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Unbeholfen: Im Zentrum der Erzählung steht die junge Verkäuferin Amy Breis.

© Carlsen

Graphic Novel: Abenteuer Weltschmerz

Im Netz von Mr. Dangerous: Paul Hornschemeiers neue Graphic Novel erkundet das Gefühlsleben einer jungen Frau. Pate stand dabei neben den Comic-Künstlern Daniel Clowes und Chris Ware auch ein kostümierter Superheld.

Im Nachwort zu seinem Langform-Debüt von 2003 „Komm zurück, Mutter“ (auf Deutsch 2007 erschienen) dankt Autor Paul Hornschemeier unter anderem der isländischen Musikformation Sigur Rós - er hatte beim Anhören ihrer Musik große Teile seines melancholischen Comics über einen ohne seine Mutter aufwachsenden Jungen gezeichnet. Betrachtet man das Promo-Video, welches anlässlich der Veröffentlichung der jetzt auf Deutsch erschienenen Erzählung „Mein Leben mit Mr. Dangerous“ veröffentlicht wurde, mag man durch die unterlegte Musik von Houses eine Art Déjà-vu-Effekt erleben: Stilistisch ist der für den Clip genutzte Song nicht sonderlich weit weg vom Ouevre der schwermütigen Isländer.

Hornschemeiers neuer Comic erzählt vom Weltschmerz der Einzelhandelsangestellten Amy Breis. Auf Grund eines Umzuges ist sie von ihrem langjährigem Freund Michael getrennt und fühlt sich einsam. Häufige Telefonate oder das exzessive Ansehen ihrer Lieblings-Trickfilmserie im TV, die in ihrer Absurdität mitunter wie John Kricfalusis beste Arbeiten wirkt, sollen diesen für sie immensen Verlust kompensieren. Unterbrochen von halbherzigen Kontaktversuchen zu ihren Mitmenschen, die durch eine negative Konnotation ihrer Vergangenheit, vornehmlich ihres Beziehungslebens, erschwert werden, treibt sie ihrer selbst unsicher und ziellos auf ihren sechsundzwanzigsten Geburtstag zu.

Laut eigener Aussage von Daniel Clowes als auch Chris Ware beeinflusst, was anhand klarer Linienführung sowie separierter Flächen erkennbar ist, sind vermutlich aber ebenso Spider-Man und der Zahnarzt von Hornschemeier nicht ganz unschuldig am künstlerischen Endresultat. Nach einer erfolgreichen Kontrolluntersuchung bekam der junge Paul nämlich in Kindheitstagen von besagtem Dentisten ein Comic-Heft geschenkt. Darin waren einige der Spider-Man-Storys von Stan Lee und Steve Ditko aus den 1960er Jahren nachgedruckt. Für Hornschemeier sind diese Geschichten nach wie vor großartig: „My favorite Marvel comic of all time is still probably Steve Ditko's run on Spider-Man. It just has the perfect, melting reality to it“ sagte er 2009 in einem Interview mit marvel.com.

Beziehungsprobleme: Eine Szene aus dem besprochenen Buch.
Beziehungsprobleme: Eine Szene aus dem besprochenen Buch.

© Carlsen

Durchwirkt von einer Mischung aus Traurigkeit und Selbstironie, etwas, was Hornschemeier an Ditkos Spider-Man-Version ebenfalls schätzt, kippen auch in Amys Leben die sehr statisch gehaltenen Alltagsepisoden in surreale Momente um. Sich in der zeichnerischen Ausführung abhebend, sind diese allerdings stilistisch nicht mehr derart stark vom restlichen Umfeld abgegrenzt wie noch im Vorgängerwerk „Die drei Paradoxien“ (2007/D 2009), welches das Cover-/Remix-/Samplingprinzip der Popmusik auf den Comic anwandte. Es entsteht eher eine Verschmelzung der Realitäten, die Amy durchlebt.

Neben Ausschnitten aus der TV-Serie bilden Dialoge mit den eigenen Zähnen bezüglich des Verzehrs von Speiseeis einen Teil der Vorstellungswelt von Amy ab. Auch die Protagonisten der Mr. Dangerous-Serie besitzen Köpfe, die ebenfalls zuerst an Zähne, jedoch auf der Erde liegend und von ihren Körpern abgetrennt, an dreidimensionale Sprechblasen erinnern. Über den Boden verstreut sehen sie aus wie die oft unbeholfenen Kommunikationsversuche von Amy in Richtung Michael, während im gesamten Comic oft nicht oder nicht vollständig lesbare Sprechblasen dieses von Amy gezeichnete Bild unterfüttern. So entstehen weitere Momente von Distanz, Beliebigkeit und Entfremdung, mit denen Hornschemeier die Balance zwischen zwischen Ironie und Tragik aufrecht erhält, die bereits Teile seines bisherigen Werkes auszeichneten.

Kopf hoch: Das Covermotiv des Bandes.
Kopf hoch: Das Covermotiv des Bandes.

© Carlsen

Das wird besonders am Ende dieser sich scheinbar in Wohlgefallen auflösenden Geschichte und ihrem vermeintlichen Happy End deutlich. Amy bekommt, was sie will, aber ihre eigenen Versuche, ihrem disparaten Zustand etwas aus eigener Kraft entgegen zu setzten, sind damit als erfolglos deklariert.

Nach der überbordenden Tragik in „Komm zurück; Mutter“ und den experimentellen Exzessen in „Die drei Paradoxien“ scheint Hornschemeier nun zu einer ausgewogenen Schnittmenge aus beidem gefunden zu haben. Eine Ausstellung seiner Werke im Jahr 2007 trug übrigens den Titel „Adventures in Weltschmerz“, welcher ebenso gut als Überschrift für einige Spider-Man-Erzählungen aus dessen Frühphase taugen würde. Thwip.

Paul Hornschemeier: Mein Leben mit Mr. Dangerous, Carlsen, 160 Seiten, 19,90 Euro

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