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Berlin: Lindenstraße linksrum

Comiczeichner Andreas Michalke ist ein Chronist der Punk- und Politsubkultur. In seiner Serie „Bigbeatland“ analysiert er die Szene wie einst Gerhard Seyfried.

Das ist nach seinem Geschmack. „Nasenring-Punx“ und „Fast-Girl-Punk“ steht unter den Namen der Bands, deren Konzert Andreas Michalke gerade im Café beim Blättern durch das linke Veranstaltungsmagazin „Stressfaktor“ entdeckt hat. Und dann spielen sie auch noch in seinem Lieblingsladen „Koma F“ im Kreuzberger Veranstaltungszentrum Köpi, das gerade wieder durch eine missglückte Polizeirazzia von sich reden machte. „Zu dem Konzert muss ich hin, da geht’s ab“, sagt Michalke und lächelt. Das Köpi ist für den Punk- und Hardcorefan „der Sachwalter der linksradikalen Punkszene“, wie er beim Kaffee in einem anderen Szenetreffpunkt schwärmt, dem bunten Café „Morgenrot“ in der Kastanienallee in Prenzlauer Berg. Über einem T-Shirt der Punkband „Bombenalarm“ trägt Michalke eine schwarze Kapuzenjacke mit Buttons anderer Punkbands.

So gekleidet, könnte der 40-Jährige mit dem kräftigen Haarschopf einem seiner Comics entsprungen sein. In denen nimmt er seit Jahren mit liebevollem Spott jene Szene aufs Korn, die sich dem Punk und der linksradikalen Weltverbesserung verpflichtet fühlt. „Bigbeatland“ heißt der Strip um eine Gruppe von Politaktivisten, WG-Bewohnern und Musikfans, der unter anderem in der linken Wochenzeitung „Jungle World“ erscheint. Jetzt hat der Berliner Reprodukt-Verlag die ersten vier Jahre als Buch veröffentlicht. Damit können auch Leser jenseits der Szene einen der besten Comiczeichner des Landes entdecken. Michalkes Werk ist eine vielschichtige, selbstironische Bestandsaufnahme linkssubkultureller Befindlichkeiten, wie man sie zuletzt bei Gerhard Seyfried in den 80er Jahren gesehen hat – mit dem Unterschied, dass Seyfrieds Protagonisten sich an Politik, Polizei und Establishment abarbeiteten, während Michalkes Figuren mehr damit beschäftigt sind, sich selbst und ihrem Umfeld das Leben schwer zu machen.

Auf den ersten Blick wirken die Personen in „Bigbeatland“ wie eine Persiflage des Personals aus Entenhausen und anderen vertrauten Comic-Welten: Die politisch engagierte, aber in der Szene umstrittene Fernsehmoderatorin Sandra hat spitze Katzenohren. Die von den radikalen Moralwächtern als Pop-Linke gegeißelten Musikfans Johnny und Sandro sind mit Stupsnase und Schlumpfgesicht gezeichnet. Und Subkommandante Markus, Dauerstudent und Anführer einer radikalen Aktionsgruppe, trägt auf dem Hals eine Art Totenschädel, dazu graue Straßenkampfmontur. Auf den zweiten Blick sind die Figuren mit ihrem Bemühen, Politisches und Privates in Einklang zu bringen, sehr real. „Würde ich in Kreuzberg einen Subkommandante-Markus-Ähnlichkeitswettbewerb veranstalten, hätte ich viel Zulauf“, sagt Michalke.

Seine Ideen sammelt Michalke in seinem Berliner Umfeld, anderes stammt aus der Zeit, als er in Hamburg in einer WG lebte und Punkkonzerte in der besetzten Hafenstraße besuchte, bevor er nach Berlin ging. Er kombiniert Persönliches mit der großen Politik, Angela Merkel taucht ebenso auf wie der Irakkrieg, in den drei Figuren auf absurde Weise verstrickt werden. Das Ergebnis ist eine Art linke Lindenstraße. Michalke trifft einen Ton, bei dem sich Insider wiedererkennen, der aber auch für Außenstehende unterhaltsame Einblicke gibt. So, wenn er eine Figur die komplizierten innerlinken Fraktionsbildungen erklären lässt: „Antideutsch ist, wenn jemand aus Prinzip eine Stunde zu spät kommt.“

Trotz der Nähe zur Szene ist Michalke eher Beobachter als Akteur, aus Politgruppen hat er sich immer ferngehalten, sagt er. Er sieht sich als Einzelgänger, als „Soziopath“ gar, der äußerlich viel Wert darauf legt, zu einer Szene zu gehören, der innerlich aber am liebsten alleine ist. Dennoch treibt es ihn immer wieder an jene Orte, wo sich Polit- und Punk-Szene überschneiden, wie das Köpi oder das Café Morgenrot mit seinem Konzertkeller.

Zu der Verbindung aus Kunst, Subkultur und Politik passt auch Michalkes jüngstes Projekt: die Comiczeitschrift „Mamba“, in der Andreas Michalke gemeinsam mit der Creme der deutschen Zeichner aktuelle politische Themen aufgreift. Die Idee entstand bei einem Besuch in Istanbul, wo ähnliche Zeitschriften in großer Auflage aktuelle Themen behandeln, wie Michalke schwärmt. Das erste Heft erschien als Beilage der „Jungle World“ kurz vor Weihnachten, das Thema lautete „Unterschicht“. Ende Februar soll die nächste Nummer erscheinen. Sollte „Mamba“ sich etablieren, wäre aus dem Beobachter Michalke doch noch eine Art politischer Akteur geworden.

Andreas Michalke; „Bigbeatland“, Reprodukt-Verlag, 96 Seiten, farbig, 15 Euro

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