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Verbannt. Eine Doppelseite aus dem Buch.

© Schreiber & Leser

Graphic Novel: Verdrängte Erinnerung

Die Erzählung „Insel der Männer“ handelt vom Schicksal homosexueller Männer unter Mussolini. Ästhetisch reizvoll und erzählerisch komplex nähern sich Sara Colaone und Luca De Santis einer Vergangenheit, deren Folgen bis in die Gegenwart reichen.

Zwischen 1938 und 1943 wurden in Italien homosexuelle Männer auf eine im Süden des Landes gelegene Insel deportiert. Bis 1938 noch unter Hausarrest gestellt, begann man von diesem Zeitpunkt an, die vom herrschenden faschistischen Regime und einem Großteil der Bevölkerung als „feminin“ empfundenen Männer systematisch zu verbannen. In ihrer Graphic Novel „Insel der Männer“ beschäftigen sich Zeichnerin Sara Colaone und Autor Luca De Santis mit diesem bislang in Italien nur in einigen wenigen Büchern und Filmen dargestellten Thema.

1987: Zwei junge Filmemacher versuchen ein Interview mit Ninella zu machen, einem der letzten Zeitzeugen, der die Deportationen und Internierungen homosexueller Männer unter Benito Mussolinis Herrschaft noch selbst erleiden musste. Dieser durchlebt dabei nicht nur seine bislang unter Verschluss gehaltene schmerzhafte Vergangenheit von neuem. Der Versuch der beiden Filmschaffenden, „Material zu sammeln“, wie es einer der beiden lapidar ausdrückt, erzürnt Ninella, der seine fünfundsiebzig Lebensjahre nicht als Material begreift. So kommt es schon bald zu einem Konflikt zwischen den jungen Männern und ihrem Interviewpartner, bei dem gleichzeitig lange verdrängte Erinnerungen an die Zeit auf der Insel geweckt werden.

Es liegt nah, die Quelle des Streits, der auch ein Generationskonflikt ist, als Resultat der Erfahrungen des Videokünstlers De Santis im Fernsehgeschäft zu bewerten. Der war früher für TV-Sender wie MTV Italy und Comedy Central sowie die holländische Produktionsfirma Endemol tätig  - deren erfolgreichste Sendung bekanntlich „Big Brother“ war. Die Sequenzen, die Ninellas wiedergeholt geäußertes Unbehagen durch den Sucher der Filmkamera zeigen, sind ein deutliches Indiz dafür. 

„In Italien gibt es nur echte Männer“

Durchweg in schwarz-weiß gehalten werden durch dieses Stilmittel Ninellas Erinnerungen von den Ereignissen im Jahr 1987 separiert. Konträr zu den von Film und Fernsehen der Gegenwart entlehnten Bildformaten zeigt der oft grobkantig wirkende Zeichenstil Sara Colaones eine grafische Verwandtschaft zu skizzenhaften Modeillustrationen bereits vergangener Epochen. Colaone, Dozentin für Comics und Illustration an der Akademie der Schönen Künste in Bologna nutzt diese nostalgisch daherkommende Stilistik und lässt die schwarz-weißen Bilder mit ihrem illustrativen Charakter durch Duoton-Kolorationen in Ocker zusätzlich patiniert erscheinen. Dadurch entsteht ein ästhetisch reizvolles und ebenso kontrastreiches Panorama der italienischen Gegenwart: Generationsübergreifend wird eine bislang so gut wie unbewältigte Vergangenheit mit sich herumgeschleppt.

Der Titel des Originals „In Italien gibt es nur echte Männer“ bezieht sich auf einen Ausspruch Benito Mussolinis. Dieser steht nach Ansicht von Colaone und De Santis bis heute signifikant für den Umgang mit homosexuellen Männern in Italien. Nicht nur, dass Mussolini die bloße Existenz homoerotischer Beziehungen unter Männern leugnete - auch der im Comic selbstverständlich inoffizielle behördliche Umgang mit homosexuellen Männern weist auf ein nicht nur unter den Faschisten propagiertes italienisches Männlichkeitsideal vom Eroberer hin, denn dem damals praktizierte Deportationsverfahren wurde nur passive Homosexuelle unterworfen. Diese wurden an beliebten Treffpunkten der Schwulenszene von vorgeblich an einem amourösen Abenteuer interessierten Polizeispitzeln in die Arme der Justiz gelockt.

Bis heute leben viele der Opfer isoliert

In De Santis und Colaones Graphic Novel fällt auch Ninella dieser Praxis zum Opfer und wird daraufhin, nach einer erniedrigenden Untersuchung durch die Behörden, auf die Insel verbannt. Während Ninella während der Zeit seiner Internierung wenigstens als Schneider für Wachpersonal und Gefangene tätig werden darf, ist die Mehrzahl seiner Mitgefangenen zur Untätigkeit gezwungen. So fühlen sie sich zu nutzlosen Mitgliedern der Gesellschaft stigmatisiert. Wie Ninella stammen fast alle von ihnen aus kleinen Dörfern und wurden bereits innerhalb ihres beruflichen, persönlichen und familiären Umfeldes durch den Vollzug der Deportation zur Persona non grata deklariert.

Colaone und De Santis verwenden diese prägenden Erlebnisse auf dem verkarsteten Eiland als bildsprachliches Synonym. Es spiegelt sich durch die raue Strichführung als topographische Metapher in den Gesichtern ihrer Protagonisten wieder. Und auch auf dem Festland treibt das Erlebte viele der vorher Internierten bis ins hohe Alter zu einem zurückgezogenen Leben, aus dessen Isolation sie auch im postfaschistischen Italien kaum auszubrechen vermögen. 

Am Ende der Geschichte führt ein offenes Gespräch zwischen Ninella und seinen Befragern zu einer Beilegung der während der Aufnahmen entstandenen Differenzen. Gleichzeitig befreit diese Aussprache einen der beiden jungen Männer von einem quälenden Geheimnis und verhilft auch Ninella zu etwas Frieden. Der Schluss unterstreicht somit noch einmal die dringende Notwendigkeit einer immer noch zu schaffenden Öffentlichkeit im Italien der Gegenwart. Das zeigt auch Andreas C. Knigges Nachwort. Er  beleuchtet die gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Hintergründe dieser nicht nur für Italien wichtigen Graphic Novel, wie sein länderübergreifender Blick in die deutsche Geschichte beweist.

Sara Colaone und Luca de Santis: Insel der Männer, Schreiber & Leser, 176 Seiten, 18,80 Euro. Mehr unter diesem Link. 

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