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© Illustration: Scott Hampton

Göttercomics: Hammergeschichten

Germanische Mythen und Sagen geben Stoff für neue Comicbücher - und für einen Film über den Donnergott Thor. Mit dabei: Natalie Portman.

Ein Hammer fliegt im weiten Halbrund. Die Waffe des Donnergottes Thor hinterlässt in zwei geteilte Leichen. Nebenan hat sich ein Wikinger in einem Tierkadaver versteckt. Als die Feinde näher kommen, springt er blutüberströmt hervor und lässt sein Schwert kreisen.

Die nordische Sagen- und Götterwelt war nie bekannt dafür, zimperlich mit der Darstellung von Gewalt umzugehen. Inzwischen hat auch die amerikanische Comicindustrie das Action-Potenzial dieser Geschichten erkannt. Zwei Comicbücher zum Thema kommen jetzt in Deutschland auf den Markt. Und auch Hollywood zieht nach. Derzeit wird die Marvel-Serie „Thor“ verfilmt, mit Natalie Portman in einer der Hauptrollen.

Es scheint, als habe die nordische Mythologie derzeit der griechischen und anderen den Rang abgelaufen. Die eingangs beschriebene Hammer-Szene stammt aus der abgeschlossenen Saga „The Life Eaters“ des amerikanischen Science-Fiction-Autors David Brin. Der entwickelt eine klassische „Was-wäre-wenn“-Story mit ziemlich fantastischer Ausgangsvoraussetzung: Mit Hilfe schwarzer Magie haben di

e Nationalsozialisten die alten nordischen Götter zum Leben erweckt. Zwischen zivilisatorischer Technik und kleinen Menschlein stechen die aus dem Okkultismus der Nazis geborenen bärtigen Riesen aus den detailreichen Zeichnungen von Scott Hampton hervor.

Krieg zwischen Freiheit und Magie

Als Grundlage für die Saga diente die Erzählung „Thor meets Captain America“, die Brin Mitte der 80er Jahre für eine Sammlung von Kurzgeschichten beigesteuert hat, die unter dem Thema „Hitler Victorious“ standen, einer Anthologie von „Was-wäre-wenn“-Geschichten. Die Anlehnung des Titels an Marvels Superhelden Thor und Captain America ist sicherlich nicht zufällig, auch wenn Brin im Laufe von „The Life Eaters“ seine Superhelden entmystifiziert.

Und nicht nur die. Der promovierte Physiker Brin entmystifiziert die gesamte Welt der Magie, indem er den Krieg zwischen den Nazis und der „Freien Welt“ zu einem „Krieg zwischen Freiheit und Magie“ erklärt. „Es gibt das Grundbedürfnis nach Spiritualität als Kompensation unserer technischen Welt“, sagt der Soziologe Michael Kohlstruck, der an der TU Berlin zur Mythologisierung im Nationalsozialismus geforscht hat. Dabei sei es doch die technische Entwicklung, die unsere Zivilisation vorangebracht hat.

Insofern entlarvt Brin die Spiritualität als Flucht vor uns selbst, vor unserer eigenen Verantwortung. Er gibt sich überhaupt nicht die Mühe, die Botschaft von „The Life Eaters“ zu verstecken. An mancher Stelle trägt die erzählerisch ansonsten sehr komplexe Geschichte sie sogar allzu offensichtlich vor sich her. Und wer es am Ende immer noch nicht verstanden hat, den klärt Brin in seinem Nachwort auf: „Wer wird wohl unsere Zivilisation retten, den Planeten, die Zukunft unserer Kinder? Aufdringliche Außerirdische? Gestalt gewordene Beschwörungsformeln? Superhelden? Oder wir? Ich muss mich wohl für meinen Optimismus entschuldigen. Aber müsste ich wetten … ich würde alles auf uns setzen.“

Eroberungen, Invasionen, all der Mist

Weniger vorwärts gewandt ist das zweite und zugänglichere der beiden neuen Mythen-Bücher, das bei Vertigo erschienene „Northlanders“ des amerikanischen Autors Brian Wood. Wood hält nicht viel von schnörkeligem Erzählstil, sondern zeigt die Invasion der Orkney-Inseln im Jahr 980 nach Christus durch die Sachsen in teils drastischen Bildern. „Härter als Conan und blutiger als ‚300’“ steht als Werbung auf dem Buchrücken – auch wenn dieses zweifelhafte Qualitätsmerkmal so nicht zutrifft. Frank Miller hat in seinem Sparta-Reißer „300“ das Blut in mindestens ebenso rauen Mengen fließen lassen.

Egal, „Northlanders“ ist gelungene Unterhaltung. Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine Zeit am Übergang zwischen Aberglaube und Vernunft. Nun ja, manchmal ist sie sogar etwas zu vernünftig. „Ich habe das nie begriffen… Eroberungen, Invasionen, all der Mist. Kann man denn nicht mit dem zufrieden sein, was Gott einem gegeben hat?“ sinniert ein Sachse in Kampfmontur, nachdem sein Stamm die Schlacht um die Inseln gewonnen hat.

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Wild. Coverdetail einer Djurdjevic-Titelbild-Sammlung. -

© Illustration: Marko Djurdjevic

Die auch auf die heutige Zeit übertragbare Gesellschaftskritik wirkt aus dem Munde dieses rauen Kriegers etwas deplatziert. „Auf einem sozio-politischen Level kann ich einige Parallelen von damals zu heute ausmachen“, verteidigt Wood seine Herangehensweise auf Myspace Comic Books. „Terrorismus, das Aufeinanderprallen der Kulturen, alt gegen neu, kriegsführende Staaten, die sich gegenseitig erobern und kolonisieren. Dadurch, dass die Vergangenheit ein Fenster zur Zukunft ist, dass Geschichte dazu verdammt ist, sich zu wiederholen, schaut man, indem man zurück schaut, eigentlich nach vorne.“ Damit wählt er den entgegengesetzten Weg zu seinem größten Erfolg bisher, der Serie „DMZ“, die New York in der nahen Zukunft inmitten eines zweiten amerikanischen Bürgerkrieges zeigt.

Asgard in Oklahoma

New York, die vor allem in den Superheldenerzählungen von Invasionen und Katastrophen ständig geplagte Stadt, war lange auch das Zuhause von Marvels „Thor“. Inzwischen hat der Donnergott die Stadt der nordischen Götter, Asgard, nach Oklahoma verfrachtet und kämpft um das Vertrauen seiner Gefolgschaft. Sein finsterer Halbbruder Loki hat ein weiteres Mal das Misstrauen unter den Göttern geschürt.

Auch ein Berliner spielt eine große Rolle in dieser Welt: Der Zeichner und Künstler Marko Djurdjevic setzt Thor anschaulich in Szene.

Berlinale 2008
Bald an Thors Seite: Die Schauspielerin Natalie Portman. -

© ddp

Der 31-Jährige hatte sich bisher vor allem als Coverzeichner einen Namen gemacht (zum Tagesspiegel-Porträt Djurdjevics geht es hier). Inzwischen zeichnet er aber auch die Geschichten des Marvel-Dauerbrenners, von dem in Amerika – inklusive aller Neustarts – schon über 600 Nummern erschienen sind. Auf Deutsch sind die Djurdjevic-Geschichten allerdings noch nicht zu haben.

Erfolgreiche Bildergeschichten haben gerade in den letzten Jahren auch den Weg auf die große Leinwand gefunden – die Comic-Normannen sind da keine Ausnahme. Marvel macht sich derzeit mit seinem eigenen Filmstudio an die Umsetzung von „Thor“. Regisseur Kenneth Branagh hat sich bisher vor allem mit Shakespeare-Verfilmungen wie „Hamlet“ und „Viel Lärm um nichts“ einen Namen gemacht. Die Besetzung lässt hoffen: Hauptdarsteller Chris Hemsworth und Tom Hiddleston alias Loki bekommen einen prominenten weiblichen Star an ihre Seite: Die zarte Natalie Portman ist als Krankenschwester Jane Foster mitten im Geschehen, wenn Thor den Hammer fliegen lässt.

Der janusköpfige Hammer

Eben der Hammer ist übrigens Teil einer Symbolik, die der Soziologe Kohlstruck als „janusköpfig“ bezeichnet. Unter Metalfans – gleich welcher politischen Gesinnung - ist der Hammer ein beliebtes Symbol. Doch auch Neonazis tragen ihn. Der Germanenkult wurde gerade im Dritten Reich genüsslich inszeniert. „Es ist erstaunlich, welche Kontinuitäten die Nationalsozialisten herstellten.“ Daraus, dass die Germanen treu, tapfer und ehrenvoll gewesen sein sollen, hätten die Nationalsozialisten ihre Rolle als „Herrenvolk“ hergeleitet.

Des Nazitu

ms verdächtig macht sich jedoch keiner, der sich „Thor“, „Northlanders“ oder „The Life Eaters“ zu Gemüte führt. Eher einer gewissen Bodenständigkeit: „Die germanischen Sagen und Mythen bedienen vor allem den Drang nach Authentizität“, meint Kohlstruck. Was das bedeutet? Leben im Einklang mit der Natur, arbeiten mit ehrlicher Muskelkraft und – na klar – den Hammer schwingen.

Wood, Brian: „Northlanders“ Teil 1: Sven, der Verräter. Vertigo, Softcover, 196 Seiten, 19,95 Euro.

Straczynski, J. Michael; Coipel, Olivier: “Thor”. Panini, Paperback, je 100 Seiten, 12,95 Euro.

Brin, David; Hampton, Scott: “The Life Eaters”, Cross Cult, Hardcover, 160 Seiten, 25 Euro.

Matthias Jekosch

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