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© Illustration: Frank Quiteley

Heldencomic: Staunen wie ein Schuljunge

Ein Riesenhaufen imposanter, aber verwirrender Szenen: Der Eisner Award für die beste Comic-Reihe 2009 geht an Grant Morrisons Heldenserie „All-Star Superman“.

Asterix ist Gallier. Lucky Luke und Tim & Struppi kommen aus Belgien. Die meisten Geschichten für „Micky Maus“ werden in Skandinavien oder Italien produziert. Das wirft die Frage auf, was amerikanische Kinder seit 50 Jahren lesen: immer nur „Archie“ und die „Peanuts“? Die europäischen Comic-Klassiker sind leidlich bekannt, aber nicht sehr populär. Disney-Enten und -Mäuse spielen auf dem Zeitschriftenmarkt kaum eine Rolle. Und Mangas sind erst seit 15 Jahren verbreitet. Heißt das, Amerikas Zweitklässler lesen „Wolverine“ und „Batman“?

Ja. Aber sie lesen die Helden-Geschichten in separater, kinderfreundlicher Aufmachung. Die beiden großen Verlage für Superhelden, Marvel und DC, haben eigene Imprints für Kinder im Grundschulalter, „Johnny DC“ und „Marvel Adventures“. Den diesjährigen Eisner Award für die beste Kinder-Serie erhielten dann auch die wachsmalfarbig harmlosen „Tiny Titans“ von DC.

Explizit für (Grundschul-)Kinder waren die Heftreihen der bekannten Helden nie gedacht. Bis auf eine kuriose Zeitspanne während der 1950er und 1960er Jahre. Eine Epoche aus 15 wahnwitzigen, bunten Jahren, die man heute, im Rückblick, als „Silver Age“ des Heldencomics bezeichnet. Nie waren Comics seltsamer, alberner und absurder.

Das „Silver Age“ begann mit einem Skandal: Dem Traktat „Seduction of the Innocent“, verfasst von Fredric Wertham, einem in Nürnberg geborenen US-Psychiater. 1954 analysierte Wertham Figuren wie Wonder Woman und Batman mit (vulgär)freudianischen Methoden, um zu beweisen, dass die Helden ihre Leser gezielt pervers und homosexuell machen wollen. Die Moralapostel bissen an, die Verkäufe brachen ein. Die Comic-Autoren mussten sich sogar vor dem US-Senat verteidigen.

Als letzte wirtschaftliche Rettung erfand die Branche den „Comic Code“, eine rigorose Selbstzensur, die Sex, Gewalt und Tod weitgehend aus ihren Geschichten ausschloss. Direkt ab 1954 wurden die Helden-Comics – jedenfalls die wenigen Titel, die diese Krise überlebten – nett, unpolitisch, kindisch und albern. Hauptsache harmlos!

Die zwölfteilige Reihe „All-Star Superman“, die im Juli 2009 den Eisner Award für die beste Comic-Reihe gewann, lässt das „Silver Age“ wieder aufleben. Ihr Verfasser ist Grant Morrison, ein 1960 geborener Schotte, der das „Silver Age“ als Kind ganz knapp verpasste. Trotzdem feiert er „All-Star Superman“ die Jahre zwischen dem Wertham-Skandal und der bezeichnend infantilen „Batman“-Fernsehserie (1966 bis 1968). Eine Zeit, in der Superman und seine Kollegen unbedingt Kinderkram sein mussten.

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© Illustration: Frank Quiteley

Eine Hommage ans „Silver Age“

Dunkel oder witzig? Ernst oder augenzwinkernd? Brutal oder absurd? Alle zehn bis fünfzehn Jahre schlägt der Erzählton in den Helden-Comics um: Die Siebziger, das „Bronze Age“, waren viel dunkler und politischer als die Achtziger, das platte „Iron Age“. 1986, kamen Frank Millers brutale „Batman“-Neuinterpretation „The Dark Knight Returns“ und Alan Moores Helden-Demontage „Watchmen“. Die beiden düsteren Comics läuteten ein zynisches „Dark Age“ ein, gewalttätig und nihilistisch.

Erst jetzt, seit der Jahrtausendwende, trauen sich die Comics wieder, Spaß zu machen: Humor statt Blut, Idealisten statt grimmiger (Anti-)Helden. Geschichten für (jüngere) Kinder erzählen die monatlichen Superhelden-Reihen zwar nicht mehr, aber sie werden jetzt von jenen Autoren geschrieben, die im „Silver Age“ selbst Kinder waren. Entsprechend richten sich sich an eine Zielgruppe aus nostalgischen Erwachsenen, die sich noch gut an die frühen Geschichten erinnert.

Stück für Stück holen Autoren wie Mark Waid und Zeichner wie Alex Ross die Ideen des „Silver Age“ aus der Versenkung: Seit dem Jahr 2000 ist Krypto, der fliegende Wunder-Hund, wieder in Supermans Welt unterwegs. 2004 wurde „Silver Age“-Strahlemann Hal Jordan nach ein paar Jahren Pause (und Tod) erneut zur Hauptfigur der „Green Lantern“-Reihe. Auch viele andere veraltete oder halbvergessene Figuren kehrten zurück: Adam Strange, Ralph Dibny oder die Metal Men. Manche stehen jetzt in einem überarbeiteten, erwachseneren Kontext, manche sind ein liebevolles, romantisches Zitat an einfachere Zeiten.

„All-Star Superman“ ist die hochgelobte Speer- und Eisbergspitze dieses Trends: Der DC-Verlag wollte eine neue, möglichst zeitlose „Superman“-Serie, die auch Neueinsteiger gut verstehen. Autor Grant Morrison aber entschied sich, stattdessen einen Blick zurück zu werfen, und seinen Lesern die wahnwitzige Zeit in Erinnerung zu rufen, in denen für Helden wirklich ALLES möglich war.

Zeitlos? Nein. Verständlich? Nur bedingt: „All-Star Superman“ ist ein Insider-Buch für eine sehr, sehr spezifische Sorte Fans, die meisten von ihnen Amerikaner jenseits der Vierzig. Der Zwölfteiler erzählt eine in sich geschlossene, aber sehr komplizierte „Was wäre, wenn...?“-Geschichte, großartig gezeichnet und vollgestopft mit charmanten kleinen Anspielungen. Aber haben auch Leser Spaß, die nicht im „Silver Age“ aufwuchsen?

Superman muss sterben

„Supermans Wesen leuchtet mir ein, wenn ich ihn als einen Jedermann sehe“, erklärt Grant Morrison auf Newsarama seine zentrale Idee, „oder besser: als die Person, die jedermann in ihren Träumen ist: abzüglich der Fettpölsterchen, Neurosen und der Identitäten, die wir für uns konstruiert haben.“

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Achtung, Hautkrebs! Grant Morrisons Superman und die Sonne. -

© Illustration: Frank Quiteley

Natürlich, sagt er, ist Batman cooler: „Batman ist ein rasanter Pubertätstraum: Der attraktive Milliardär in schwarzem Leder, der einen eigenen Butler hat, bessere Autos und eine größere Trickkiste als James Bond. [...] Außerdem hat Batman keinen Boss. Superman dagegen wuchs auf einer Farm auf und schaufelte Heu. Heute geht er zur Arbeit. Für einen Chef. In einem Büro. Nur, wenn er sein Hemd aufreißt, wird Supermans heroisches Selbst sichtbar. Er ist ein viel erwachsenerer Wunschtraum als Batman: Er ist der Held der Angestellten und der Arbeiter.“

In „All-Star Superman“ nutzt Morrison das weite Feld zwischen Allmacht und gutbürgerlichem Langweiler-Leben. Er setzt Superman einen banalen, aber unbesiegbaren Gegner vor: Krebs im Endstadium. Die Geschichte spielt in einer etwas märchenhaften Gegenwart. Die Figuren sehen aus wie die Fieberträume ihrer selbst, und sie laufen durch jene Wochen, in denen Superman sein Leben ordnet und mit der Welt abschließt.

Konzeptuell standen Grant Morrison dabei die zwölf Arbeiten des Herakles Pate. Aber das klingt schon viel zu überlegt: Eigentlich passiert auf jeder Seit des Comics etwas ganz Neues. „All-Star Superman“ ist ein Riesenhaufen imposanter, aber verwirrender Szenen. Binnen drei oder vier Sprechblasen kann Grant Morrison seine Leser komplett packen: „Superman muss sterben! Was tut er jetzt?“ Was für eine tolle Ausgangsfrage!

Der Plot jedoch überschlägt sich. Lustige Szenen enden in bizarrer Gewalt. Traurige Szenen erfahren alberne Wendungen. Statt Erklärungen gibt es immer neuen Blödsinn: „Dein Körper vollzieht eine Umwandlung in solares Strahlungsbewusstsein.“, „Die Bizarro-Erde verschwand hinab ins Unterversum, durch die kalte Schicht, wo die Zeit stillsteht und hinaus ins flammende Ungewisse.“, „Die Sonne ist blau! Sie wurde vergiftet!“. Wie bitte? Hallo?

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Der große Marketing-Trick des „Silver Age“ waren die Titelbilder: Sie zeigten die Helden in völlig absurden Lagen und Konflikten. Die Website Superdickery sammelt die amüsantesten Beispiele: Ein Zauberspruch hat Lois Lane in einen Zentaur verwandelt. Superman wird mit einem Riesenbesteck verprügelt. Mikroskopische Mumien-Insekten greifen geschrumpfte Soldaten an. Oft waren diese Cover schon lange fertig, bevor sich die Autoren auch eine passende Geschichte zu ihnen überlegten. Das Titelbild genügte für den Verkauf. Es fragte: „Wie um alles in der Welt konnte DAS passieren?“ Die Antwort war oft fadenscheinig und platt.

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© Illustration: Frank Quiteley

Grant Morrison schreibt heute noch so. Viele feiern ihn als mutigen, postmodernen Visionär, einen spacigen Beat-Poeten des phantastischen Erzählens. Viele andere haben ihn satt, denn er kann keine fünf Seiten füllen, ohne, drei Mal über seine eigenen Ideen zu stolpern. Wie im „Silver Age“ leben seine Geschichten sehr stark von den spektakulären, haarsträubenden Prämissen: „Wäre es nicht cool, wenn Batman einen Sohn hätte?“, „Wäre es nicht cool, wenn plötzlich ALLE Menschen auf der Welt Superkräfte hätten?“, „Wäre es nicht cool, wenn jemand den Mond in zwei Teile haut? Und Superman muss die Golden Gate Bridge als riesige Sicherheitsnadel ins Mondgestein rammen, um den Riss wieder zu flicken?“

Comics können sich solche Absurditäten erlauben, so lange sie gut erzählt sind. Aber Grant Morrison erzählt nicht. Für ihn ist die Geschichte nur der Aufhänger, um immer neue Überraschungen und Effekte zu setzen. Statt einen Spannungsbogen zu entwerfen, überbietet sich „All-Star Superman“ mit haarsträubenden Ideen, windschiefen Wendungen, knalligen Bildern und viel Kitsch. Frank Quitelys am Computer kolorierten Zeichnungen sind ausdrucksstark, eigensinnig, hässlich-hübsch. Aber die Dialoge sind eine dadaistische Zumutung. Hilf mir, Wikipedia! Was ist ein Sun-Eater? Wie kommt er in Supermans galaktischen Zoo?

Spaß für Kinder

Der „Charlotte Observer“ berichtete im Juni über eine wütende Mutter, die ihren Kindern, 10 und 12 Jahre alt, auf einem Büchermarkt der lokalen Leihbücherei gebrauchte Comics kaufte. „Ich habe mir die Ausgaben ausgesucht, die die nettesten Titelbilder hatten“, erklärte sie. Doch zu Hause kicherten die Kinder verschämt: In einem „Batman“-Comic verfolgte Batgirl die kriminelle Catwoman auf die Jahresversammlung der örtlichen Nudisten.

„Wir sind keine religiösen Leute oder so etwas“, empörte sich die Mutter, „Wir sind ziemlich liberal. Aber das ist doch jenseits von Gut und Böse! Sie ködern die Leute mit der Marke ‚Batman’ – aber mit was für Hintergedanken?“ „All-Star Superman“ hat keine Hintergedanken: Kennt man Grant Morrison, kennt man auch seine Tricks und Idiosynkrasien. Die miesepetrigen Figuren. Die maßlosen Übertreibungen. Die allgemeine Sinn- und Pointenlosigkeit der Handlung.

Bessere „Superman“-Comics, nicht nur für Einsteiger, sind zum Beispiel Stuart Immonems „Superman: Geheimidentität“ und Jeph Loebs „Superman for all Seasons“. Das „Silver Age“ wird in Darwyn Cookes „Die neue Grenze“ stilsicherer abgefeiert. Und natürlich ist die „All-Star“-Comicserie von Batman, verfasst von Frank Miller auch viel witziger und cooler als Grant Morrisons „Superman“-Schwanengesang.

Thema verfehlt: „All-Star Superman“ ist nicht zeitlos. Nicht tiefgründig. Nicht leserfreundlich. Nichts für Kinder, aber auch nichts für „Superman“-Fans. Der Held führt sich auf wie ein selbstherrlicher Trottel, und Lois Lane ist eine neidische Hyäne, direkt den mysogynen frühen Sechzigern entsprungen. Immerhin: Die Zeichnungen sind grandios. Und, auch nicht schlecht: Die Reihe entfaltet eine irritierende, seltene Magie. Wer sind diese Leute? Wovon reden sie? Soll man sie mögen? Was tun sie nur?

„All-Star Superman“ liest man mit großen Augen, wie ein Kind, das sich durch ein buntes, sehr verwirrendes Groschenheft arbeitet, die das es eigentlich noch viel zu klein ist: Morrisons Geschichte vermittelt eine Aufregung und eine seichte, naive Pracht, wie man sie als Erwachsener kaum noch liest. Bei „All-Star Superman“ versteht man nur die Hälfte. Aber man staunt. Man staunt wie ein Kind. Man kommt aus dem Staunen gar nicht heraus.

Grant Morrison (Autor), Frank Quiteley (Zeichner): All-Star Superman, 6 Doppelhefte, jeweils 48 Seiten, Panini Comics 2006 bis 2009.

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