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© Iluustration: Tanaami/Illustrative

Illustration: Punkt, Punkt, Komma, Strich

... fertig ist das Bildgedicht: Die Illustrative 09 in der Berliner Villa Elisabeth zeigt Meisterstücke zeitgenössischer Illustration - darunter auch neue Werke von Comic-Künstlern wie Tim Dinter und Line Hoven

Ruckartig wandert der Stift über das Papier, setzt an, hebt ab, zieht Linie auf Linie in traumwandlerischer Sicherheit. Allmählich bildet sich die Konstruktionszeichnung eines Heißluftballons, Zukunftsversprechen aus vergangenen Zeiten. Die Rolle dreht sich, das Papier rückt nach, es entsteht ein Teddybär.

Die Illustrative 09 in der Villa Elisabeth zeigt Höhepunkte zeitgenössischer Illustration. Wer seinen Rundgang im Erdgeschoss beginnt, sieht allerdings erst einmal Zeichenkunst ohne Zeichner. Julius von Bismarck hat eine Maschine gebaut, die eine Fortsetzungsgeschichte auf Endlospapier illustriert. Die Bilder ruft sie aus der Datenbank des US-Patentamts ab. Der Künstler ist hier abgeschafft, so wie die Frage nach Original und Abbild. Und die Motive sind, anders als all die anderen Arbeiten der Ausstellung, Illustration im klassischen Sinne: die Visualisierung einer Idee.

Galerist Pascal Johanssen hat das Phänomen der Illustration für den Kunstmarkt entdeckt: Auftragsarbeiter, geschult an Herausforderungen wie Comic, Werbung oder Animation, die am Abend als freie Künstler weiterzeichnen.

Christian Montenegro etwa kann gar nicht ohne die Herausforderung seines Berufs: „Es bedeutet mir nichts, des Zeichnens wegen zu zeichnen“, sagt der Argentinier. „Ich mag es, Situationen zu lösen.“

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"Der Schlüssel zu ihrem Herzen" von Line Hoven.

© Illustration: Hoven/Illustrative

Das zeigt sich in seinen surrealen Porträts aus geometrischen Formen auf abgezirkelter Fläche. Die junge Japanerin Aya Kato designt Bücher und Mobiltelefone. Ihre orgiastische Traumwelt entfaltet sich aber erst auf ihren großformatigen Digitalprints, auf denen traditionelle Malerei und Manga-Ästhetik in einer überwältigenden Farborgie aufgehen.

In Deutschland hat Illustration traditionell ein schlechteres Renommee als etwa in den USA. Doch inzwischen verkauft Johanssen ganze Ausstellungen. Auch Roman Bittners Tapeten sind schon weg. Nachdem das Illustrationsfestival in Zürich und Paris stattfand, ist es zurückgekehrt in die Invalidenstraße. Gut 40 Künstler präsentieren in der abgerockten Grandezza der Villa Elisabeth neue Arbeiten. Neben Bittner sind weitere Berliner Größen vertreten wie Martin Haake, Olaf Hajek und Tim Dinter, der Tagesspiegel-Lesern aus seinen Comics im Sonntagsmagazin bekannt ist. In ihrem vierten Jahr ist die Illustrative internationaler denn je, die verwandten Techniken so vielfältig wie nie. Eigentlich geht es gar nicht mehr um Illustration.

Eher um die viel beschworene Renaissance des Kunsthandwerks. Olaf Hajek, der mit seinem magischen Realismus jährlich das Osterrätsel im Tagesspiegel illustriert, hat in Tibet einen Wandteppich knüpfen lassen. Ein schönes Experiment, bei dem allerdings die Textur seiner Papierarbeiten auf der Strecke bleibt. Das Tokioter Duo Haroshi verarbeitet alte Skateboards in altmeisterlicher Perfektion zu bunt gestreiften Figuren, die wirken wie aus einem Stück geschnitzt, atemberaubend glatt geschliffen.

Wenn das Label Illustration zu eng geworden ist, worum geht es hier dann? Das Kuratorenpaar Pascal Johanssen und Katja Kleiss löst die Frage in seinem jungen Magazin „Objects“ mit der Bezeichnung „Zeitschrift für Angewandte Künste“. Diese Werke entstehen nicht in Institutionen, sondern in Netzwerken.

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"Astronaut" von Dan McPharlin.

© Illustration: McPharlin/Illustrative

Es ist eine Szene gewachsen, die sich auf der Illustrative selbst feiert – aber mit großem Gewinn für das breite Publikum. 5000 Einsendungen aus aller Welt gingen dieses Jahr alleine für den Wettbewerb „Young Illustrator’s Award“ ein. Die Arbeiten sind bei aller Vielschichtigkeit leicht zugänglich, direkt, zeitgemäß und relevant. Verschiedene Disziplinen werden fruchtbar gemacht für eine visuelle Selbstverständigung der Gegenwart.

Es entstehen Dinge, die man intuitiv liebt, ohne gleich zu wissen warum – eine Beziehung zu Objekten, die durchaus etwas Kultisches hat. Heiko Windischs Totempfahl aus Kartons mit schwarz-weißen Piktogrammen verweist offen darauf. Seine typisierten Figuren verraten ihn als Spielzeugdesigner. Auf einem Triptychon trotten Männchen durch einen Vulkan und kommen auf der anderen Seite als Skelette raus. Arbeiten wie diese hätten auch vergangenen Februar bei „Pictopia“ ausgestellt sein können, dem Festival für Figurenwelten im Haus der Kulturen der Welt, das anhand von Piktogrammen neue Körperbilder verhandelt.

Anders als bei Pictopia stehen bei der Illustrative neue Gestaltungstechniken im Mittelpunkt. Der Kalifornier Erik Mark Sandberg etwa verleiht seinen behaarten Schulkindern mit Hologramm-Effekt eine beklemmende Lebendigkeit. Es ist aber kein Zufall, dass beide Festivals in Berlin entstanden sind, wie Johanssen sagt. Wegen der günstigen Mieten bleibt Zeit zur Reflexion. Gemeinsam ist beiden Plattformen, dass sie mit grafischer Gestaltung in der Fläche begannen, die Objekte aber nun in den Raum wachsen.

Die Linie als elementarster grafischer Ausdruck spielt dabei weiterhin eine große Rolle, vor allem bei den konstruktivistischen Arbeiten von Eva Han. Der französische Künstler Sébastien Preschoux schafft mit seinem Rotring-Zirkel in mehrtägiger Geduldsarbeit geometrische Panoramen auf Papier – und spinnt bunte Fadennetze zwischen Bäumen. Für die Illustrative hat er diesen Ansatz erstmals in einem Raum verwirklicht. „Mit dem Computer zu arbeiten ist zu einfach“, sagt der 35-Jährige. „Wir müssen wieder unsere Hände benutzen.“

Preschoux malt mit Schnüren, Cristóbal León mit Erde. Der Chilene zeigt zwei bezaubernde Animationsfilme. Da kippt ein Blumentopf um, die Erde wuchert die Wand hoch, formt ein Gesicht, das spricht und sich wieder auslöscht, die Erde rollt weiter und malt das ganze Zimmer schwarz. Die Fantasie fließt hier frei.

Einen besonderen Trumpf zeigt die Illustrative mit David Polonsky: Wer Ari Folmans Animations-Doku „Waltz With Bashir“ gesehen hat, dürfte die Hunde wiedererkennen, die ineinander verkeilt von der Decke hängen. Der gebürtige Ukrainer hat als Chefillustrator die Bilderwelt des Films entworfen, der für seine neue Formensprache gefeiert wurde. Der Zeichner selbst wurde dabei selten genannt. Was zeigt, wie sehr sich diese Kunst in die visuelle Topografie unserer Zeit einschreibt, ohne dass man es merkt.

Villa Elisabeth, Invalidenstr. 3, bis 1. 11., tägl. 11 - 20 Uhr. Mehr unter
www.illustrative.de.

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