuren festzumachen, wenn aus der leichtfüßigen Mantel-und-Degen-Kost, wie man sie aus den Filmen kennt, mit jeder Erfahrung, die d’Artagnon macht, konsequent immer mehr Düsternis auf die Seiten drängt.

Juncker gibt seiner Version der ersten Musketier-Abenteuer also auch reichlich ernüchternde und unangenehme Momente, wie Hollywood sie in der Regel eher gescheut hat. Doch bereits Dumas hat keine reinrassigen Strahlemänner als Helden seines so ungemein populären und prägenden Abenteuers installiert. Die Musketiere mögen die letzten Ritter des alten Europas und der Ehre, der Freundschaft und der Königswürde Frankreichs verpflichtet gewesen sein – doch gerade im Fall der vier Freunde hat jeder sein Laster zu tragen. Juncker scheut sich nicht, das in vielen großen und kleinen Szenen mit den ungleichen Waffenbrüdern hervorzuheben. „Die Freundschaft ist ein seltsam Ding, nicht wahr?“, bringt Aramis, der dichterischste der Vier, es gegen Ende des Bandes treffend auf den Punkt.

Optimal adaptiert

Juncker braucht nicht viele und schon gar keine unnötigen Striche oder Worte, um die Vielschichtigkeit seiner zwischen Edelmut und Treue auf der einen und persönlichen Sehnsüchten und Dämonen auf der anderen Seite pendelnden Hauptdarsteller einzufangen. Die Kompression des üppigen Romanklassikers gelingt Dumas’ 1973 geborenem Landsmann aus inhaltlicher Sicht dabei genauso gut wie der ungewöhnliche zeichnerische Ansatz. Alles an dieser Graphic Novel steht damit im Zeichen der Reduktion – und ist handwerklich so gut gemacht, dass die Reichhaltigkeit von Dumas’ Garn und seiner Charaktere dennoch stets zum Tragen kommt. Junckers Artwork und seine Aufbereitung sorgen besonders wegen des cleveren Perspektivenwechsel und unverbrauchten Stils für viel Frische, sodass diese moderne Adaption der zeitlosen Abenteuer-Schablone durchgehend begeistert und wohl zu den besten Umsetzungen des Stoffes gezählt werden darf.

Der nicht nur mit Vorfreude, sondern durchaus auch mit Skepsis erwartete 3D-Blockbuster von Regisseur Paul W. S. Anderson muss das im Herbst 2011 auf der großen Leinwand erst einmal genauso gut hinbekommen. Besser, so viel steht schon jetzt fest, geht es sowieso nicht.

Nicolas Juncker: Die Drei Musketiere. Aufzeichnungen des jungen D’Artagnan. Hardcover, 264 Seiten, Carlsen, 24,90 Euro

Mehr von unserem Autor Christian Endres findet sich auf seinem Blog: www.christianendres.de. 

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