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© Illustration: Benjamin/Tokyopop

Manhua: Die Leiden des jungen Zhang

In China hat sich in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Comicszene entwickelt. Benjamin, einer ihrer Stars veröffentlicht jetzt seine Bücher auch in Deutschland. Sein bisheriges Werk ist auf künstlerisch hohem Niveau, sein Gefühl für Farben und Schattierungen außergewöhnlich - die Geschichten hinterlassen allerdings gemischte Gefühle

Manhua ist der chinesische Begriff für Comics. Seinen Ursprung findet der chinesische Comic in Japan. Erst seit den 90er Jahren entwickelt sich der Manhua zu einer eigenen Kunstform, die immer weniger politische oder didaktische Hintergründe beinhalten und in der gesellschaftliche Ideologien immer mehr an Gewicht verlieren. Stattdessen wird auf Themenbereiche wie zwischenmenschliche Beziehungen, Körperlichkeit und Humor Wert gelegt, die den Interessen der Jugend weitaus mehr entsprechen. Auch wenn die Manhuas noch lang nicht so populär wie es die Comics in Japan, Amerika oder Europa sind, widmet sich der Comiczeichner Benjamin mit voller Hingabe seinen Geschichten und Illustrationen.

Zhang Bin, so lautet der bürgerliche Name Benjamins, der seinen ersten Comic im Jahre 2000 in China veröffentlichte. Er schrieb zudem mehrere Romane und brachte eine mehrbändige Anleitung zur Kolorierung am Computer heraus. Benjamin zählt zu den jungen Stars in der Chinesischen Comicszene und startete seinen europäischen Durchbruch in Frankreich. In Deutschland konnten sich bisher drei seiner Comics auf dem Markt etablieren und wurden durch den Bildband "Flash" ergänzt. Benjamins in Bildern erzählte Geschichten erschienen im vergangenen Jahr im Tokyopop-Verlag, der ihn kürzlich auch zur Frankfurter Buchmesse geholt hat. In China wurde jedes Jahr ein neuer Band in die Druckerpresse gegeben. Angefangen mit "One Day", der dort 2002 erschien. Nur eines seiner Bücher ist bis heute in China nicht erhältlich - mehr dazu im Interview mit Benjamin.

Kurze Geschichten vom alltäglichen Kampf

"One Day" ist das schmalste der drei Bücher, hat dafür aber die meisten Kurzgeschichten zu bieten. Die erste ist nach dem Titel des Comics benannt: "One Day" und schildert in schwarz weiß Zeichnungen den Tagesablauf eines jungen Chinesen in Shanghai.

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Am Rechner gemalt. Szene aus "Remember".

© Illustration: Benjamin/Tokyopop

Was sich sonst als Déja Vu eines tristen Alltags abspielt, schlägt an diesem speziellen Tag eine andere Route ein. Irgendwie läuft es für den namenlosen Protagonisten nicht so rund wie üblich - weder der Weg zur Arbeit, noch die Mittagspause, noch das abendliche Treffen mit den Freunden oder der Heimweg. Die größte Überraschung erwartet ihn jedoch in seinen eigenen vier Wänden.

Die zweite Kurzgeschichte, "Eine Blume, die den Sommer nicht erlebt", kommt gänzlich ohne Worte und Farben aus. Sie handelt von einem jungen Künstler, der sich die Inspiration für seine Zeichnungen bei der hübschen Nachbarin von gegenüber holt. Als er sie eines Tages erneut aus seinem Fenster beobachtet, sieht er, wie sie jemand anderen küsst. Geplagt von Eifersucht ist er im Begriff, all seine Zeichnungen zu verbrennen. Gerade zur rechten Zeit kommt ein Comicverleger in seine Wohnung geplatzt und kann ihn davon abhalten. So ist für ihn die Schwärmerei für seine Nachbarin doch noch von Nutzen.

Die dritte und kürzeste Geschichte mit dem Titel "Nachmittagsgeschwätz" erzählt auf acht grellbunten Seiten die Transformation eines hilflosen Mädchens, das in ihrer farblosen Welt von ihrem Vater geschlagen wird. Nach einem Garderobenwechsel und ein wenig Schminke entpuppt sie sich als selbstbewusste, bunte junge Frau, der alle Männer zu Füßen liegen und die sich für ihre Schönheit und Liebe nicht schämen muss.

Zu guter Letzt folgt "Die Tauben schweben in der Stille". Ein talentfreier Musiker versucht das Mädchen seiner Begierde mit dem einzigen Lied, das er kennt, für sich zu gewinnen. Sie ist die Einzige, die ihm von Anfang an zuhört. Als er schließlich ein Konzert geben soll, traut er sich endlich das Mädchen anzusprechen und muss feststellen, dass ihre kleine Welt seinen Ansprüchen nicht genügt.

Im hinteren Teil des Buches sind noch zusätzliche Illustrationen mit Kommentaren des Autors, Essays und Fotos abgedruckt. Erst in der letzten Geschichte ist die inzwischen typische Benjamin-Kolorierung vorhanden, die meist einer Art Farbthema unterliegt. In diesem Fall sind es verschiedene Variationen der Farbe Lila.

Wenn man sich den nächsten Comic zur Hand nimmt, welcher in China ein Jahr später entstand, wird erst deutlich, was denn wirklich typisch für die ungewöhnliche Farbgestaltung Benjamins ist.

Abschiedsbrief auf dem Hochhausdach

Orange ist ein junges chinesisches Mädchen, das in dem gleichnamigen Comic mit den Leiden der Adoleszenz zu kämpfen hat.

Der Verlogenheit der Menschen überdrüssig, fühlt sie sich einsam und unverstanden. Aufgrund ihrer misslichen Lage, steht sie mit einem Abschiedsbrief in der Hand am Rand eines Hochhausdachs, um sich das Leben zu nehmen. Doch jemand hält sie vom Sprung ab: Dashu, ein passiver junger Künstler, der ohne Hemmungen trinkt und dabei aussieht, als hätte er das Glück jeden Tag aufs Neue gepachtet.

Als sie Dashu eines Tages volltrunken und bewusstlos vor seiner Wohnung vorfindet, hinterlässt sie ihren Abschiedsbrief in seinen Händen. Als dieser aus seinem Rausch erwacht und den Brief liest, hat er zunächst nichts als Gelächter dafür übrig. Später, nach wiederholtem Lesen, scheint sich in ihm etwas zu verändern. kurz danach stehen beide auf dem Dach, auf dem alles begann und Dashu stürzt sich nach einer lebensbejahenden Rede für Orange in den Tod. Auch dieses Werk lässt auf den letzten Seiten Platz für Zeichnungen und Texte des Autors und ist mit einem Farbthema versehen: Neben der Hauptfarbe blau, geben vereinzelte Gelbtöne und intelligent gesäte Rotnuancen der ganzen Sache das gewisse Etwas.

Steiniger Weg zum Erfolg

"Remember" heißt das nächste Buch, in der "Niemand kann fliegen - Niemand kann sich erinnern" die erste der zwei Geschichten ist: Fasziniert von den Zeichnungen eines jungen Comiczeichners ohne Namen, klinkt die hübsche Yu Xin sich einfach in dessen Leben ein. Trotz der Leidenschaft des Jungen für das Comiczeichnen, tragen die Mühen keine Früchte. Sein Weg zum Erfolg wird durch die Verleger mit Steinen versehen, was ihn stark mitnimmt.

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Sprung nach Europa. Kürzlich war Benjamin (35) auf der Frankfurter Buchmesse zu Gast, wo der Tokyopop-Verlag einen Pavillon mit seinen Zeichnungen dekoriert hatte.

© Lars von Törne

Er ist so sehr damit beschäftigt über seinen Zeichnungen zu brüten, dass er sich nicht auf die Annäherungsversuche von Yu Xin einlassen kann und will.

Inspiriert vom Engagement des jungen Zeichners, versucht sich Yu Xin der normalen Arbeitswelt zu entziehen und ihre alte Berufung als Comiczeichnerin wieder aufzunehmen. Sie scheitert jedoch an der Ablehnung ihres Schwarmes, der sie eiskalt abblitzen lässt und entscheidet sich gegen das Leben einer Künstlerin. Erst als sie aus dem Leben des namenlosen Zeichners verschwindet, bemerkt dieser, wie sehr er sie vermisst. Nachdem er dann den Durchbruch doch noch schafft, widmet er ihr sein größtes Werk in einer letzten Verzweiflungstat. Diese in grün-blau gehaltene Geschichte hat ihr eigenes Nachwort.

Darauf folgt die zweite, wesentlich seitenärmere Kurzgeschichte "Der Sommer in einem Jahr". In ihr werden aus der Perspektive eines Kunststudenten zwei Geschichten gleichzeitig erzählt. Die des Studenten selbst, der sich in Lily, eine seiner Kommilitoninnen, verliebt. Und die eines Außenseiters, der ebenfalls mit ihm studiert und in ihm seinen einzigen Freund findet. Der Außenseiter wird von anderen Kunststudenten verprügelt und von den Mädchen gemieden. Daraufhin zieht er sich vollkommen zurück und widmet sich nur noch seinen Zeichnungen. Eines Tages verschwindet er für einen Monat. Als er dann völlig verstört auf dem Campus wiedergefunden wird, wird er von seinem Vater abgeholt. Der namenlose Kunststudent und Lily werfen nach den bestandenen Abschlussprüfungen ihre Bücher und Aufzeichnungen vom Dach des Universitätsgebäudes und lassen damit die schwierige Zeit des Studiums hinter sich. Diese farblich und Storytechnisch sehr düstere Geschichte, wird im Anhang von jeder Menge Illustrationen, Texten, einer Minibiographie und eines Kommentars des Herausgebers ergänzt.

Irritierende Handlung, faszinierende Zeichnungen

Alles in allem kann man sagen, dass sich Benjamin auf melodramatische Weise mit dem Thema Jugend im heutigen China auseinandersetzt. Es wird kritisch Stellung zur Einschränkung der künstlerischen Freiheit in China bezogen. Es mag sogar in gewisser Weise grenzüberschreitend wirken, wäre der Leser ein Chinese mit streng gesellschaftlichen und ideologischen Richtlinien. Doch ist das nicht der Fall. Die deutschen Ausgaben stehen unter keinem roten Stern und sind weit davon entfernt in irgendeiner Art der Zensur zum Opfer zu fallen.

Von daher sind die Geschichten für den nichtchinesischen Leser schwer nachzuvollziehen und wirken aufgesetzt. Übertrieben pathetisch und überfüllt mit Klischees wie sie sind,  fällt es schwer sich für die Geschichten zu begeistern.

Zudem ist es manches Mal, auch für eingefleischte Comicleser, sehr schwierig dem Plot zu folgen, da oft nicht nur die Zeichnungen schwer zu durchschauen sind und den Lesefluss unterbrechen, es sind auch die Geschichten an sich, die für Verwirrung sorgen. Unangebrachte Soundwords und das Lettering aus der Maschine nehmen den sonst außerordentlich gelungenen Zeichnungen die Würze. Auch die selbstkritischen Nachworte geben keinen Anlass zur Freude, sondern werfen eher neue Fragen auf und helfen den Storys nicht im Geringsten. Diese Comics sind auf eine Zielgruppe ausgerichtet, die sich mit postpubertären Fragen konfrontiert sieht und keinen großen Wert auf schlüssige Zusammenhänge legt.

Wenn man allerdings  von Benjamins Zeichnungen begeistert ist und sich nicht an synthetischen Photoshopillustrationen die Zähne ausbeißt, kann man das Artbook "Flash" des jungen Chinesen durchaus empfehlen. Hier könnte es sogar vorkommen, dass ein ungeübtes Auge die am Rechner erstellten Bilder für echte, pinselgeführte Gemälde halten könnte. Benjamins Empfinden für Licht und Schatten, sowie die Farbgebung bewegen sich auf hohem Niveau und können einem schon mal die Spucke im Mund trocknen lassen.

Benjamins Bücher erscheinen auf Deutsch bei Tokyopop, mehr dazu unter diesem Link.

Ivo Joswig

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