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Große Bandbreite: Christian Lindner, Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Robert Habeck bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags.

© imago images/Bildgehege, Montage: Tsp

Update

Kulturpolitik der Ampel-Koalition: Wie kommt der Comic in den Koalitionsvertrag?

SPD, Grüne und FDP würdigen in ihrer Vereinbarung zur Kulturpolitik auch den Comic – ein Novum. Wie kam es dazu? Und was bedeutet das?

Der Satz findet sich gleich am Anfang des Kapitels über Kultur- und Medienpolitik in der Koalitionsvereinbarung von SPD, Grünen und FDP mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“ (hier kann das Dokument als PDF heruntergeladen werden). Und er wird seitdem nicht nur in der Comicszene eifrig diskutiert.

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„Wir wollen Kultur mit allen ermöglichen“, lautet der Satz, „indem wir ihre Vielfalt und Freiheit sichern, unabhängig von Organisations- oder Ausdrucksform, von Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen.“ Ihm folgt diese Aussage: „Wir sind überzeugt: Kulturelle und künstlerische Impulse können den Aufbruch unserer Gesellschaft befördern, sie inspirieren und schaffen öffentliche Debattenräume.“

Das hat es bisher in Deutschland noch nicht gegeben: Eine neue Bundesregierung bekennt sich explizit zum Comic – wenn auch in einer etwas zusammengewürfelt klingenden Formulierung.

In der Szene wurde das mit Wohlwollen aufgenommen. „Yay! Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird in einem Koalitionsvertrag das Medium Comic erwähnt“, twitterte Flix, einer der erfolgreichsten deutschen Comiczeichner („Glückskind“, „Spirou in Berlin“), nach Veröffentlichung des Dokuments. Er hat viele Jahre auch für den Tagesspiegel gearbeitet. „Ein erster (kleiner) Schritt. Ein Fortschritt“, antwortete einer seiner Follower.

Zeichnerin Sarah Burrini, die unter anderem durch den Strip „Das Leben ist kein Ponyhof“ bekannt wurde, schrieb auf Twitter: „Achtung Achtung, das Wort "Comic" wurde in der Koalitionsvereinbarung benutzt, erhebt Eure Stifte!“ Und ihr Kollege Heinz Olaf Klöppel kommentierte: „Na wenigstens ein positives (Wort) an diesem Schriftstück voller Enttäuschungen.“

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Der Deutsche Comicverein, der sich für die Anerkennung und Stärkung des Comics als eigenständige Kunst- und Kulturform einsetzt, „begrüßt es, dass der Comic endlich seinen Platz als förderungswürdige Kunstform im Koalitionsvertrag gefunden hat“, wie dessen 1. Vorsitzender Stefan Neuhaus dem Tagesspiegel sagte. „Auch wenn es etwas fragwürdig ist, dass in der Formulierung der Comic als Antipode zur Klassik gesetzt wird, ist es schon ein großer Fortschritt, dass er hier überhaupt erwähnt wird.“

„Ein erster Schritt ist bereits getan“

Der Deutsche Comicverein hoffe dass die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien nun künftig den Fokus auch auf diese Kunstform legt und entsprechende Initiativen und Projekte fördert. Nach den Plänen der künftigen Bundesregierung wird dies die Grünen-Politikerin Claudia Roth sein, die die die CDU-Politikerin Monika Grütters ablösen soll.

„Ein erster Schritt ist bereits getan“, ergänzt Neuhaus: Das BKM fördere im nächsten Jahr eine Fachtagung „ComicExpansion - Perspektiven der deutschen Comickultur“, die gemeinsam vom Deutschen Comicverein und dem Literarischen Colloquium Berlin ausgerichtet wird. Die Veranstaltung soll am 19. und 20. Mai 2022 bis zu 60 Fachleute aus dem In- und Ausland zusammenbringen, die sich über den Ist-Zustand und die Perspektiven der deutschen Comiclandschaft austauschen.

In einzelnen Bundesländern ist die Kunstform inzwischen ein selbstverständlicher Teil der Kulturförderung. So gibt es in Berlin und Hamburg staatliche Stipendien und andere Förderungen, die teilweise auf die jahrelange Lobbyarbeit des Deutschen Comicvereins und anderer Akteure der Szene zurückgehen.

Das geht einher mit einer veränderten öffentlichen Wahrnehmung. In Deutschland galt der Comic, anders als in Ländern wie Frankreich oder Belgien, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als triviale Kunstform, die sich vor allem an Kinder richtet, was durch den großen kommerziellen Erfolg derartiger Publikationen befördert wurde.

In den vergangenen rund 20 Jahren hat sich das Bild langsam geändert, auch durch einen starken Zuwachs an anspruchsvolleren, für ein erwachsenes Publikum geschaffenen Werken seit Anfang der 90er Jahre. Inzwischen sind Comics für viele Menschen hierzulande ein selbstverständlicher Teil der Kulturlandschaft.

„Es ging darum, die Bandbreite zu vermitteln“

Auf Bundesebene wurde die Kunstform bisher jedoch nur sporadisch und projektbezogen gewürdigt. So wurde im vergangenen Jahr das Festival Comic Invasion Berlin von Hauptstadtkulturfonds mit 85.000 Euro gefördert. Ist die Erwähnung des Comics im Koalitionsvertrag ein Zeichen, dass die Comicszene nun mehr vom Bund erwarten darf? Und wie kam es überhaupt dazu?

„Wir haben überlegt, wie wir unseren neuen Kulturbegriff möglichst gut erfassen“ sagt die Grünen-Politikerin Tabea Rößner, dem Tagesspiegel. Die Journalistin ist seit 2009 Mitglied des Bundestages und war eine der zwölf Vertreterinnen der drei Ampelparteien in der Verhandlungsgruppe für den Bereich Kultur und Medien. „Es ging darum, die Bandbreite zu vermitteln, um die es uns geht.“

Auf die Verbindung von Comic und Klassik habe man sich schnell geeinigt, „den Comics kommen aus der Subkultur, die Klassik kommt aus der Hochkultur.“ Man habe zudem nach Alliterationen gesucht, so sei es zur Formulierung „von Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen“ gekommen.

Das soll eine Neuorientierung in der Kulturpolitik signalisieren: „Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien hat bisher die Hochkultur sehr stark in den Vordergrund gestellt“, sagt Rößner. „Für uns ist Kultur mehr, das wollten wir damit ausdrücken.“

Sie hätte sich gewünscht, „dass die Instrumente, wie wir diese Ziele erreichen, noch konkreter definiert werden können, aber wir mussten uns für den Koalitionsvertrag auf drei Seiten beschränken.“ Nun müsse in der Koalition ausgehandelt werden, „wie wir uns unseren Zielen nähern.“

„Comics verdienen kulturpolitische Aufmerksamkeit – auch auf Bundesebene“

„Comics und Graphic Novels sind nah an den Themen unserer Zeit“, sagt Rößners Parteifreund Erhard Grundl. „Gerade die universelle Bildsprache schafft Zugänge auch zu komplexen Themen für ein diverses Publikum.“

Kulturelle Vielfalt sei ein Reichtum, „der stärker wertgeschätzt und gefördert werden sollte“, sagt Grundl, der seit 2017 für die Grünen im Bundestag sitzt. Dazu gehöre für ihn, „die überkommende Unterscheidung in U- und E-Kultur zu überwinden, die sich bisher auch in der Kulturförderung spiegelt.“ Es gehe darum, „andere gesellschaftliche Gruppen und Jüngere einzubeziehen“.

Für die SPD war unter anderem Carsten Brosda in der Koalitions-Verhandlungsgruppe zur Kultur. Er ist in Hamburg Senator für Kultur und Medien. „Wir machen mit dem Koalitionsvertrag deutlich, dass sich der Kulturbegriff wandelt und weitet und nennen daher exemplarisch weitere Positionen, die wir damit in den Blick bringen“, sagte Brosda. „Praktisch heißt das, dass Sparten wie die Comics auch kulturpolitische Aufmerksamkeit verdienen – auch auf Bundesebene.“

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In Hamburg sei man da schon „gute erste Schritte gegangen, wie zum Beispiel mit der Verleihung des jährlichen Literaturpreises der Stadt seit 2019 auch in der Kategorie Comic und der Förderung des Hamburger Comic-Festivals.“ An diese guten Erfahrungen könne der Bund in den kommenden Jahren anknüpfen.

Als weitere Beispiele der Comic Förderung in Hamburg nennt Brosda die Förderung des Comic-Festivals in seiner Stadt seit drei Jahren mit jetzt 10.000 Euro und die Einrichtung der Kategorie Comic beim Hamburger Literaturpreis 2019, dotiert mit 6000 Euro. Zudem denke man Comic-Zeichner:innen bei allen Ausschreibungen mit, zum Beispiel bei den Aufenthaltsstipendien oder bei den Zukunftsstipendien, hier seien rund 30 Stipendien auch an Comic-Zeichner:innen gegangen.

Desweiteren habe Hamburg gemeinsam mit dem Goethe-Institut ab Mai 2022 eine vierwöchige Comic-Residenz in Marseille eingerichtet. Ein Ergebnis der zunehmenden „Sichtbarkeit der Comics“ sei auch, dass das Lessing-Stipendium in diesem Jahr an die Comic-Zeichnerin Birgit Weyhe geht.

„Unsere Ziele sind eine starke Kulturszene und Kreativwirtschaft“, sagt Michelle Müntefering, die ebenfalls für die SPD an den Verhandlungen teilnahm. Das Motto ihrer Partei, für die sie seit 2013 im Bundestag sitzt, sei „Kultur für Alle“, das sollte auch im Koalitionsvertrag zum Ausdruck kommen: „Wir wollen Kultur mit allen ermöglichen, indem wir ihre Vielfalt und Freiheit sichern, unabhängig von Organisations- oder Ausdrucksform.“ Kreativität kenne „keine Schublade“.

„Der FDP liegt der Comic am Herzen“

„Die Aufzählung „von Klassik bis Comics, von Plattdeutsch bis Plattenladen“ wirkt vielleicht etwas spielerisch“, sagt Christopher Vorwerk, einer der FDP-Vertreter in der Kultur-Verhandlungsgruppe der künftigen Koalition. „Dahinter steht aber das echte Anliegen, auch wirklich vielfältige Akteure an den Tisch der Kulturpolitik einzuladen und nicht nur die, die dort bereits sitzen.“ Das kulturpolitische Leitbild der neuen Koalition laute: „Kultur mit allen“. Das meine man ernst.

Für ihn sei es daher selbstverständlich, „dass der Comic und die Graphic Novel auch in den Umsetzungen der Einzelmaßnahmen des Koalitionsvertrags Berücksichtigung finden, zum Beispiel im Plenum der Kultur, in der Stärkung der Kulturfonds oder etwa in der Förderung der Kulturwirtschaft“, sagt Vorwerk, der Geschäftsführer des Dienstleisters Stadtmuseum Berlin GmbH ist. „Der FDP liegt der Comic am Herzen.“ Er sei sich sicher, „dass wir in Claudia Roth eine Kulturstaatsministerin bekommen, die dieses Anliegen teilt und umsetzen wird.“

Roth selbst will sich während der derzeit laufenden Urabstimmung der Grünen über den Koalitionsvertrag und vor ihrer offiziellen Ernennung als Staatsministerin für Kultur noch nicht zu inhaltlichen Fragen ihrer künftigen Arbeit äußern, wie ihre Sprecherin mitteilte.

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