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© Illustration: Fil/Kein & Aber

Neuer "Struwwelpeter": Suppenkaspars Gitarrensolo

Der Berliner Zeichner und Komiker Fil hat mit dem Comic-Künstler Atak den Struwwelpeter neu interpretiert. Im Interview erzählt der frühere Punk, was ihn daran reizte

Sie haben gemeinsam mit Atak eine neue Version des Struwwelpeters verfasst. Wie kam das?

Als Kind mochte ich den Struwwelpeter gar nicht. Dann habe ich aber bemerkt, dass es gar im Buch nicht um das Moralisierende geht. Heinrich Hoffmann hat sich für die damaligen Zeiten einen großen Spaß erlaubt. Seine Figuren sind wirklich stark. Eigentlich ist der Struwwelpeter eine Art Horrorbuch für Kinder. Wo gibt es sonst ein Kinderbuch, in dem ein Mädchen verbrennt und alle bluten und sterben? Eigentlich sollte es verboten werden (lacht). Stattdessen wird es immer noch gefeiert.

Wie kann man da noch eins drauf setzen?

Das wollten wir gar nicht. Parodien über den Struwwelpeter gibt es tausende, den Hippie-Struwwelpeter, den Manga-Struwwelpeter. Wir wollten das unbedingt anders machen. Wir covern das Buch. Wie eine junge Band, die die Ramones covern will. Die würden nicht versuchen, sie zu parodieren. Also spielen sie die Songs nach und bauen vielleicht mal ein längeres Gitarrensolo rein. Man gibt dem Ganzen eine eigene Note – mit Respekt vor dem Original.

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Respekt vor dem Original. Fil, hier mit einem seiner früheren Werke.

© David Heerde

So haben wir versucht, uns dem Struwwelpeter zu nähern. Ich habe in einer ähnlichen Sprache geschrieben, es kommen keine modernen Begriffe vor. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Reime im Vergleich zu Wilhelm Busch nicht besonders gut sind.

Zum Beispiel diese Strophe aus dem Suppenkaspar: "Am nächsten Tag, ja sieh' nur her, da war er schon viel magerer."

Magerer! Ich finde das super! Das ist schnell geschrieben, deshalb hat es auch so viel Kraft. Wir haben in unserer Version daher auch versucht, mehr in die Tiefe der Charaktere zu gehen und Fragen zu beantworten, die das Original offen lässt. Zum Beispiel: Wie kann der Suppenkaspar sterben, wenn er fünf Tage nichts isst? Und warum steht eine Suppenschüssel auf seinem Grab?

Ja, warum?

Bei uns stirbt der Suppenkaspar an seinem eigenen Wahnsinn.

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Vorher....

© Atak und Fil/ Kein & Aber

Er denkt, die Suppe lebt und kontrolliert ihn von innen. "Sie fließt über den Magen bis ins Herz ohne zu fragen." Er stellt sich vor, dass die Suppe ihn tötet. Und wir glauben, dass es auch so ist.

Die 68er haben den Struwwelpeter als Ausgeburt der reaktionären "schwarzen Pädagogik" gebrandmarkt. Hatten Sie als ehemaliger Punk da keine Bauchschmerzen?

Meine sechsjährige Tochter hat das Buch bei mir gefunden und es ihren Freundinnen vorgelesen. Sie hat gesagt es sei das blödeste Buch der Welt. Aber es ist mir aufgefallen, dass der Struwwelpeter Kinder trotzdem interessiert, während diese ganzen 68er-Pädagogik-Bücher trostlos und trübe sind in ihrem langweiligen Schwarz-Weiß-Denken.

Warum?

Alle Erwachsenen sind darin doof und alle Kinder clever – das finde ich total geistlos. Der Struwwelpeter ist da ganz anders. Er ist eher wie ein Schocker.

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...und nachher. Ataks und Fils Variation des Suppenkaspars.

© Atak und Fil/ Kein & Aber

Ich glaube auch gar nicht, dass Kinder sich beim Lesen denken: Mir werden auch die Finger abgeschnitten, wenn ich Daumen lutsche. Sie haben eher Freude an dem Horror.

Sollte man Kindern denn solche grausamen Bilder zumuten?

Ich würde es Kindern nicht unbedingt vorlesen. Aber meine Tochter ist nicht zusammengebrochen und hat auch kein Trauma davongetragen, nachdem sie das Buch in die Finger bekommen hat. Ich glaube, man muss den Horror nicht immer von Kindern fernhalten. Ich vermute, dass die Bestrafungen, die Hoffmann im Struwwelpeter zeigt, ursprünglich witzig gemeint waren, auch wenn wir heute nicht mehr drüber lachen können. Die Leute haben sich wohl eher an den krassen Zeichnungen erfreut. Wie an Comics.

Haben Sie Ihre Version etwas weniger blutrünstig gestaltet?

Der Zeichner Atak und ich haben uns viel über Details gestritten. Er wollte unbedingt Blutlachen unter die abgeschnittenen Finger malen. Ich habe ihm gesagt: "Das ist zu hart, lass sie weg." Aber er hat darauf bestanden. Zumindest habe ich mich bei den Daumen durchgesetzt. Die laufen jetzt als kleine Figuren weg. Das hat dann wenigstens wieder etwas Niedliches.

In Ihren Struwwelpeter haben Sie sogar eine ganz neue Geschichte eingebaut.

Ja, wir haben noch einen Jungen aus der Gegenwart dazu genommen: Justin. Wir sind darauf gekommen, nachdem wir eine skandinavische Version des Struwwelpeter gefunden haben aus der Zeit um 1900. Die Autoren haben darin einfach zwei eigene Geschichten aus ihrer Mythologie hinzugedichtet. Da haben wir uns gedacht: das machen wir auch! Wenn in 100 Jahren wieder Leute den Struwwelpeter adaptieren, übernehmen sie unseren Justin vielleicht. Wie mein Freund Olli einmal sagte: ich schreib mich einfach in die Bibel rein mit dem Evangelium "Olli" und in 1000 Jahren bin ich drin!

Das stimmt natürlich! Wer weiß, irgendwann ist Justin fester Bestandteil des Struwwelpeter.

Was passiert Justin in Ihrer Geschichte?

Nichts. Er ist ein Kind von heute, er sitzt rum, spielt ein bisschen Computer, guckt fern, spielt mit anderen Kindern. Dann wünscht er sich zu Weihnachten eine X-Box. Und kriegt sie auch. Der letzte Satz im Buch lautet: "Es ist die X-Box. Geil." Das reimt sich dann auch nicht mehr. Justin ist ein Kind von heute, dem passiert nichts. Das ist aber auch nicht schlimm.

Atak, FIL: Der Struwwelpeter. Lustige Geschichten und drollige Bilder frei nach Heinrich Hoffmann, 96 Seiten, 29.90 Euro. Die Ausstellung, die das Buch begleitet, ist im Frankfurter Museum für Komische Kunst bis 20. September zu sehen.

© ZEIT ONLINE

Carolin Ströbele

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