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© Illustration: Niimura/Ehapa

Literaturcomics: Für Bilderbürger

Die Berliner Zeichnergruppe Moga Mobo hat den großartigen Sammelband „100 Meisterwerke der Weltliteratur“ neu aufgelegt. Leicht überarbeitet und ergänzt, versprüht das Werk auch acht Jahre nach seinem ersten Erscheinen frische Energie und vermittelt die fast unbegrenzten Möglichkeiten des Mediums Comic.

Lolita und Josefine Mutzenbacher mussten dran glauben. Auch „Generation X“, Kaspar Hauser und der Malteser Falke haben es nicht in die Neuauflage der „100 Meisterwerke der Weltliteratur“ geschafft, in der das umtriebige Berliner Comictrio Moga Mobo vor acht Jahren erstmals den Versuch unternahm, den Kanon des Bildungsbürgertums in wortlose, jeweils einseitige Bildergeschichten umzusetzen – hier geht es zu unserer damaligen Rezension.

Jetzt ist die einst im Selbstverlag vertriebene, umsonst verteilte und lange vergriffene Leistungsschau des deutschen und internationalen Comicschaffens im Ehapa-Verlag wieder erhältlich - in einer größeren, schöneren, um einige Neuzugänge ergänzten, von Rechtschreibfehlern befreiten und mit einem Hardcover versehenen Neuauflage. Das war auch höchste Zeit! Denn die Sammlung zeigt auf fast durchgehend gehaltenem Spitzenniveau die Stärken des Mediums in einer ebenso anspruchsvollen wie unterhaltsamen Vielfalt, wie man sie in dieser Qualität selten zwischen zwei Buchdeckeln erlebt.

Die Regeln sind streng: Maximal acht Panels, keine Worte

Die Neuzugänge fügen sich da größtenteils nahtlos ein. So Tim Dinters Nachempfindung von Hunter S. Thompsons „Angst und Schrecken in Las Vegas“ als halluzinogener Wüstentrip oder Michael Maiers „1984“ in einer auch für Youtube-Kids zugänglichen Version.

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Expressiv. Nic Kleins "Blechtrommel".

© Illustration: Klein/Ehapa

Die neu aufgenommenen - wie alle Beiträge jeweils auf maximal acht Panels begrenzten und ohne Worte funktionierenden - Nacherzählungen von „Die Leiden des jungen Werther“, Harry Potter oder Paul Austers „Stadt aus Glas“ bereichern den Kanon ebenfalls sehr.

Ein Zugewinn in der dank größerem Format optisch ansprechenderen Neuauflage sind auch die von einigen Künstlern überarbeiteten Geschichten, deren Zeichner in den vergangenen acht Jahren ihre Ausdrucksmöglichkeiten sichtbar weiterentwickelt haben. So wirkt Elke R. Steiners Version von Theodor Storms Schimmelreiter deutlich reifer und stilsicherer, Thomas Gilkes Annäherung an „Berlin Alexanderplatz“ wirkt souveräner, ebenso die gelungene Auseinandersetzung mit Remarques „Im Westen nichts Neues“ eines Zeichners mit dem Künstlernamen Blindfisch. „Die Blechtrommel“, im Ursprungsband von Armin Ups eher schwach umgesetzt, überzeugt in der Neuinterpretation von Nic Klein als ungeheuer dichtes, expressives Bilderlebnis.

Das einzige, kleine Manko an diesem wunderbaren Sammelband sind die Abgänge. Anja Noltes bildliche Umsetzung von Dürrenmatts „Besuch der Alten Dame“ hätte auch der Neuauflage gut angestanden, ebenso die Variation auf Ernst Jüngers „Stahlgewitter“ aus der Feder des genialen Duos Katz & Goldt (wenngleich der Strip nicht zu ihren stärksten Werken zählt) oder der „Malteser Falke“ in den Schattenbildern Jan Thürings.

„Robinson Crusoe“ als kolonialistisches Sex-und Gewaltdrama

Das Gros der Meisterwerke hat es jedoch unverändert in die Neuauflage geschafft und vermag auch Jahre nach der ersten Lektüre noch Begeisterung auszulösen, so die respektlos-respektvollen Literatur- Interpretationen dreier Berliner Zeichner:

Reinhard Kleists genial verdichtetes „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“, Fils minimalistische Auseinandersetzung mit „Der Kleine Prinz“ und Andreas Michalkes Nacherzählung von „Robinson Crusoe“ als kolonialistisches Sex- und Gewaltdrama zeigen ein weiteres Mal, wieso dieses in einem gemeinsamen Atelier arbeitende Trio zur unangefochtenen Crème der Zunft gehört.

„Die Macher von Moga Mobo verstehen sich als Missionare, als Wegbereiter der unabhängigen deutschen Comic-Kultur“, hieß es vor sieben Jahren anlässlich der ersten Auflage dieses Buches im Tagesspiegel. Seitdem hat sich die Comicszene weiterentwickelt, viele der in diesem Band vertretenen Zeichner haben sich Anerkennung weit über die in Deutschland nach wie vor sehr überschaubare Szene hinaus erworben. Dennoch ist weitere Pionierarbeit erforderlich, um dem Comic zur ihm gebührenden Anerkennung als ernstzunehmende Kunst- und Literaturgattung zu verhelfen. Dazu ist dieser Band ein wirkungsvoller Beitrag.

Moga Mobo (Hg.): 100 Meisterwerke der Weltliteratur - als Comix, 112 Seiten, 9,95 Euro,
Ehapa Comic Collection.

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