zum Hauptinhalt
Newcomer und Veteranen: Zwei Titel der Comicautoren, die am Sonnabend in Berlin über ihre Arbeit sprechen.

© Promo

Internationales Literaturfestival Berlin: Die Comic-Internationale

Ein Dutzend Comicautoren und Zeichner aus acht Ländern ist an diesem Sonnabend, dem 8. September, beim Internationalen Literaturfestival Berlin zu Gast. Wir stellen die Teilnehmer des Graphic-Novel-Tages vor.

Unter den Gästen des Festivals sind Szene-Größen wie der Italiener Igort, dessen Erzählung „5 ist die perfekte Zahl“ vor einigen Jahren auf der Frankfurter Buchmesse als „Comic des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Auch der Spanier Max kommt, dessen Erzählung „Bardín der Superrealist“ beim Comic-Festival in Barcelona drei Hauptpreise gewann, ebenso das polnisch-französische Duo Marzena Sowa und Sylvain Savoia, deren Graphic Novel „Marzi“ polnische Kindheitserinnerungen der 80er Jahre aufarbeitet und mit Marjane Satrapis Welterfolg „Persepolis“ verglichen wird, weitere Autoren kommen aus Griechenland, Rumänien, Finnland und Belgien.

Die Gespräche finden am Sonnabend von 10 bis 17.30 Uhr im Haus der Berliner Festspiele, Schaperstraße 24 in Wilmersdorf, statt. Karten zu 8 Euro (ermäßigt 6 Euro, Schüler 4 Euro) gibt es unter der Telefonnummer 030-25 48 91 00 oder online unter www.berlinerfestspiele.de. Die Gespräche finden auf Englisch statt, moderiert werden sie von Tagesspiegel-Redakteur Lars von Törne. Hier stellen wir die Autoren und Zeichner ausführlicher vor und sagen, wann man sie am 8. September erleben kann.

10.00 - 10.35 Uhr: Marzena Sowa & Sylvain Savoia
Marzena Sowa wurde 1979 in der südostpolnischen Kleinstadt Stalowa Wola geboren. Sie hat französische Philologie an der renommierten Jagellonien-Universität in Krakau studiert. Dieses Studium setzte sie ab 2001 in Frankreich an der Universität Michel de Montaigne in Bordeaux fort. Dort lernte sie den gut zehn Jahre älteren Comiczeichner Sylvain Savoia kennen, der bereits sehr mehreren Jahren in dem Medium arbeitete. Die beiden wurden ein Paar – privat wie künstlerisch. Heute verbringen sie ihr Leben teils in Brüssel, teils in Frankreich.

Orangenträume: Eine Szene aus dem Buch.
Orangenträume: Eine Szene aus dem Buch.

© Panini

Sylvain Savoia wurde 1969 in Reims geboren. Er zeichnet, seitdem er denken kann und schuf in den 1980er Jahren erste kurze Comics für französische Fanzines. Von 1989 bs 1991 absolviert er ein Studium an der Ecole Saint-Luc, der Hochschule für bildende Künste in Brüssel, gemeinsam mit seinem ebenfalls 1969 in Reims geborenen Jugendfreund Jean-David Morvan. In den Folgejahren schaffen die beiden gemeinsam mehrere Comic-Alben und -Serien, bei denen Morvan als Autor und Savoia als Zeichner fungiert.  Ihr erster gemeinsamer Titel ist 1993 „Reflets perdus“ (éditions Zenda).

Von den insgesamt rund 15 Comic-Alben, die in den folgenden Jahren erscheinen, erlangen vor allem zwei Serien auch international Aufmerksamkeit und werden unter anderem in Deutschland veröffentlicht: Die Science-Fiction-Thriller-Serie „Nomad“ (1994-2000) und die europäische Polizei-Thriller-Serie „al´togo“ (ab 2003).

Auf der Basis von Marzena Sowas Jugenderinnerungen kreierte das Duo die Comicserie „Marzi“, die alltägliche Episoden aus dem kommunistischen Polen aus der Sicht eines jungen Mädchens schildert. Der Anstoß dazu kam von Savoia, der Sowa auf die Idee brachte, ihre Erinnerungen aufzuschreiben: „Ich habe ihm viel über Polen zu Zeiten des Kommunismus erzählt“, sagt Sowa. „Er hörte fassungslos zu, visualisierte das Erzählte und machte Skizzen.“ Eines Tages hab er sie gefragt, was sie machen würde, wenn sie ihren Enkeln später von ihrer Kindheit erzählen wollte und sich an nichts mehr erinnerte. „Damals fing ich an zu schreiben, Memoiren mit dem Titel Marzi, das bin ich.“

Der Stil der auf Grundlage dieser Aufzeichnungen entstandenen Comics ist cartoonhaft und wirkt niedlich, erzählerisch ist der Ton mal ernsthaft, mal kindlich verspielt. Die Zeichnungen Savoias ähneln frankobelgischen Funny-Comics. Sie verstärken visuell die teilweise naiv-kindlich wirkende Erzählperspektive, an anderen Stellen kontrastieren sie aber auch die Erinnerungen Sowas, da diese neben einfachen, alltäglichen Lebensfreuden und Sorgen immer wieder auch politische und soziale Themen von weltpolitsicher Relevanz andeutet, so den sich langsam abzeichnenden politischen Umbruch in Polen und den Staaten des Warschauer Pakts in den 80er Jahren.

In Frankreich sind bislang sechs Bände von „Marzi“ erschienen, in Deutschland wurde kürzlich ein erster Sammelband veröffentlicht. Neben Ausgaben in Englisch und Spanisch ist kürzlich auch eine polnische Ausgabe veröffentlicht worden.

In ihren Erzählungen, die sie als „nachträgliches Tagebuch“ bezeichnet, berichtet Sowa von den materiellen Beschränkungen in Zeiten der Mangelwirtschaft und von latent drohenden staatlichen Repressionen, aber auch vom Improvisationstalent und der Lebensfreude ihrer Familie und Freunde. Der kindliche Erzählrahmen, der vor allem am Anfang der Reihe sehr eng gefasst ist, ist eine bewusst gewählte Beschränkung, um den unschuldigen und stellenweise naiven Blick eines kleinen Mädchens zu reflektieren. Im Laufe der Erzählung soll sich die Erzählperspektive aber der zunehmenden  Reflexionsfähigkeit der älter werdenden Erzählerin anpassen, sagt sie.

Neben weiteren Episoden für die Marzi-Reihe, die vom Erwachsenwerden der Hauptfigur und ihrem Studium erzählen, arbeitet Marzena Sowa derzeit auch an einem anderen Comic, der den Warschauer Aufstand behandelt, die militärische Erhebung der Polnischen Heimatarmee gegen die deutschen Besatzungstruppen im besetzten Warschau ab 1. August 1944, der nach 63 Tagen wegen der deutschen Übermacht aufgegeben wurde. Zudem hat Sowa die „Berichte aus der Ukraine“ von Igort übersetzt und bietet Lehrveranstaltungen zum Thema Comic an.

10.35 - 11.10 Uhr: Rafal Skrazycki & Tomasz Lesniak
Der polnische Zeichner, Animateur und Comic-Künstler Tomasz Lew Leśniak wurde 1977 in Warschau geboren. Er studierte Grafik an der Europäischen Akademie der Künste Warschau und debütierte 1990 als Comic-Zeichner. Zusammen mit dem Comic-Autor Rafał Skarżycki schuf er die Figur „Jeż Jerzy“, dessen erste Folge 1996 in der Zeitschrift „Ślizg“ erschien. 2002 wurde daraus das erste Comic-Album, dem acht weitere folgten. Die Geschichten vom Georg, dem Igel sind in der polnischen Gegenwart verwurzelt und nehmen gesellschaftliche und politische Erscheinungen ins Visier. Oft sind es Parodien auf bekannte Geschichten: So nimmt eines der Abenteuer Bezug auf den Horrorfilm „Der Exorzist“.

Wilder Igel: Eine Szene aus „Jeż Jerzy“ von Rafal Skarzycki und Tomasz Lesniak.
Wilder Igel: Eine Szene aus „Jeż Jerzy“ von Rafal Skarzycki und Tomasz Lesniak.

© Promo

Ursprünglich gab es zwei Versionen dieser Comics – eine für Kinder, in der der Igel verschiedene märchenhafte Abenteuer erlebt, und eine für Erwachsene. In dieser Version nehmen Skarżycki und Leśniak auf satirische Weise aktuelle gesellschaftliche Strömungen und Erscheinungen ins Visier, angefangen von polnischen Politikern und Umweltschützern bis hin zur Skinhead-Bewegung. Die Skinheads werden von den Figuren Zenek und Stefan repräsentiert, die Mitglieder der „Młodzież Wszechpolska“ sind, einer rechtsextremen, militanten polnischen Jugendorganisation. Jeż Jerzy entkommt seinen Erzfeinden immer wieder dank seiner Gewandtheit und ist dabei keinesfalls ein schablonenhafter positiver Held: Er trinkt Alkohol, nimmt Drogen und führt ein ausschweifendes Sexualleben.

Leśniaks Bildsprache kombiniert eine traditionelle Art der Comic-Zeichnung mit Einflüssen aus der Untergrundszene, was den Geschichten einerseits zu einer klaren Aussagekraft verhilft und sie andererseits überaus unterhaltsam macht. Das Autorenduo Tomasz Lew Leśniak und Rafał Skarżycki publizierte neben den Alben von „Jeż Jerzy“ auch eine andere Comic-Serie für Kinder. In „Tymek i Mistrz“ (Ü: Tymek und der Meister) stehen ein Zauberschüler und sein Meister im Mittelpunkt der Handlung, die zwar im Mittelalter angesiedelt ist, aber zahlreiche Motive aus der Gegenwart einbezieht. Tomasz Lew Leśniak ist außerdem Autor des Fanzines „Mięso“ (Ü: Fleisch), der Comic-Serie „Opowieści wakacyjne ku przestrodze czytelników“ (Ü: Sommerferiengeschichte zur Warnung der Leser) sowie „Euzebiusz i Cezary“ (Ü: Eusebius und Cäsar, mit Rafał Skarżycki) und „Kfiatuszki“ (Ü: Blümchen, mit Dennis Wojda), die in der Zeitschrift „Filipinka“ erschienen.

1999 wurde Leśniak beim Internationalen Comic Festival in Łódź für die Comic-Serie „Jeż Jerzy“ mit dem Grand Prix łódzkiego Festiwalu Komiksu ausgezeichnet. Neben zahlreichen Animationsfilmen arbeitete Leśniak zusammen mit Wojciech Wawszczyk und Jakub Tarkowski auch als Regisseur bei der Verfilmung von „Jeż Jerzy“ mit, die im März 2011 in Polen Premiere hatte und kurz darauf auch ihre internationale Premiere beim South West Film Festival in Austin (USA) erlebte. Tomasz Lew Leśniak wohnt in Warschau.

Rafal Skarżycki veröffentlichte 2009 seinen ersten Roman „Teleznowela“, dessen Protagonisten der Generation der über Dreißigjährigen angehören. Es geht um das Leben zweier Paare – darunter der Werbetexter Milosz, der ein Angebot bekommt, für eine neue TV-Serie als Co-Autor zu arbeiten, und dessen Freundin Agata, die diese Aufgabe mit Skepsis betrachtet. Skarżycki bedient sich in seinem Debüt einer freien Alltags- und Vulgärsprache und beleuchtet auf ironische Weise die Probleme seiner Generation: Planung der nächsten Urlaubsreise, Beziehungsprobleme und der Beruf des Drehbuchautors mit allen seinen Schwierigkeiten. Skarżycki wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter dem Preis für das Beste Comic Script beim 8. Internationalen Comic Festival in Łódź 1997, dem Grand Prix des 10. Internationalen Comic Festival in Łódź 1999 und einer lobenden Erwähnung beim 2. International Screenwriters Festival Interscenario 2008 in Wrocław für sein Drehbuch für die Filmkomödie „Bad news“. Rafał Skarżycki lebt in Warschau.

11.20 - 11.55 Uhr: Veronica Solomon
Veronica Solomon  wurde 1980 im rumänischen Tirgu Mures geboren, einer Stadt im Zentrum der Region Transilvanien. Sie begann in frühester Kindheit zu zeichnen und Geschichten zu erzählen. Irgendwann wurden diese gezeichneten Geschichten dann zu Comics, sagt sie. Allerdings hatte sie als Kind nur wenige explizit dem Comic zuzuordnende Inspirationsquellen. In der kommunistischen Ära gab es in ihrem Umfeld keine Comics, da diese nur schwer zu beschaffen waren. Stattdessen waren in jenen Jahren illustrierte russische Märchenbücher wichtige Vorbilder für sie.

Düster: Die Graphic Novel "Ein dunkles Fenster" von Florin Ieremia und Veronica Solomon soll in Kürze erscheinen, hier eine Seite aus dem Manuskript.
Düster: Die Graphic Novel "Ein dunkles Fenster" von Florin Ieremia und Veronica Solomon soll in Kürze erscheinen, hier eine Seite aus dem Manuskript.

© Promo

Der künstlerische Hintergrund von Veronica Solomon, die heute meist unter dem Künstlernamen Inkamon arbeitet, ist interdisziplinär. In Transsilvanien belegte sie Modedesign als Hauptfach im Gymnasium und später Keramik an der Universität, die sie 2003 absolvierte. Ihr Studium finanzierte sie durch Malerei und arbeitete nach dem Universitätsabschluss in der Werbebranche. Zurzeit lebt sie in Berlin und studiert Animation an der HFF Potsdam Babelsberg. Zeichentrickfilme wollte sie seit dem Alter von zehn Jahren machen, wie sie sagt. Inzwischen hat sie mehrere selbst konzipierte und animierte Kurzfilme vorgelegt.

Am Medium Comic gefällt ihr als passionierte Geschichtenerzählerin, dass sich damit  Geschichten schneller erzählen lassen. Ihre ersten Comics entwarf sie bereits als Zwölfjährige, wie sie erzählt – zu einer Zeit, als dieses Medium im postkommunistischen Rumänien noch nicht anerkannt war.

Stilistisch experimentiert Inkamon von Arbeit zu Arbeit mit unterschiedlichen Formen. Manche ihrer Comics erinnern mit ihren klaren Linien und in ihrer halbrealistischen Anmutung an frankobelgische Comics, andere Arbeiten scheinen stärker von Märchenillustrationen früherer Jahrhunderte inspiriert, aber auch Einflüsse des Manga, des fantastischen Zeichentrickfilms und der klassischen Malerei lassen sich in ihren Arbeiten finden.

Inkamons Geschichten gemein ist, dass sie allesamt „Urban Stories” seien, wie sie sagt, Geschichten vom Großstadtleben, die mögliche soziale und städtebauliche Zukunftsentwicklungen thematisieren, oftmals mit kritischem Unterton. Zu den Werken, die sie in letzter Zeit publiziert hat, zählen eine in Bukarest spielende Kurzgeschichte als Teil der Gruppenausstellung „L’Europe se dessine“ beim Angouleme Comic-Festival 2012, die Erzählung „George’s Supermächte“ in der Gruppenpublikation „Book of George“ (2011) und die sozialkritische, einen nahen Verkehrskollaps prognostizierende Dystopie „Grandma 13“, publiziert in mehreren Zeitschriften und Anthologien (2010 in der rumänischen Zeitschrift DOR, 2011  in der polnischen „Zeszyty Komiksowe“ und der ungarischen „Papírmozi“. Mehr von und über sie online auf ihrem Blog 12forever.blogspot.com sowie unter www.behance.net/Inkamon.

11.55 - 12.30 Uhr: Igort
Igor Tuveri, besser bekannt als Igort, wurde 1958 in Cagliari geboren und arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Illustrator, Karikaturist und Comiczeichner. In jungen Jahren zog er nach Bologna, um als professioneller Comiczeichner zu arbeiten. Seine ersten Arbeiten wurden 1978 publiziert. Anfang der 80er Jahre avancierte er zu einem der wichtigsten Vertreter der Künstlergruppe Valvoline, zu der auch Lorenzo Mattotti gehörte. Die Gruppe brach mit den optischen und inhaltlichen Konventionen des vitalen italienischen Populärcomics und experimentierte mit expressionistischem Futurismus. In jenen Jahren publizierte Igort in nahezu allen wichtigen Comicmagazinen und gründete eine Reihe von Zeitschriften.  Neben zahlreichen Ausstellungen u. a. auf der Biennale in Venedig (1994) arbeitete er als Autor und Moderator beim italienischen Rundfunk RAI und schrieb Drehbücher.

Traumatisch: In seinem aktuellen Buch, das in Kürze auf Deutsch erscheint, arbeitet Igort den Tschetschenien-Krieg und den Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja auf.
Traumatisch: In seinem aktuellen Buch, das in Kürze auf Deutsch erscheint, arbeitet Igort den Tschetschenien-Krieg und den Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja auf.

© Reprodukt

Er gilt als einer der wichtigsten modernen italienischen Autoren, auch wenn er in den 90er Jahren dem europäischen Markt vorübergehend den Rücken kehrte: Zehn Jahre lang arbeitete er als einer der ersten europäischen Comicautoren ausschließlich für japanische Verlage, dort entstand unter anderem sein Album „Yuri“. Seit kurzem lebt er in Paris und ist einer der Herausgeber von Coconino Press, einem italienischen Verlag, der sich ganz dem Autorencomic widmet, darüber hinaus beschäftigt er sich mit Animation.

In seinen Geschichten bedient sich Igort unterschiedlicher Stilmittel, die jeweils stark vom Thema geprägt sind. Für seinen umfangreichen und in 15 Sprachen übersetzten Comicroman „5 ist die perfekte Zahl“, der mit zahlreichen Preisen geehrt und auf der Frankfurter Buchmesse als „Bester Comic 2003“ ausgezeichnet wurde, übertrug er Elemente der „Crime noir“-Filme in den Comic. Seine Erzähltechnik und die großzügige Verwendung textloser Seiten, die eindrucksvoll Stimmungen vermitteln, ist deutlich vom japanischen Manga beeinflusst - sein Strich dagegen ist durch und durch europäisch.

In letzter Zeit hat er als Autor erschütternder Reiseberichte aus der Ukraine, Russland und Sibirien ein weiteres Feld für sich erschlossen: Den Reportagecomic.  Anderthalb Jahre ist Igort zwischen 2008 und 2009 durch diese Region gereist, um die Erinnerungen der Menschen festzuhalten. In seinen Aufzeichnungen verbindet er virtuos Comicminiaturen, Illustrationen und kurze Textpassagen zu einem authentischen Porträt der Region und ihrer von der Geschichte traumatisierten Bewohner. In „Berichte aus der Ukraine“ schildert er die Lebenserinnerungen älterer Menschen, die von Massenmord, Elend, Tod und Kannibalismus infolge der von Stalin provozierten Hungersnot berichten. Die Gräuel unter der deutschen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg sind ebenso Thema wie die Auswirkungen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. In einem für September 2012 angekündigten Band mit Reiseaufzeichnungen aus Russland verhandelt Igort sowohl die Vergangenheit wie die Gegenwart des Landes. Er sucht den Krieg in Tschetschenien ebenso zu ergründen, wie er den Blick zurück auf die stalinistischen Gulags richtet. Im Zentrum seines aktuellen Buches  steht jedoch die Journalistin Anna Politkowskaja: Erschüttert von ihrer Ermordung 2006 begibt Igort sich vor Ort auf ihre Spuren.  Mehr von und über Igort auf seiner Website www.igort.com

13.40 - 14.15 Uhr: Camille Jourdy
Camille Jourdy wurde 1979 in Chenôve, Frankreich geboren. Sie zeichnet und erfindet seit ihrer frühen Kindheit Geschichten. Sie studierte Kunst an der Ecole des Beaux-arts d’Epinal und an der Ecole des Arts Décoratifs de Strasbourg und lebt heute in Lyon. Eine ihrer ersten Comicveröffentlichungen ist 2004 ihre Diplomarbeit, die Episodengeschichte „Une araignée, des tagliatelles et au lit, tu parles d’une vie!“, in der sie die Porträts mehrerer skurriler Charaktere miteinander verbindet. Parallel zu ihren Comicprojekten arbeitete Jourdy immer wieder an Kinderbüchern und illustrierten Erzählungen. „Ich erzähle gerne Geschichten und ich zeichne gerne“, sagt sie – „die Form hängt davon ab, welche Geschichte ich erzählen will“.

Von 2007 bis 2009 erarbeitete sie als Autorin und Zeichnerin ihr bislang wichtigstes Werk, die Trilogie „Rosalie Blum“, die im Sommer 2012 auch in Deutschland veröffentlicht wird. Für das abschließende Kapitel der ursprünglich in drei Einzelbänden veröffentlichten Geschichte wurde sie 2010 auf dem Comicfestival in Angoulême mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet.

Rollenspiele: Eine Seite aus Camille Jourdys jetzt auf Deutsch erschienener Erzählung "Rosalie Blum".
Rollenspiele: Eine Seite aus Camille Jourdys jetzt auf Deutsch erschienener Erzählung "Rosalie Blum".

© Reprodukt

„Rosalie Blum“ erzählt in klaren, durch direkten Farbauftrag kolorierten Aquarellbildern von mehreren exzentrischen Figuren, deren Leben auf mysteriöse Weise miteinander verbunden sind. Der Leser bekommt die Geschichte dabei nacheinander aus den unterschiedlichen Perspektiven der Akteure geschildert: Der schüchterne Friseur Vincent folgt der geheimnisvollen Unbekannten namens Rosalie Blum unbemerkt auf ihren Wegen durch die Stadt und sogar bis zu ihrem Haus - dabei bemerkt er jedoch nicht, dass er selbst unter ständiger Beobachtung steht.

„Die Geschichte ist von meinen Tagträumen inspiriert“, sagt Jourdy. „Wenn ich in ein Lebensmittelgeschäft gehe, beginne ich mir vorzustellen, dass ich den Kassierer irgendwo schon mal gesehen habe und male mir aus, wie es wäre, ihn zu verfolgen.“ In ihrem charmanten und clever konstruierten Buch gerät das Alltagsleben ihrer Figuren durch die so in Gang gesetzten Ereignisse gehörig aus den Fugen. Ihre hellen, leicht karikierenden und von warmen Farben geprägten Bilder verleihen dem Ganzen eine beschwingte Leichtigkeit.

Als Autorin ist Jourdy vom Comic ebenso beeinflusst wie von der Literatur, dem Kino und den Büchern ihrer Kindheit. Ihr besonderes Interesse gilt der Psychologie ihrer Figuren: „Für jeden Charakter muss ich wissen, was für ein Leben er hat, welche Kindheit er hatte, wie die Beziehung zu seinen Eltern war, was ihm wichtig ist, wie er sein Leben verbringt, welche Freunde er hat und in was für einem Haus er lebt“, sagt sie. Dabei baut sie viele Alltagsbeobachtungen in ihre Erzählungen ein: „Ich habe immer ein kleines Notizbuch dabei, in dem ich Orte und Details, Ideen und Wünsche festhalte.“ Ihre Szenarien entstehen zum Teil nach Fotografien, die sie an realen Orten macht – im Fall von „Rosalie Blum“ ist das ihre Herkunftsregion nahe Dijon. Autobiographisch sind ihre Geschichten aber explizit nicht, sagt sie. Mehr von und über Camille Jourdy auf ihrer Website unter camillejourdy.canalblog.com

14.15 - 14.50 Uhr: Fabienne Loodts
Fabienne Loodts wurde 1982 in Belgien geboren. Sie arbeitet seit Ende der 1990er Jahre als Grafikerin und Illustratorin und hat 2004 ihr Studium der Kommunikationsgrafik an der l’Ecole Nationale Supérieurs des Arts Visuels de la Cambre mit dem Diplom abgeschlossen. Nach ersten Arbeiten als Zeitschriftenillustratorin ab 1999 hat sie zuletzt mehrere Bücher anderer Autoren illustriert, so Guillaume Apollinaires Meditation über Tod und Erinnerung, „La Promenade de l’ombre“, Igballe Bajraktaris Märchen „Les neufs frères et le diable“ (2005) sowie „Déesses des elfes sur le trottoir“ von Léna Ellka, eine Erzählung zum Thema Armut und Obdachlosigkeit aus Sicht eines Kindes. 

Der Himmel über Berlin: Fabienne Loodts an der Spree spielendes Buch liegt bislang nur auf Französisch vor.
Der Himmel über Berlin: Fabienne Loodts an der Spree spielendes Buch liegt bislang nur auf Französisch vor.

© Warum-Verlag

2005 veröffentlichte sie das von ihr selbst geschriebene und illustrierte Buch „Les démons caca“. Es erzählt in kurzen Bild-Text-Kombinbationen von den „Scheiß-Teufeln“, die einen jeden von uns manchmal als dunkle Schatten verfolgen – und von denen man sich entweder beherrschen lassen kann oder die man zähmen und harmlos machen kann, indem man mit ihnen lebt.  Im Jahr 2007 erschien das Kunst-Musik-Projekt „IGRA- Ein Spiel“, ein von Loodts illustriertes Buch in Kooperation mit einer Gruppe von Klezmer-Punk-Musikern, deren CD dem Buch ebenfalls beiliegt.

Ihre Bilder liegen im Grenzbereich zwischen Kunstgrafik, Illustration und Comic, charakteristisch für ihre Arbeiten ist ein fragiler, vielschichtiger Bleistiftstrich. Für „La Promenade de l’ombre“ experimentierte sie mit Zeichnungen auf Fotografien von Marianne Aprile und Isaebl Gautray.

Im Jahr 2007 begann Fabienne Loodts die Arbeit an ihrem bisher umfangreichsten Projekt, der Adaption von Chloe Aridjis’ Roman „Le livre des nuages“ (The Book of Clouds) als Graphic Novel. Dafür verbrachte sie einen längeren Rechercheaufenthalt in Berlin, wo das Buch spielt. 2010 bekam sie ein Stipendium, um das Buch fertigzustellen, Anfang 2012 ist es auf Französisch erschienen. Am Comic fasziniert sie, dass das Medium „in der Mitte zwischen Illustration und Kino liegt“, wie sie sagt: „Man kann mit der Narration spielen, mit Blickwinkeln und Rahmen, als ob man eine Kamera im Kopf – aber ohne jede Beschränkungen.“

In stimmungsvollen, düsteren und melancholisch wirkenden Bildern erzählt sie darin die Geschichte der in Berlin lebenden Mexikanerin Tatiana. Die hatte bereits als Jugendliche mit ihren Eltern die Stadt besucht und hier die „Geister der Vergangenheit“ gesehen, zum Beispiel in Gestalt einer alten Frau in der U-Bahn, die wie Hitler aussah. Als Erwachsene kehrt sie in die Stadt zurück, erkundet diese auf langen Streifzügen und erlebt das Gefühl, sich in der Anonymität der Großstadt zu verlieren. Sie lernt einen Historiker kennen, für den sie arbeitet und der ihr von der Geschichte der Stadt erzählt. Dadurch wird die Vergangenheit immer mehr zum Teil der Gegenwart. Mit ihren sensiblen Zeichnungen fängt Loodts kongenial Schlüsselthemen des Romans ein, wie das Gedächtnis der Gebäude, die Geister der Vergangenheit, die drückenden aber stets in Bewegung befindlichen Wolken über der Stadt und die Einsamkeit inmitten der Millionenmetropole. Mehr von und über Fabienne Loodts auf ihrer Website: www.fabienneloodts.be

15 - 15.35 Uhr: Judith Vanistendael
Judith Vanistendael, geboren 1974 in Leuven, Belgien, studierte nach dem Abitur Kunst in Berlin, Gent und Sevilla und besuchte die renommierte Comicschule Saint-Luc in Brüssel. Sie hat eine Reihe von Kinderbüchern illustriert und zu Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn einige kürzere Comics vorgelegt. Wiederholt hat sie dafür mit ihrem Vater zusammengearbeitet, dem renommierten Autor Geert Vanistendael.

Liebe mit Hindernissen: Judith Vanistendaels Graphic Novel "Kafka für Afrikaner" verarbeitet eigene Erfahrungen der Autorin.
Liebe mit Hindernissen: Judith Vanistendaels Graphic Novel "Kafka für Afrikaner" verarbeitet eigene Erfahrungen der Autorin.

© Reprodukt

Ab 2008 erschien ihre anfangs in zwei Teilen veröffentlichte erste Graphic Novel, „Kafka für Afrikaner“, die von der Kritik hochgelobt und für den renommierten Großen Preis des Comicfestivals Angoulême nominiert wurde (Englisch: „Dance by the Light of the Moon“, Französisch: „La jeune fille et le nègre“). Diesesemi-autobiografische Erzählung der flämischen Autorin ist eine Liebesgeschichte im Schatten des europäischen Asylrechts und basiert ebenfalls auf einer Kurzgeschichte ihres Vaters. In kontrastreichen, leicht karikierend überzeichneten Bildern erzählt sie von der19-jährigen Belgierin Sofie, die aus einem wohlsituierten und weltoffenen Elternhaus kommt. Doch als Sofie ihren Eltern eröffnet, sie habe sich in einen jungen Togolesen ohne Aufenthaltsgenehmigung verliebt, findet sich die Familie in einem Chaos aus Verlustängsten, Vorurteilen und den bürokratischen Albträumen des Asylsystems wieder. Schon bald bekommen Liebe und Leidenschaft unangenehme Gesellschaft von amtlichen Schreiben, Verwaltungsfragen und Formularen.

Das Asylrecht erscheint in der Erzählung  als ein undurchdringlicher Dschungel, vor dem der Flüchtling Abou, Sofie und deren teilnahmsvolle Eltern ein ums andere Mal kapitulieren müssen. Die Kritik an der Abschottungspolitik der Festung Europa wird durch einen angehängten Überblick über das Asylverfahren in der EU untermauert. Kritiker lobten an dem Buch besonders, dass Vanistendael das Kunststück gelungen sei, mit Witz und Leichtigkeit einen persönlichen Zugang zu einem hochpolitischen und drängenden Thema zu schaffen. Ihr Strich ist filigran und genau den Stimmungen ihrer Figuren angepasst, sodass die Zeichnungen den Eindruck einer authentischen, persönlichen Erzählung auch visuell unterstützen.

Ihre 2012 veröffentlichte Graphic Novel „Toen Davidzijn stemverloor“  (Englisch: „When David Lost His Voice“, Französisch: „David, les femmes et la mort") behandelt erneut ein ernstes Thema: Das Buch erzählt davon, wie der Großvater David und die ihm nahe stehenden Menschen mit seiner Krebsdiagnose umgehen. Im Gegensatz zu ihrem Vorgängerwerk hat Vanistendael diese Geschichte in farbigen, aquarellierten Panels zu Papier gebracht, die sehr gut zu ihrem delikaten, zarten Strich passen. Aus wechselnden Perspektiven untersucht sie unterschiedliche Mechanismen von Menschen, mit den bevorstehenden Tod einer nahe stehenden Person umzugehen. Kritiker lobten es als „hervorragende grafische Schilderung der Auseinandersetzung einer Familie mit dem Krebs“. Mehr von und über Judith Vanistendael auf ihrer Website: www.judithvanistendael.be.

Das rockt: Kürzlich sind einige Episoden von Tassos Maragkos auf Englisch erschienen.
Das rockt: Kürzlich sind einige Episoden von Tassos Maragkos auf Englisch erschienen.

© Promo

15.35 - 16.10 Uhr: Tassos Marangos
Tassos Marangos wurde 1977 auf der Kykladen-Insel Syros geboren. Als er 1998 begann, in Thessaloniki Graphic Design zu studieren, erschloss er sich Cartoons, Karikaturen und Comics als eigenes Ausdrucksmittel. 2004 startete der heute vor allem unter dem Künstlernamen Tasmar bekannte Zeichner das Magazin „Big Bang“, das 2005 und 2006 auf dem Athener Comicfestival als bestes Fanzine ausgezeichnet wurde. 2007 veröffentlichte er das Heft „Krak Komiks“ im Selbstverlag. Daraus erwuchs seine eigene Comicreihe, die heute bei Giganto Books verlegt wird und von der inzwischen fünf Bände erschienen sind. 2009 wurde die Reihe auf dem Athener Comicfestival für das beste Cover geehrt, 2010 gewann das Heft den Titel des besten Comic-Hefts. Marangos unterrichtet heute in Thessaloniki angehende Comiczeichner und betätigt sich neben seiner Arbeit an eigenen Comics und Karikaturen auch als Street-Artist. Seine Arbeiten waren bislang in Gruppenausstellungen in Athen, Thessaloniki und Belgrad zu sehen.

In kurzen Einzelstrips und seiner Serie „Hard Rock“ setzt Marangos sich immer wieder kritisch-unterhaltsam mit aktuellen sozialen und politischen Entwicklungen Griechenlands auseinander. Dabei verarbeitet er viele eigene Erfahrungen als junger Mann. Die in der Heftreihe „Krak Komiks“ fortlaufend weitergeführte Serie „Hard Rock“ erzählt in lebendigem Ton und karikierendem Strich von den Erlebnissen eines jungen Mannes namens Markos, der Mitte der 1990er Jahre auf Syros lebt. Die Leser lernen ihn kennen, als er sein letztes Schuljahr beginnt. Er ist ein begeisterter Rock’n’Roll-Fan, hat seine ersten Erlebnisse mit dem anderen Geschlecht und flieht als Heranwachsender von der Insel. In stilistischer Anlehnung an frankobelgische und US-amerikanische Funny- und Underground-Comics erzählt Marangos von Markos’ Alltag mit seinem Kumpel Gogos, dem selbsternanten Frauenheld Jimmy (ein echter „Greek Lover“), der von Markos angebeteten Judy und seiner überaus besorgten Mutter Magdalene.

Aktuelle politische Entwicklungen wie die griechische Wirtschaftskrise, die wachsende politische Unterstützung rechtsextremistischer Positionen aber auch die Doppelmoral der griechisch-orthodoxen Kirche hat Marangos immer wieder in kurzen, die Stilmittel von Karikatur und Comic verbindenden Strips verarbeitet. So hat er im Sommer 2012 in einer Serie von jeweils eine Seite umfassenden Strips für das Athens & Epidaurus Festival die gegenwärtige politische und gesellschaftliche Situation in Griechenland kommentiert. Darin karikiert er unter anderem die Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“ und führt deren Vertreter als rassistische, Hitler verehrende Barbaren vor. Für das italienische Magazin „L'antitempo“ zeichnete er kürzlich eine ironische Auseinandersetzung mit dem aktuellen Diskurs über die europäische Krise. Mehr von und über Tassos Marangos findet sich auf seinem Blog: krakkomiks.blogspot.de.

Feiner Strich: Das Cover von Anna Sailamaas Episodengeschichte „Ollaan nätisti“.
Feiner Strich: Das Cover von Anna Sailamaas Episodengeschichte „Ollaan nätisti“.

© Promo

16.20 - 16.55 Uhr: Anna Sailamaa
Anna Sailamaa wurde 1979 in Tornio (Nordfinnland) geboren und lebt heute in Helsinki. Sie studierte an der Hochschule für Kunst und Design Helsinki, die sie 2012 mit dem Master abschloss. Den Comic entdeckte sie erst während des Kunststudiums als ihr Medium. Sie ist seit langem aktives Mitglied des in Helsinki ansässigen Künstlerkollektivs Kutikuti und Mitherausgeberin der Zeitschrift „Kuti“. Ihre Comics und Zeichnungen wurden in zahlreichen Anthologien in Finnland und außerhalb Finnlands veröffentlicht und auf Ausstellungen gezeigt. Beim Wettbewerb des Internationalen Comicfestivals „Fumetto“ gewann sie 2009 den Kurzgeschichtenwettbewerb zum Thema „Virus“ mit einem Beitrag unter dem Titel „Common Cold“. In Deutschland waren ihre Zeichnungen im Juni 2012 in einer Einzelausstellung in der Hamburger Galerie „Linda“ zu sehen.

Sailamaas meist mit Bleistift gezeichnete oder in schwarzer Tusche ausgeführte  Arbeiten reflektieren oftmals menschliche Naturerfahrungen und zwischenmenschliche Beziehungen. Sie entziehen sich einfachen Zuschreibungen und sind im Grenzbereich zwischen bildender Kunst und Comic angesiedelt. Ihre Menschendarstellungen wirken oft leicht verzerrt und vermitteln einen subjektiven Blick auf die Welt. Neben Einzelbildern ohne narrative Struktur hat sie immer wieder auch gezeichnete Kurzgeschichten und zuletzt auch erste längere Comic-Erzählungen veröffentlicht.

Ihre 2008 veröffentlichte und aus fünf Episoden bestehende Erzählung „Ollaan nätisti“ (dt.„Seid brav“, engl. „Be Good Now“, in Kürze auf Französisch als „Sois sage maintenant“) ist eine bittersüße, aus fünf Episoden bestehende Geschichte von Familienbeziehungen, von Geschwistern, Müttern, Vätern und dem unvermeidlichen Generationskonflikt. Sie ist angelehnt an das Leben und die Familie der Autorin und besteht aus ineinander greifenden kurzen Begegnungen, die aus der Sicht unterschiedlicher Akteure beschrieben wird. In jeder Episode wird ein Familienmitglied vorgestellt, das über eine bestimmte Zeit und seine jeweilige Beziehung zur Familie spricht.

Ihr Debüt als Graphic-Novel-Autorin gab Sailamaas 2011 mit der Erzählung „Paimen“  (auf Englisch als „The Shepherd“ veröffentlicht). Die Geschichte  erzählt in ruhigen, weitgehend wortlosen Bildern von einem jungen Mann, der in der von Bevölkerungsrückgang und sozialen Problemen gezeichneten Weite Nordfinnlands einen toten Schwan findet. Der einflussreiche britische Comicpublizist Paul Gravett platzierte den Titel auf der Liste der besten internationalen Comics des Jahres 2011, die er zusammen mit Comicfachleuten aus den jeweiligen Ländern erstellt. „Sailamaa bringt Eindrücke auf subtile Weise an die Oberfläche“, schreibt der finnische Comic-Herausgeber Harri Römötti in seiner Würdigung des Titels auf Gravetts Liste. Während der Leser die Geschichte aus der Sicht der Hauptfigur geschildert bekomme, entdecke er zusammen mit der handelnden Person der Erzählung viele kleine, aber wichtige Handlungselemente und Figuren am Rande der Panels. „Es dürfte eine anspruchsvolle Leseerfahrung sein“, fast Römpötti zusammen – „aber es lohnt sich“. Mehr von und über Anna Sailamaa findet sich auf ihrer Website: annasailamaa.wordpress.com.

Surrealistisch: Eine Seite aus Maxs „Bardín der Superrealist“.
Surrealistisch: Eine Seite aus Maxs „Bardín der Superrealist“.

© Reprodukt

16.55 - 17.30 Uhr: Max
Francesc Capdevila wurde 1956 in Barcelona geboren und ist heute unter seinem Künstlernamen Max einer der international bekanntesten Comic-Künstler Spaniens. In den frühen Siebzigern begann der Katalanier während der Franco-Diktatur als Undergroundkünstler,  ab 1973 war er Mitglied der unabhängigen Comic-Gruppe „El Rollo“ und gründete 1979 mit anderen Zeichnern das Comic-Magazin „El Vibora“. Seine ersten selbstverlegten Comics vertrieb er in den 70er Jahren illegal und geriet deswegen wiederholt mit der Justiz in Konflikt, weil sie als obszön angesehen wurden. Im Laufe der Jahre hat er knapp 20 Comic-Alben veröffentlicht und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Er lebt seit 1984 mit Frau und Tochter auf Mallorca und ist neben seinen Comicarbeiten vor allem als Illustrator und Designer tätig, so für das Magazin „The New Yorker“ und die Uhrenfirma Swatch.

Zu seinen auch international bekanntesten Werken zählen die in den späten 80er Jahren geschaffenen Erzählungen um die Figur Peter Pank sowie in letzter Zeit die in mehrere Sprachen übertragenen und in surrealen (Traum-) Welten angesiedelten Graphic Novels „Der lange Traum des Herrn T.“ (1999) und „Bardín der Superrealist“ (2007). Vor allem dieser jüngste Band voller lustiger und zutiefst menschlicher Abenteuer, der eine verschmitze Hommage an den Surrealismus ist, gilt als eine Quintessenz seines bisherigen Schaffens und wurde von der Kritik gefeiert. Beim Comic-Festival in Barcelona gewann „Bardín“ drei Hauptpreise, darunter als „Bestes Album des Jahres“.

Seit Mitte der Neunziger Jahre ist Max als Herausgeber des internationalen Comic-Magazins „Nosotros Somos Los Muertos“ tätig. Neben mehrfachen Auszeichnungen auf dem Comic-Festival in Barcelona wurde er 1997 für seine Kinderbuchillustrationen mit dem Spanischen Nationalpreis ausgezeichnet. Max arbeitet sowohl an Illustrationen für diverse Bücher und Magazine als auch an Trickfilmen.

In seinen Comics verarbeitet er Einflüsse des surrealistischen Films von Luis Buñuel, der literarischen Arbeiten von Jorge Luis Borges, er bedient sich in Form von Zitaten aus der Kunstgeschichte bei Breughel und Füssli, Magritte und Dali. Seine klare Linie erinnert an den US-Comicerneuerer Chris Ware, seine fantastischen Traumwelten rufen Assoziationen zu den Arbeiten des Comicpioniers Winsor McCay vom Beginn des 20. Jahrhunderts wach. Manche Leser fühlten sich bei der Hauptfigur von „Bardín der Superrealist“ aber auch an Charles M. Schulz’ Charlie Brown und dessen Neurosen und Ängste erinnert. „Max nimmt das, was undurchdringlich sein kann, und macht es mithilfe von hoher Zeichenkunst zugänglich und amüsant“, urteilte ein Kritiker in „Publishers Weekly“ über sein Buch.

Kürzlich hat Max die Arbeit an seinem jüngsten Werk „Vapor” (Deutsch: Dampf) abgeschlossen, das im Oktober in Spanien und 2013 auch in Deutschland erscheinen soll. Es erzählt in stilisierten Schwarz-Weiß-Zeichnungen und mit philosophischen Bezügen von Nick, der vor dem Lärm und der Oberflächlichkeit der modernen Welt in die Einsamkeit der Wüste flüchtet und dort auf ein ganz anderes Spektakel trifft. Seine Website mit einem Überblick über aktuelle Arbeiten findet sich hier: www.maxbardin.com.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false