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Very British: Eine Szene aus der Reihe.

© Piredda

Krimi-Hommage: Mit Witz und Watson

Vertragen sich die Nüchternheit einer britischen Detektiv-Ikone und spritziger frankobelgischer Comic-Slapstick? Pierre Veys und Nicolas Barral geben in ihrer mittlerweile komplett auf Deutsch vorliegenden Alben-Reihe „Baker Street“ eine eindeutige Antwort.

Humorvolle Annäherungen an Sir Arthur Conan Doyles wahrlich unsterblichen Meisterdetektiv Sherlock Holmes gehören dazu, seit Mark Twain den damals noch jungen Archetypen und popkulturellen Mythos kurz nach der Jahrhundertwende kräftig durch den Kakao zog und A. A. Milne – Erfinder von Pu dem Bären – eine Burleske mit Holmes und Watson als seine erste abgedruckte Story überhaupt verbuchten konnte.

Nicht zu vergessen, dass zwei der besten Holmes-Filme überhaupt – Billy Wilders „Das Privatleben des Sherlock Holmes“ und „Genie und Schnauze“ mit Sir Ben Kingsley und Sir Michael Caine – ebenfalls ziemlich frei und frech mit dem nicht immer vorbildlich sozialisierten Detektiv und seinem nachsichtigen Freund Dr. Watson umgehen. Das hat zuletzt auch Guy Ritchie erkannt, der in seine Modernisierung des Holmes-Film-Franchises ebenfalls viel Humor und Spritzigkeit hat einfließen lassen und damit goldrichtig gelegen hat.

Gag-Feuerwerk

Spätestens außerhalb der vier Romane und 56 Kurzgeschichten von Conan Doyle gibt es also tatsächlich so etwas wie eine humoristische Tradition in Sachen Sherlock Holmes.

Auf der anderen Seite haben natürlich auch die in Witz, Gag-Geschwindigkeit und nicht zuletzt auch ihrer Optik unverkennbaren Funny Comics aus Frankreich und Belgien eine lange Tradition, die Dank „Asterix“ nicht allein auf den Comic-Bereich beschränkt und damit mindestens so universell ist wie der klischeebelastete detektivische Archetyp aus der Baker Street 221 B.

Kein Wunder und geradezu elementar also, dass die erfrischende Sherlock-Holmes-Interpretation „Baker Street“ von Nicolas Barrals und Pierre Veys so gut funktioniert, verbindet sie doch gewissermaßen zwei völlig unterschiedliche Traditionen auf sehr treffliche Art und Weise.

Bleiben sie britisch, Watson!

Die große Stärke dieser extrem mutigen und frechen Interpretation des Holmes-Mythos ist die Extrapoliertheit, ja die geradezu dramatische Überzeichnung der Figuren. Egal ob der berühmte Detektiv selbst, die trinkfreudige Mrs. Hudson oder der inkompetente Inspektor Lestrade – in den aberwitzigen Abenteuern, in denen Holmes das Verbrechen einmal mehr in ganz London und rund um den Globus bekämpft und auch mit Erzfeind Professor Moriarty die Klingen kreuzt, wirkt jede Figur des ziemlich präsenten Originalkanons stark überzeichnet, was Charakter und Verhalten angeht.

Aberwitzige Abenteuer: Eine Seite aus der Reihe.
Aberwitzige Abenteuer: Eine Seite aus der Reihe.

© Piredda

Holmes und Co. werden in den Comic-Pastiches so oft schon zu klassischen Parodien. Da kann es dann schon mal vorkommen, dass Holmes seinen Freund und Mitbewohner bremsen muss, wenn Watson ob seiner ersten Buchveröffentlichung jubilierend in die gemeinsame Junggesellenwohnung stürmt. „Bleiben Sie britisch, Watson“, mahnt der Detektiv streng, und genau solche Konstellationen und das problemlose Umschalten zwischen Klamauk und Kanon, zwischen Dreistigkeit und Figurentreue, tut den charmant gezeichneten, kuriosen Fällen ausgesprochen gut.

Besonders schön außerdem: In Barrals und Veys’ „frei inspirierten“ und doch immer sehr guten Abenteuern geht alles – sogar ein Elefant als Rugby-Spieler in London und der trottelige Lestrade als ständige Ausgeburt trotteliger Inkompetenz, der zum Schluss im Affenkäfig landet. In den immer etwas anderen, durchweg neuen Holmes-Geschichten gibt es praktisch nichts, das es nicht gibt - das heißt, sobald alles Unmögliche ausgeschlossen ist jedenfalls.

Sein letzter Fall

Mit dem fünften Hardcover „Sherlock Holmes und das sprechende Pferd“ liegt die Reihe beim Berliner Piredda-Verlag nun komplett auf Deutsch vor. Das Bedauern, das sich angesichts des frühen Endes einer so gelungen andersartigen Holmes-Comicreihe einstellt, sagt alles über ihre Qualität, für skeptische Holmesianer und vorlagenfremde Comic-Fans gleichermaßen. Wahrscheinlich haben sich so auch die damaligen Leser gefühlt, als Conan Doyle seinerzeit die Akte Holmes vorläufig und anscheinend endgültig schloss, indem er den Detektiv die Reichenbachfälle hinabstürzen ließ, um sich seinen geliebten historischen Romanen zuwenden zu können.

Finale: Cover des fünften und letzten Bandes der deutschen Ausgabe der Reihe.
Finale: Cover des fünften und letzten Bandes der deutschen Ausgabe der Reihe.

© Piredda

Wirklich schade, dass es das schon gewesen ist. Denn wie sagt Holmes im letzten Band selbst energisch? Sherlock Holmes kennt keine Auftragsflaute!

Nicolas Barral (Zeichnungen) und Pierre Veys (Szenario): Baker Street, Piredda, fünf Alben à 48 Seuten, je 13 Euro. Mehr unter diesem Link.

Unser Autor Christian Endres schreibt nicht nur regelmäßig für die zitty und diverse Comic-Verlage, sondern ist auch begeisterter Holmesianer. Seine Pastiche-Sammlung „Sherlock Holmes und das Uhrwerk des Todes“ erschien 2009 im Atlantis Verlag. Seine Website findet sich hier: www.christianendres.de.

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