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Traumwelten: Eine Seite aus dem Band.

© Reprodukt

Interview: „Ich bin ein hoffnungsloser Romantiker“

Modernes Märchen, Religionskritik, Liebesroman: Craig Thompsons „Habibi“ wurde jetzt auf der Frankfurter Buchmesse als bester Comic des Jahres geehrt. Im Tagesspiegel-Interview erklärt er die Hintergründe des Werkes.

Seine semibiographische Graphic Novel „Blankets“, erschienen 2003, wurde in den USA und auch in Deutschland vielfach mit Preisen ausgezeichnet. Der Nachfolger, das in Nordafrika spielende moderne Märchen „Habibi“ (Reprodukt, 672 Seiten, 39 Euro), wurde am Wochenende mit dem Sondermann-Preis auf der Frankfurter Buchmesse ausgezeichnet. Das Buch provozierte bei seinem Erscheinen vor rund einem Jahr euphorische, aber auch negative Kritiken - zwei konträre Tagesspiegel-Rezensionen finden Sie hier. Als Thompson das 700 Seiten starke Epos vergangenes Jahr in Deutschland vorstellte, traf der Tagesspiegel ihn zum Interview. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir das Gespräch erneut.

Mr. Thompson, Sie haben sich für Ihr aktuelles Buch viele Jahre mit dem Islam und der arabischen Welt beschäftigt - was denken Sie, wenn Sie die aktuellen Nachrichten aus der Region verfolgen?

Die Ereignisse zeigen für mich, dass Muslime liberaler und freiheitsliebender sind, als wir es in unseren Medien vermittelt bekommen. Ich habe muslimische Freunde in Ägypten, Algerien und anderen muslimischen Ländern, die sehr offen und liberal eingestellt sind. Die repressiven Strukturen sind mehr den Regierungen zuzuschreiben als der Religion.

Ihr Buch „Habibi“ kann man unter anderem als Metapher für die aktuellen Entwicklungen lesen: Am Anfang erleben die Hauptfiguren in einem namenlosen arabischen Land Unterdrückung und archaische Gesellschaftsstrukturen, am Ende zeichnen sich Freiheit und Modernisierung am Horizont ab...

Es ist ganz bewusst eine Geschichte, die in einem fiktiven Land in einer nicht definierten Zeit angesiedelt ist. Es begann als modernes Märchen, das ich erzählen wollte, und entwickelte sich dann im Laufe der sieben Jahre, die ich daran gearbeitet habe, zu einer Meditation über die gemeinsamen Wurzeln und Erzählungen der abrahamitischen Religionen, also Judentum, Christentum und Islam.

Sie kommen aus einer christlich-fundamentalistischen Familie im Mittleren Westen der USA, wovon Ihr Bestseller „Blankets“ Zeugnis ablegte. Wie weit half Ihnen das bei der Beschäftigung mit dem Leben in traditionellen muslimischen Gesellschaften?

Sehr. Das ist die erste Verbindung, die ich mit vielen muslimischen Bekannten hatte. Dieselbe Moral, derselbe Lebensstil, dieselben Geschichten. Mein christlicher Hintergrund ist allerdings noch viel konservativer als der meiner meisten muslimischen Bekannten.

Craig Thompson: Die autobiografische Erzählung "Blankets" machte ihn berühmt.
Craig Thompson: Die autobiografische Erzählung "Blankets" machte ihn berühmt.

© Lars von Törne

Damit dürften Sie manche westliche Leser irritieren, da der Islam für viele von ihnen Restriktion und Fundamentalismus bedeutet.

Von meinen muslimischen Freunden habe ich gelernt, dass Fundamentalismus mehr eine Frage der Kultur ist und weniger mit der Religion zu tun hat.

Mit der Botschaft Ihres Buches, dass Muslime, Christen und Juden sich in den Ursprüngen ihrer Religionen ähnlicher sind, als viele von ihnen es wahrhaben wollen, dürften Sie sich gerade in den christlich geprägten USA nicht nur Freunde machen.

Ja. Ich habe auch für „Blankets“ wegen seiner kritischen Perspektive auf bestimmte Ausformungen des Christentums einige sehr negative Rückmeldungen bekommen. In einer Stadt war es sogar als Pornographie für illegal erklärt worden. Ich bekam Briefe von Christen, die mich mit Bibelzitaten zur Besinnung bringen wollten. Aber es gab auch Pastoren und Priester, die das Buch liebten.

Seit den Anschlägen von 2001 haben sich viele US-Comicautoren mit dem Islam beschäftigt, von Art Spiegelmans Bush-kritischer Collage „Im Schatten keiner Türme“ bis zu Frank Miller, der in seinem aktuellen Buch „Holy Terror“ seine Rachefantasien auslebt und zur Hatz auf Muslime bläst. Sie hingegen gehen einen anderen Weg.

Mein Buch ist unter anderem eine Reaktion auf die zunehmende Islamophobie in den Vereinigten Staaten nach 2001. Ich habe versucht, mir mein eigenes Bild vom Islam zu machen und auch die Schönheiten der islamischen Kultur für mich zu entdecken. Und je genauer ich hinguckte, desto mehr entdeckte ich Gemeinsamkeiten.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, was George W. Bush mit „Habibi“ zu tun hat.

Die Kunst der Kalligraphie: Eine Seite aus dem Buch.
Die Kunst der Kalligraphie: Eine Seite aus dem Buch.

© Reprodukt

Modernes Märchen: Thompson ließ sich von klassischen Erzählungen inspirieren.
Modernes Märchen: Thompson ließ sich von klassischen Erzählungen inspirieren.

© Reprodukt

Sie begannen die Arbeit an Ihrem Buch kurz nach dem Irakkrieg 2003.

Ja, meine Arbeit ist auch eine Reaktion auf die Politik der Bush-Regierung. Und ich habe das amerikanische Schuldgefühl verarbeitet, das in jenen Jahren gewachsene Bewusstsein über unsere imperialistische Rolle in der Welt, über die ungerechte Verteilung von Wohlstand. In jener Zeit ergab sich die Möglichkeit, nach Marokko zu reisen. Dort sammelte ich erste Impressionen, die ich als Reisetagebuch veröffentlichte und die dann zumindest in Teilen auch in mein Buch einflossen. Hier lernte ich auch meine ersten muslimischen Bekannten kennen – in den USA kannte ich bis dahin keinen einzigen Muslim. Das hat sich seitdem sehr geändert.

Wie das?

Über die Arbeit an dem Buch „Habibi“ habe ich viele amerikanische Muslime kennengelernt, die mir beim Verständnis der Kultur, der Religion und der Sprache halfen.

Und mit deren Hilfe haben Sie sich das Wissen erarbeitet, um so ein reichhaltiges Buch zu schaffen, das vor religiösen und kulturellen Bezügen zur arabischen, islamischen Kultur strotzt?

Ja, das basiert fast alles auf Gesprächen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, endlosen Unterhaltungen über den Koran, Kalligraphie, Kunst und Architektur, aber auch über den Alltag in muslimischen Ländern. Gerade die Kalligraphie war für mich eine sehr wichtige Entdeckung: Das ist eine andere Form von Comics, die perfekte Fusion von Wort und Bild. Dazu kamen aber auch viele Traumelemente und Fantasieszenen aus Geschichten wie 1001 Nacht, was mich eine zeitlang sehr faszinierte…

Wie kamen Sie dazu, die Erzählung um die Schicksale zweier Sklavenkinder herum aufzubauen, die beide schwere Prüfungen durchmachen, bevor sie nach einer langen Odyssee wieder zu einander finden?

Die beiden erschienen mir. Sie waren das kreative Geschenk, das von Anfang an da war. Woher sie kamen? Vielleicht aus meinem Unterbewussten, vielleicht von Gott, vielleicht aus Träumen… Irgendwann waren sie einfach da, und dann habe ich angefangen, die Geschichte um sie herum zu entwickeln. So ist das eben: Der Anfang eines kreativen Prozesses ist ein Traum. Der Rest ist harte Arbeit. Es ist wie in einer romantischen Beziehung: Man verliebt sich auf den ersten Blick, dann verpflichtet man sich zu einer langen, monogamen Beziehung. Und wenn man beim ersten Streit geht, entwickelt man nie ein tiefes Verhältnis zueinander.

Sie hingegen scheinen ein sehr enges Verhältnis zu ihren Figuren zu haben.

Es geht darum, Deine tiefsten Träume und Neurosen aufzuwirbeln und zu konfrontieren – und dann daraus etwas Konstruktives zu machen.

Besonders bemerkenswert ist ihre ausführliche Schilderung der Gefühle Ihrer weiblichen Hauptfigur, die schrecklichste Dinge erlebt, aber daran nicht zerbricht…

Bei dieser Figur habe ich viel Inspiration aus Gesprächen mit Freundinnen bezogen. Vor allem wenn es um Schwangerschaft und das eigene Körperempfinden geht. Aber abgesehen davon, repräsentiert wahrscheinlich jede Figur in dem Buch auch einen Teil von mir selbst.

Obwohl man den Eindruck hat, dass Sie selbst viel weniger von sich in diesem Buch preisgeben als in „Blankets“, das offensichtlich autobiographisch geprägt war. Haben Sie diese Phase der Aufarbeitung eigener Traumata in Ihrer Arbeit hinter sich gelassen?

Ich habe inzwischen ein sehr distanziertes Verhältnis zu der Hauptfigur in „Blankets“, sie ist für mich nur noch eine Figur auf Papier. Ich begann mit dem Schreiben an „Blankets“, als ich 17 war, und zeichnete es mit 23. Da war ich fast noch ein Kind. „Habibi“ dokumentiert für mich die Phase, durch die ich durchmusste, um vom Jungen zum Erwachsenen zu werden. Die Figur, die ich für „Blankets“ geschaffen hatte, war sehr naiv und verletzlich.

Wie Sie?

Rumi, der große persische Poet, der für „Habibi“ eine wichtige Inspiration war, sagte mal: Du musst Dein Herz solange brechen, bis es sich öffnet. Das ist die Entwicklung, die ich nach meinem letzten Buch und bei der Arbeit an „Habibi“ durchgemacht habe. Auch in dem Sinne, dass ich in den sieben Jahren, in denen ich an dem Buch arbeitete, viele Beziehungen mit vielen gebrochenen Herzen hatte – ich bin ein hoffnungsloser Romantiker. Und in den letzten Jahren habe ich mich dann ganz zurückgezogen, keine Beziehungen mehr gehabt und mich komplett auf das Buch konzentriert.

Paul Klee hat mal gesagt: Zeichnen ist, wenn eine Linie spazieren geht. Ihre Zeichnungen sind einerseits sehr akkurat, anderseits scheinen Sie über das Papier zu fließen. Wieweit entwickelt sich die Form erst beim Zeichnen?

Das ist ein schönes Zitat – aber bei mir ist es ganz anders. Ich bin ein sehr kontrollierter Zeichner. Das es fließend aussieht, ist eine Illusion. Die meisten nordamerikanischen Zeichner sind anal-repressiv und können nicht richtig loslassen. Und das nimmt mit dem Alter noch zu: Während „Blankets“ noch lockerer daherkam, fühlte ich mich bei der Arbeit an „Habibi“ steifer und weniger locker.

Ihr australischer Zeichnerkollege Shaun Tan, der kürzlich für einen Kurzfilm den Oscar bekam, hat hin und wieder über die Beschränkungen geklagt, denen man als Comiczeichner unterliegt. Er sehnt sich hin und wieder danach, die Grenzen von Papier und Stift komplett zu überwinden, weil man damit nicht alles ausdrücken kann. Angesichts Ihrer überbordenden Zeichnungen kann man den Eindruck bekommen, das kennen Sie auch…

Das sehe ich ganz anders. Ich könnte mein ganzes Leben dem Zeichnen und der Kalligraphie widmen. Ich fühle mich beim Zeichnen in keiner Weise beschränkt. Höchstens durch meine eigenen begrenzten Fähigkeiten – da werde ich wohl ein Leben lang dran arbeiten, die auszuweiten. Aber es gibt für mich kein besseres Medium als den Comic. Mehr als Linien und Papier braucht es nicht – damit kann man alles ausdrücken.

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