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Killer in Nadelstreifen: Ein Panel aus dem besprochenen Comic.

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Hip Hop & Comic: Der süße Sound der Rache

Schmerz und Wehmut, Verrat und Vergeltung: Bei „Twelve Reasons To Die“ gehen Hip Hop und Comic eine Allianz ein. Das ehrgeizige transmediale Produkt zeigt, wozu postmoderne Kulturtechniken imstande sind.

„Hip Hop and Comic Books was my Genesis“ rappt Atmosphere-MC Slug auf der „Seven´s Travels“ LP. Damit steht er nicht allein da. Mehr noch: er steht in einer Tradition. Schon in den Siebzigern bildeten Hip Hop und Comic eine Allianz. Vaughn Bodés Charakter „Cheech Wizard“ ist ein immer wiederkehrendes Motiv der New Yorker Graffiti-Pioniere gewesen, und im Rap stößt man ebenfalls seit Old School-Tagen auf Comic-Verweise. Man braucht gar nicht die lyrischen Selbstüberhöhungen der Rapper mit dem Personeninventar beliebter Marvel- und DC-Reihen in Bezug zu setzen – es genügt schon ein Blick aufs Cover von Afrika Bambaatas 1983er LP „Renegades of Funk“.

Man sieht es auch beim Spiel mit Pseudonymen und Alter Egos: Ein Doppelleben zu führen beherrscht nicht nur die Biografien von Comic-Helden wie Clark Kent und Peter Parker, sondern auch die von MCs wie Daniel Dumile aka MF Doom und Dennis Coles aka Ghostface Killah.

Ghostface Killahs Albumdebüt trug bereits den programmatischen Titel „Ironman“. Nun kehrt er mit seinem zehnten Studioalbum erneut zum Comic zurück. Gemeinsam mit Musikproduzent Adrian Younge bringt Coles das Konzeptalbum „Twelve Reasons To Die“ heraus. Und unter Einbezug eines prominent besetzten Zeichner- und Autorenstabs erscheint parallel dazu eine gleichnamige sechsteilige Comic-Serie.

In bester Tradition

Das Musikalbum erzählt in zwölf Songs die Geschichte von Anthony Starks, einem afroamerikanischen Hitman For Hire im Dienste der 12 Delucas – er ist der Mann für’s Grobe bei der Italomafia. Nachdem er hintergangen und ermordet wird, werden seine sterblichen Überreste in zwölf Langspielplatten gepresst, deren Abspielen ihn ins Leben zurückholen und Rache nehmen lassen.

„Twelve Reasons To Die“ ist ein Rap gewordener Giallo-Movie mit deutlichem Blaxploitation-Einschlag. Younge, der bereits den Score für „Black Dynamite“ produziert hat, knüpft musiktechnisch an die Wu Tang-Soundästhetik vergangener Tage an, wobei er allerdings auf Samples verzichtet und stattdessen eine Band die repetitiven Klänge hat einspielen lassen. Zwar fallen die Drums weniger knochentrocken aus wie die des Wu Tang-Haus-und-Hof-Produzenten RZA, der hier sowohl als Executive Producer als auch in der Rolle des Erzählers – der Stimme aus dem Off – in Erscheinung tritt. Mitreißend und zweckdienlich sind seine Kompositionen aber allemal. Der filmischen Atmosphäre, die immer schon fester Bestandteil der Wu Tang-Releases war, wird Younge in vollem Umfang gerecht.

Die Songs warten mit Pathos, Dramatik und Spannung auf. Es klingt durchweg nach Verfolgungsjagd und Handgemenge, nach Schmerz und Wehmut, nach Verrat und Vergeltung. Heroische Momente lösen solche der Spannung ab, und die schräg verzerrte E-Gitarre, die des Öfteren zum Einsatz kommt, fungiert als musikalisches Pendant zu Gialli-typischen Farbeffekten. Coles kehlige Silbensalven blitzen immer noch wie Dolche auf, und seine

Fähigkeit zum gerappten Geschichtenerzählen leistet ein übriges – wie auch die Gastauftritte anderer Clan-Mitglieder, die diversen Rollen zugewiesen sind – um dem Hörspielcharakter des Albums in die Hände zu spielen.

In der Unterwelt etabliert: Eine Seite aus dem Comic-Heft.
In der Unterwelt etabliert: Eine Seite aus dem Comic-Heft.

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Mafia meets Blaxploitation

Die sechs Bände der Comicserie schließlich, die in den USA parallel zur LP an den Start gehen, beleuchten auf je 32 Seiten die Gangster-Horror-Szenerie etwas ausführlicher. Im ersten Kapitel von Band Eins, „The Lead Years“, werden die 12 Delucas vorgestellt, ohne jedoch das Augenmerk auf die einzelnen Mafiosi zu richten. Das Individuum ist innerhalb der Familie klar einem „Wir“ untergeordnet. Man erfährt vom Aufbruch der Delucas aus Sizilien Ende der 60er und wie sie sich in der Neuen (Unter-)Welt etablierten. Das geschieht auf wenigen Seiten, stimmig und dicht an Informationen. Störende Hetze entsteht dabei nicht.

Als am Ende des Kapitels ein Anschlag auf den Mob stattfindet bekommt man es erstmals mit Starks zu tun. Er ist als fly guy inszeniert, ein Killer in Nadelstreifen. Wie aus dem Nichts taucht er auf und bewahrt die Familie vor dem sicheren Tod, wobei er wenig zimperlich mit Feuerwaffen und Stuhlbeinen gegen die zahlenmäßig überlegenen Feinde vorgeht. Trotz aller gewaltvoller Dynamik, die während des Kampfes von ihm ausgeht, wird er mit stoischer Mine und fast ohne Bewegungsdrang dargestellt. Der Kerl ist, soviel steht nach der kurzen Introduktion fest, mit allen Wassern gewaschen.

Das zweite Kapitel vollzieht einen Zeitsprung: Die thematisierten „Dead Years“ sind in den Achtzigern angelegt. Es geht deutlich ruhiger zu, trotz des mysteriösen Todesfalls zu Beginn des Kapitels. Im Mittelpunkt der „Dead Years“ steht ein Crate Digger – ein Plattensammler, der raren Vinyls nachjagt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Für einen reichen Auftraggeber fahndet er nach einer besonderen Platte, die er im Nachlass eines Radiosenders ausfindig macht.

Für die Tempiwechsel des kompakt erzählten Comics könnte die Kameraarbeit von Scorseses Gangsterfilmen Pate stehen, und im zweiten Kapitel erinnert die mysteriöse Färbung an Polanskis „Die neun Pforten“. Ce Garcia und Matthew Rosenberg, die sich als Autor neben Adrian Younge verantwortlich zeigen, nehmen die zugrunde liegenden Vorbilder ernst, ohne ihnen initiativlos nachzueifern. Das trifft auch auf die Illustratoren Breno Tamura und Gus Storms sowie den Gastzeichnern Kyle Strahm und Joe Infurnari zu. Ihnen gelingt das Kunststück, eine B-Movie-Ästhetik einzufangen, die sich eigenständig behaupten kann – ein Eindruck, der auch der zurückgenommenen, abgegriffen wirkenden Kolorierung Jean-Paul Csukas geschuldet ist.

Am besten im Bündel

Bei den einzelnen Bestandteilen dieses transmedialen Erzeugnisses wurde wirklich gute Arbeit geleistet. Und auch wenn sowohl die LP als auch der erste Comic-Band bei aller Kunstfertigkeit keine genredefierenden Meisterwerke sind: kombiniert legen sie ein eindrucksvolles Zeugnis dafür ab, was die postmoderne Kulturtechnik des Aufgreifens, Remixens, Weiterspinnens und in Beziehung Setzens zu Leisten vermag.

B-Movie-Ästhetik: Das Cover des ersten Hefts.
B-Movie-Ästhetik: Das Cover des ersten Hefts.

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Entsprechend empfiehlt es sich, das eindrucksvolle Werk in seiner Gesamtheit anzuschaffen. RZAs Musiklabel Soul Temple bringt in Kooperation mit der Black Mask Comic-Schmiede ein limitiertes, hochwertig gefertigtes LP Box Set heraus. Es enthält neben Band Eins des Comics zwei LPs mit der Vocal- und der Instrumentalversion von „Twelve Reasons To Die“. Das gefärbte Vinyl mutet wie in Blut getränktes Metall an und ist in reizvoll gestalteten Hüllen, die einige Passagen des Comics zeigen, ansprechend verstaut. Als Dreingabe gibt es noch ein Poster. Sehr schön, alles in allem.

Ghostface Killah, Adrian Younge, Ce Garcia, Matthew Rosenberg  u.a.: Twelve Reasons To Die LP Box Set. Soul Temple / Black Mask 2013, ca. 55 Euro.

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