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Heldin Immy ist die Anti-Carrie.

© Atrium

Graphic Novel: Miss Misery

Wider den herrschenden Fun-Fun: Die Graphic Novel „Immy and the City“ will die traurigste Geschichte der Welt erzählen – und zerlegt dabei mal eben sicher geglaubte Marktmechanismen.

Sie hat kein Glück, dafür viel Grau. Sie lebt in einer hässlichen Stadt, hat keinen Freund, aber einen schlimmen Bürojob: „Ein Albtraum von montags bis mittwochs. Eine Tragödie von donnerstags bis freitags.“ Das ist Immy, die Heldin in Mimi Welldirtys beeindruckendem Debüt „Immy and the City. Depresso to go“, einer schwer melancholischen, streckenweise erdrückend traurigen Geschichte darüber, wie ein Einzelner an den Ungerechtigkeiten des Lebens verzweifeln kann. An den Verwandten, die versprechen, niemals zu sterben, und es dann doch einfach tun. An dem besseren Leben, auf das man schon ewig wartet und das sich partout nicht einstellen will.

Die Autorin inszeniert Immy als eine Art Gegen-Carrie-Bradshaw, eine Frau, die Sorgen nicht einfach wegfeiern kann, die ihr Leben als Aneinanderreihung von Enttäuschungen, Niederlagen und Demütigungen begreift. Dabei kommen Immy - und das macht dieses Werk so unbedingt empfehlenswert - ständig originelle Gedanken und Bilder. „Wir haben gelernt, Schmerzen anzunehmen. Aber wann lernen wir, sie wieder loszulassen?“ Nein, so einen Satz wird Carrie sicher nie in ihren Laptop hacken.

Immy unterhält sich mit imaginären Freunden. Eines Abends glaubt sie, mit ihrer großen Liebe Elliott zu telefonieren. Das ist Elliott Smith, der vor sieben Jahren verstorbene US-Songwriter, der selbst lange mit Depressionen, aber auch mit viel Alkohol und Drogen lebte, irgendwann von einer Klippe sprang, ohne sich ernsthaft zu verletzen, und sich am Ende erstach. Elliott Smith ist Immys große Sehnsuchtsfantasie, und natürlich löst er sich bald in Luft auf. Die Probleme nicht, die nehmen bloß zu.

Wahrscheinlich ist es kaum möglich, „Immy and the City“ nicht wunderschön zu finden. Die Zeichnungen und Texte sind überwiegend düster gehalten, aber auch hoch ästhetisch und anmutig. Und sie zeigen, dass Schwermut nichts per se schlechtes ist, sondern manchmal einfach da.

Immys Leidensorgie ist nur die eine spannende Geschichte. Die andere ist, wie das Buch überhaupt zustande kam. Mimi Welldirty, die Kölner Autorin und Zeichnerin, Jahrgang ´76, ist nämlich keine Comic-Insiderin, sondern so ziemlich alles andere: Studiomusikerin, Illustratorin, Fotografin, Werbetexterin, Komponistin. Sie sang in Fernsehspots für C&A, Lenor und Dr. Oetker, ihre Sprechstimme bewarb schon Sahnecreme von Landliebe („Für den Sommer haben wir uns was Neues ausgedacht: Unsere fruchtige Sahnecreme mit Fruchtmus“), und so unwahrscheinlich es auch klingen mag – selbst das hat Mimi Welldirty verdammt gut gemacht.

Ihre Comicerfahrungen beschränkten sich dagegen lange auf das Verschlingen von Walter Moers- und Ralf König-Bänden. Umso spannender, wie sie ihre eigene Buchidee Stück für Stück entwickelte, über Jahre am Konzept feilte, Rückschläge in Kauf nahm und nie von ihrem Fernziel einer Veröffentlichung abließ. Man kann das alles detailliert nachlesen, denn irgendwann startete Welldirty einen Blog, in dem sie genau protokollierte, wie „Immy and the City“ langsam, ganz langsam Form annahm, wie sie überlegte, wie man das Ding eigentlich nennen sollte, Comic oder Graphic Novel, und ob man es überhaupt nennen muss. Die Autorin beließ es schließlich bei „Bilderbuch für Erwachsene“, traute sich, ihre Idee im Comicforum Fremden zu präsentieren, bekam Zuspruch, stellte eine Liste mit 27 Verlagen von Carlsen über Cross Cult bis KiWi zusammen, die für eine Veröffentlichung infrage kämen. Dann schrieb sie einen nach dem anderen an – und die lehnten nacheinander ab, weil „Immy and the City“ zwar gefalle, aber schlicht nicht ins Programm passe, zu „traurig“, zu „selbstzerfleischend“ sei. „Für den Geschenkbuchbereich ist die Geschichte nicht lebensfroh genug“, schrieb ein großer Verlag, und in Welldirty wuchsen die Zweifel, ob sie wirklich noch mehr Energie in dieses Projekt stecken, nicht besser einfach aufgeben sollte. „Mein Problem ist nur, dass ich den Aus-Knopf nicht finde“, schrieb sie einmal in ihren Blog. Ein Glück, dass sie ihn nicht fand.

Wie Mimi Welldirty schließlich mit dem Atrium-Verlag aus Zürich in Kontakt kam, warum sie mit 15 Monaten Verspätung doch noch ihre Release-Party feiern konnte und wie sie nun mit dem Erstlingswerk durch Deutschland reist, kann man ausführlich hier nachlesen.

Mimi Welldirty: Immy and the City. Depresso to go, 128 Seiten, 14,90 Euro, Atrium. Eine Leseprobe gibt es hier.

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