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Fatale Beziehung: Eine Doppelseite aus dem zwölften Band - zum Vergrößern auf das Plus-Zeichen klicken.

© Tokyopop

„Gute Nacht , Punpun“: Der alltägliche Kampf

Inio Asanos Mangaserie „Gute Nacht , Punpun“ fasziniert durch Einblicke in eine dunkle Seele und zeichnerische Kontraste. In Kürze erscheint der abschließende 13. Band

Komischer Vogel, trauriger Vogel. Der Junge namens Punpun ist nur in Umrissen gezeichnet, ein gestrichelter Vogelkörper mit Schnabel, mehr sieht man lange nicht von ihm. Und lernt doch im Verlauf der 13 Bände von „Gute Nacht, Punpun“ sehr viel darüber, wie es ihm geht, und was ihn umtreibt – mehr als man anfangs eigentlich erfahren möchte. Denn um die Hauptfigur ist es nicht gut bestellt: Die Mutter eine suizidale Alkoholikerin mit extremen Stimmungsschwankungen, der als Ersatz für den gewalttätigen Vater fungierende Onkel ein unreifer, vom Leben überforderter Glückssucher. Und auf Punpuns vermeintliche Schulfreunde ist auch nicht wirklich Verlass. Und dann ist da noch Aika, die große Liebe seines Lebens, zu der er sich nie bekennt und mit der er konsequent jede Chance verpasst, wenigstens einen Zipfel vom Glück zu erheischen.

Tieftraurig ist diese Manga-Reihe, die in Japan von 2007 bis 2013 veröffentlicht wurde, melodramatisch, oft auch kitschig. Jeder aufkeimenden Hoffnung folgt eine Enttäuschung. Und doch entfaltet „Gute Nacht, Punpun“ einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann: Der Mitte April auf Deutsch erscheinende abschließende 13. Band wird von vielen Lesern mit Spannung erwartet. Denn Inio Asano kann, das kennt man von seinen anderen Erzählungen, jede noch so düstere, deprimierende Geschichte auf formal und inhaltlich so ausgefeilte Art zu erzählen, dass es eine Freude ist. Wenn auch eine mit bitterem Beigeschmack.

Neben den Einblicken ins Seelenleben der naiven, weltfremd wirkenden Hauptfigur erklärt sich die Faszination dieses Coming-of-Age-Dramas auch aus dem zeichnerischen Kontrastprogramm: Hyperrealistische, filigran gezeichnete Kulissen und fein modellierte Figurenporträts auf höchstem handwerklichen Niveau treffen auf einen groben, nachlässig wirkenden Strich, mit dem Punpun und seine Familie dargestellt werden.

Das erzeugt auch visuell ein starkes Gefühl von Entfremdung, zugleich lädt es zur Projektion ein. Der als Individuum zumindest zeichnerisch nur angedeutete Punpun ist ein Jedermann, ein Junge mit großen Schwächen und Ängsten, in dem der Leser Anteile von sich selbst oder ihm bekannten Menschen entdecken kann, auch wenn’s weh tut.

Im Verlauf der Bücher gewinnen Punpun und seine Strichmännchen-Familie dann allerdings zeichnerisch und vor allem erzählerisch an Kontur. Bei Gefühlsausbrüchen oder anderen Momenten intensiver Emotionen zeichnet Inio Asano sie zunehmend realistisch, oder zumindest Teile von ihnen, was visuell den Eindruck intimer Nähe evoziert. In anderen Momenten gibt er seiner Hauptfigur dann wieder das Aussehen geometrischer Formen, was beim Lesen anfangs irritiert, aber als Ausdruck der gestörten, unausgeglichenen Persönlichkeit Punpuns konsequent erscheint.

Dass der 1980 geborene Inio Asano ein begnadet zeichnender Analytiker des Seelenlebens vor allem jüngerer Menschen ist, hat er bereits in mehreren kürzeren Manga-Erzählungen demonstriert. „Gute Nacht, Punpun“ ist sein Opus Magnum, das alleine schon aufgrund seiner Länge von insgesamt rund 3000 Seiten noch mehr in die Tiefe geht als seine ebenfalls nicht gerade oberflächlichen kürzeren Erzählungen wie „Solanin“, „What a Wonderful World“ oder „Sun Village“ .

Stufen der Eskalation: Eine Doppelseite aus Band 12.
Stufen der Eskalation: Eine Doppelseite aus Band 12.

© Tokyopop

Nebenbei seziert er ein weiteres Mal jenes Phänomen, von dem sich die japanische Gesellschaft in den vergangenen Jahren zunehmend herausgefordert fühlt: „Hikikomori“ werden junge Menschen genannt, die sich in ihre eigene Fantasiewelt zurückziehen und sich dem verweigern, was die Gesellschaft für sie als Schul- und Berufslaufbahn vorgezeichnet hat.

In Punpuns Fall sind es anfangs seine zerrüttete Familiensituation und die Pubertät, später der holprige Übergang ins Erwachsenen- und Berufsleben, die ihn zum zunehmend zur Gewalt neigenden Sozialphobiker machen. Da helfen auch die Zwiegespräche mit Gott und andere Formen der Realitätsflucht nicht weiter.

Inio Asano lässt sich und dem Leser viel Zeit, in die abschreckend-faszinierende Gedankenwelt des Protagonisten einzutauchen. In ausführlichen Monologen nehmen wir Anteilen an seinen Stimmungsschwankungen zwischen Selbsthass und Selbstüberschätzung, zwischen dem Wunsch, zu seiner Umwelt dazuzugehören und der totalen Geringschätzung für seine Mitmenschen.

Dass die Geschichte über die lange Strecke trägt, liegt auch an den wechselnden Perspektiven und daran, dass wir den Alterungs- und, nun ja, Reifungsprozess der Figuren miterleben. Nach und nach werden die Geschichten auch von anfangs unwichtig erscheinenden Nebenfiguren vertieft. Die verbindet bei aller Vielfalt vor allem eine Erkenntnis: Die Suche nach dem richtigen Leben, nach Glück und Bestätigung ist ein alltäglicher Kampf. Einer, der wie im den beiden zuletzt auf Deutsch erschienen Bänden auch mal in unerwartet grausamen Gewaltausbrüchen enden kann.

Im April auch auf Deutsch komplett: Die Cover der insgesamt 13 Bände sind ungewöhnlich gestaltet.
Im April auch auf Deutsch komplett: Die Cover der insgesamt 13 Bände sind ungewöhnlich gestaltet.

© Tokyopop

Mit jedem Band wird die Hauptfigur älter, erlebt irgendwann dann wider Erwarten doch noch erste Beziehungen mit Frauen, auch wenn seine unzugängliche Art und seine Selbstzweifel ihm verlässlich im Wege stehen. Hin- und hergerissen zwischen hochfliegenden Träumen und unerfüllbaren Ansprüchen an sich und andere trudelt Punpun so weiter durch seinen oft erschreckend banalen Alltag, verdingt sich als Aushilfskraft ohne Perspektive und trifft dann sogar als junge Mann erneut auf seine Jugendliebe und scheint eine zweite Chance zu bekommen…

Aus der Freundschaft mit einer Zeichnerin ergibt sich zudem sogar vorübergehend fast eine Berufsperspektive. Passagen, die Inio Asano für eine Abrechnung mit dem japanischen Manga-Mainstream-Business nutzt, in dem man - so vermittelt es zumindest eine Szene in der Erzählung - sperrigen, persönlichen Geschichten wie seinen wenig Chancen gebe. Der Erfolg seiner Arbeiten in Japan (und langsam auch im Westen) zeigt, dass er zumindest mit dieser Einschätzung daneben liegt – zum Glück.

Ino Asano: Gute Nacht, Punpun, Tokyopop, 13 Bände, insgesamt rund 3000 Seiten, je Band 6,95 Euro, Abschlussband (erscheint am 14. April) 11,95 Euro.

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