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Sebastian Leber.

© Mike Wolff

Literaturtipp: Doppelter Franzose

Tagesspiegel-Redakteur Sebastian Leber empfiehlt einen neu aufgelegten Klassiker

Monsieur Acquefacques will zur Arbeit, er hat schon den Mantel an und wartet nur noch auf seine Mitfahrgelegenheit. Da entdeckt er, dass jemand auf seinem Hochbett liegt: es ist er selbst, bloß in Schlafanzug. Die beiden Acquefacques starren sich verwirrt an.

Es wird 50 Seiten dauern, bis der Leser versteht, was im Schlafzimmer von Julius Corentin Acquefacques vor sich gegangen ist. Schuld an dem ungewöhnlichen Zusammentreffen sind eine defekte Uhr, eine Verwechslung unter Wissenschaftlern und eine mysteriöse Raum-Zeit-Krümmung - aber vor allem natürlich Marc-Antoine Mathieu, der französische Comiczeichner, der seine Hauptfigur Acquefacques in insgesamt fünf Abenteuern immer wieder in verzwickte Situationen brachte. Der Band "Der Wirbel" ist aus dem Jahr 1993 und jetzt vom Berliner Verlag Reprodukt neu aufgelegt worden.

Untermieter müssen im Wandschrank schlafen

Das Schwarz-Weiß-Universum, in dem sich Mathieus Figuren bewegen, ist auch ohne Raum-Zeit-Krümmung ein sehr befremdliches: Wegen Wohnraummangels werden Mieter angewiesen, Kollegen von sich stehend im Wandschrank schlafen zu lassen. Wer eine Schublade offen lässt, macht sich strafbar. Und das schnellste Fortbewegungsmittel ist das Fahrrad - aber nicht auf der Straße, sondern hoch oben auf zwischen Wolkenkratzern gespannten Seilen. Ebenfalls höchst sonderbar: Julius Corent Acquefacques ist Angestellter im "Ministerium für Humor". Seine Aufgabe ist es, das Glossar der Witze und Schimpfwörter auf den neuesten Stand zu bringen.

Mathieu zeichnet das Panel im Panel

Noch mehr als die Handlung beeindruckt aber Mathieus Einfallsreichtum bei der Gestaltung des Comics. Er zeichnet Panels in Panels, mischt Comic mit Fotografie, überrascht mit optischen Effekten. Eine Seite ist so spiralförmig aufgeschnitten, dass der Leser durch sie hindurch auf die Folgeseite blickt. Wegen seiner kreativen Art, mit dem Medium umzugehen, wird Mathieu gelegentlich nicht als Comic-Zeichner, sondern als "Comic-Konstrukteur" bezeichnet. Das passt.

Kleine Warnung: "Der Wirbel" ist nicht nur Spaß. Die verschachtelte Handlung nimmt teilweise so beunruhigende Züge an, dass man sich als Leser klare physikalische Spielregeln wie bei "Zurück in die Zukunft" wünscht. Da wusste Marty Mcfly wenigstens: Trifft ein Zeitreisender auf sein eigenes Ich, fliegt das ganze Universum in die Luft. Aber so einfach macht es Marc-Antoine Mathieu seinen Lesern nicht.

Marc-Antoine Mathieu: Der Wirbel. 50 Seiten, schwarz-weiß. Reprodukt, Berlin.

Hinweis: Die Buchverlosung ist beendet, die Gewinner wurden benachrichtigt.

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