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Graphic Novels Flyer

© promo

Graphic Novels: Wer hat Angst vor Micky Maus?

Comics haben in Deutschland ein Imageproblem: Sie gelten als Kinderbücher. Doch seit geraumer Zeit geistert ein Zauberwort durch die Verlagswelt. Der Begriff "Graphic Novel", also grafischer Roman, soll verdeutlichen, dass gezeichnete Bücher durchaus Anspruch haben können – was Comic-Fans schon lange wussten.

Marjane Satrapi, Autorin von "Persepolis", geriet fast in Rage - mit einem Lächeln. "Ich mache Comics!", rief sie bei einem Vortrag in Berlin. In dem Begriff Graphic Novel sehe sie keinen Gewinn, der sei nur dafür da, damit Leute sich nicht mehr schämen müssten, wenn sie Comics im Regal stehen haben. Und das ist tatsächlich immer noch das Problem von Comics, besonders in Deutschland: Sie behandeln wie Literatur und Film ein nahezu endloses Themenfeld und sind in so verschiedenen Stilen gezeichnet, dass sie kaum noch zum selben Medium gehören – aber die Öffentlichkeit denkt bei dem Wort Comics immer noch an Micky Maus.

Nun haben einige deutsche Verlage eine Allianz geschmiedet, um Comics einem erwachsenen Publikum schmackhaft zu machen. Unabhängige Verlage wie Reprodukt und Edition Moderne haben mit Großen wie Carlsen ein übergreifendes Webportal und ein Informationsblatt erstellt, das erklärt, wie Graphic Novels funktionieren.

Dabei geht es nicht zuletzt um die Eroberung des Buchhandels. Denn da müssen die Comics stehen, um ein größeres Publikum zu erreichen. Viele Läden tun sich schwer mit dem großen Format und dem Dünkel der Literaturszene. Aber dass Bildergeschichten sich verkaufen können, wenn sie aus dem Comic-Ghetto entkommen, hat zuletzt "Persepolis" bewiesen. Nun fangen auch die großen Publikumsverlage an, sich für Comics zu interessieren – nach Fischer und Ueberreuter folgen nun auch Kiepenheuer&Witsch. Im Grunde vollzieht sich unter dem Schlagwort "Graphic Novel" ein Wandel in Deutschland, der in den USA bereits vor dreißig Jahren einsetzte.

Geschichte wiederholt sich

Will Eisner Contract
Die erste Graphic Novel: A Contract With God. -

© DC Comics

Als Will Eisner 1978 auf seine Sammlung von vier gezeichneten Kurzgeschichten die Unterzeile "A Graphic Novel" mit aufs Cover setzte, ging es auch um eine öffentliche Positionierung. Der Erfinder der wegweisenden "Spirit"-Reihe wollte vermeiden, dass "Contract With God" als "Comic Book" tituliert wird - denn komisch war an den Porträts des jüdischen New Yorks wirklich wenig. Das Buch erhielt gute Kritiken und wurde tatsächlich Auslöser dafür, dass Comics auch in den amerikanischen Buchläden ihren Platz fanden – und nicht wie vorher ausschließlich als dünne Heftchen im Zeitschriften- und Fachhandel.

"Graphic Novel" sollte andeuten, dass es um eine abgeschlossene Geschichte geht, die wie ein Roman ernsthaft ein Thema behandelt. In der Folgezeit boomte der Begriff, sowohl einzelne Alben als auch Sammelbände von Heftserien verwendeten das Schlagwort – so dass es eigentlich immer weniger eine inhaltliche Beschreibung war als eine formelle: ein langes, abendfüllendes Comic-Buch. Der Begriff half dabei, dass sich Comics in der Öffentlichkeit als eigene Kunstform etablierten und ernst genommen wurden. Art Spiegelmans "Maus" gewann 1986 den Pulitzer-Preis. Neil Gaimans "Sandman" erreichte Platz 20 der Bestsellerliste der "New York Times". Alan Moores "Watchmen" wurde vom "Time Magazine" in die Liste der hundert besten Romane aufgenommen.

Graphic Novels
Ein Flyer führt in Comic-Form ins Genre ein. -

© promo

Vielfalt boomt

Bis in Deutschland die ersten Comics in Literaturlisten auftauchen, dauert es wohl noch. Unter dem Begriff Graphic Novel ist in letzter Zeit immerhin eine nie gesehene Vielfalt von Comics erschienen: von Biographien (wie "Cash" von Reinhard Kleist) über Buchadaptionen (Isabel Kreitz: "Die Entdeckung der Currywurst") und historische Romane (Jason Lutes: "Berlin") bis zu persönlichen Alltagsgeschichten (Flix, Mawil). Auch stilistisch treffen Welten aufeinander, von amerikanischen Superhelden (oder ihrer Neuerfindung in Frank Millers "Die Rückkehr des dunklen Ritters") bis zu japanischen Mangas, die über unser Manga-Bild hinausgehen (Osamu Tezuka: "Adolf"). Die französischen Erben der Ligne Claire (Manu Larcenet: "Der alltägliche Kampf") laufen ebenso unter Graphic Novel wie Kunst- und Autorenstile (ein Meisterwerk: Craig Thompsons "Blankets").

"Es gibt so viele verschiedene Genres", sagt der Berliner Zeichner Markus "Mawil" Witzel, der für den Tagesspiegel alle vier Wochen einen Sonntags-Comic zeichnet. "Du kannst ja auch nicht sagen, du magst keine Filme. Man müsste die Leute an die Hand nehmen und im Comic-Laden nach ihrem Lieblingsfilm fragen - und ihnen dann was zeigen." Der Autor von "Wir können ja Freunde bleiben" und "Die Band" hat nichts gegen die Bezeichnung Graphic Novel: "Wenn das hilft, Leuten Comic nahezubringen, können die Verlage von mir aus gerne diesen Kampfbegriff anwenden. Aber ich will das nicht auf dem Buchcover stehen haben, das klingt zu künstlerisch. Ich mache ja eher Alltagsgeschichten."

Auch Barbara Yelin, diesjährige Gewinnerin des Nachwuchs-Comic-Preises der Deutschen Buchmesse, kann sich mit der Bezeichnung anfreunden, sieht darin aber eher ein Untergenre des Comic. "Generell finde ich es gut, wenn wir Zeichner zeichnen - und andere Leute können das dann mit Begriffen versehen." Für vieles, was sie macht und was in ihrem künstlerischen Bekanntenkreis entsteht, ist schon der Begriff Comic zu klein.

Peer Göbel

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