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Politik im Comic: Der Geist der Bewegung

Zwischen arabischem Frühling und Occupy: Selten war das Medium Comic so politisch und aktuell wie jetzt. Vorreiter ist die Website cartoonmovement.com, die kürzlich ihren ersten Jahrestag feierte.

Spätestens mit dem internationalen Erfolg von Joe Saccos Werken hat der Comicjournalismus begonnen, einen festen Platz in der Medienlandschaft einzunehmen. Politische Umwälzungen wie die Proteste des „arabischen Frühlings“ oder die von New York ausgegangene Occupy-Bewegung werden im Medium Comic zeitnah portraitiert und kommentiert. Dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass der Comic eine sehr unmittelbare Möglichkeit der Dokumentation des Geschehens bietet, wie die Zeichnerin Barbara Yelin in einem Interview bemerkt. Der Zeichner/Journalist benötigt lediglich Papier und Stift um seine Eindrücke an Ort und Stelle festzuhalten. Gerade eine Publikation der so entstandenen journalistischen Comics im Internet kommt dieser Unmittelbarkeit entgegen.

Bestes Beispiel dafür ist die Webplattform cartoonmovement.com, die am 15. Dezember ihren ersten Geburtstag feierte. Die vom Amsterdamer Cartoonisten Tjeerd Royaards und dem amerikanischen Cartoonisten und Comiczeichner Matt Bors redaktionell betreute Webseite versteht sich als Plattform zur Veröffentlichung von politischen Cartoons und journalistischen Comics. Ziel von cartoonmovement.com ist es, verschiedene Perspektiven auf politische Ereignisse zu eröffnen und den Entwicklungen auch dann noch nachzuspüren, wenn die durchschnittlich eher kurz bemessene Aufmerksamkeitsspanne der globalen Medien ausgereizt ist.

Auch namhafte Zeichnerinnen wie Sarah Glidden sind dabei

Dass die Plattform bereits im ersten Jahr ihres Bestehens äußerst erfolgreich war, hängt wohl auch mit dem Andauern des „arabischen Frühlings“ zusammen, der auf unterschiedlichste Art und Weise im Medium Comic portraitiert wurde. Aber auch die seit September sich von New York aus verbreitende Occupy-Bewegung und ihre verschiedenen Ausformungen hat Zeichner sowohl in den USA als auch in Europa dazu veranlasst, ihre Eindrücke in Comicform festzuhalten. Auf cartoonmovement.com finden sich inzwischen zahlreiche Beiträge zu diesem Thema. Diese zeigen, dass der von den Betreibern der Plattform gesetzte Anspruch, verschiedene Sichtweisen nebeneinander zu stellen und Themen auch dann noch zu verfolgen, wenn das allgemeine mediale Interesse abgeebbt ist, voll und ganz eingelöst wird.

So bieten die unterschiedlichen Beiträge vor allem sehr persönliche Blicke auf die Bewegung und ihre Entwicklung und portraitieren diese mit all ihren Widersprüchen. Stephanie McMillans „The Beginning of the American Fall“ (Teil 1 hier, Teil 2 hier) zeigt zum Beispiel, wie die beiden zunächst unabhängig entstandenen Bewegungen „Stop the Machine“ und der Ableger der Occupy-Bewegung in Washington D.C. sich immer mehr annäherten, bis sie schließlich ineinander aufgingen. Die seit 1992 als politische Cartoonistin aktive Zeichnerin führt nicht nur unterschiedliche Charaktere vor, sondern zeigt auch deren Zusammenspiel und damit die organisatorischen und konzeptionellen Diskussionen und Planungen im Hintergrund der Occupy-Bewegung. So wird deutlich, dass dort viele verschiedene Interessen aufeinander treffen und der nach außen präsentierte Zusammenhalt der Aktivisten nicht immer selbstverständlich ist.

Neben Stephanie McMillan ist mit Sarah Glidden („Israel verstehen – in 60 Tagen oder weniger“) eine weitere, auf dem Gebiet der journalistischen Comics etablierte, Zeichnerin vertreten. Auf zehn Seiten begleiten wir sie eine Woche lang bei ihren Recherchen im Umfeld der Occupy-Bewegung in Miami. Tagebuchartig dokumentiert sie ihre Gespräche mit Polizisten, Journalisten und Aktivisten und lässt uns über die Schulter schauen während sie sich in der Zeltstadt treiben lässt.

Wenn die Zeltstädte geräumt werden

Diesen Ansatz, die Vielschichtigkeit der Occupy-Bewegung durch das Portraitieren verschiedenster Personen zu transportieren, verfolgen die meisten der auf cartoonmovement.com veröffentlichten Comics zum Thema. Bei einigen der Beiträge wird diese Heterogenität noch durch die Tatsache verstärkt, dass es sich um ein Gemeinschaftsprojekt verschiedener Zeichner handelt, die jeweils zwei bis drei Seiten gestaltet haben. Unter dem Titel „Occupy Sketchbook“ entstanden so Collagen, die dem Leser in den unterschiedlichsten Zeichenstilen die verschiedenen Perspektiven präsentieren. Mal in wenigen Bleistiftstrichen hingeworfen, mal liebevoll und detailgenau koloriert werden nicht nur die Demonstrationen und Zeltstädte in den USA sondern auch in Griechenland, London oder Amsterdam gezeigt.

Eine weitere Gemeinsamkeit der Beiträge auf cartoonmovement.com ist die immer wieder aufgeworfene Frage, wie es mit der Occupy-Bewegung weitergeht, wenn die Zeltstädte geräumt werden oder das hereinbrechende Winterwetter den Aktivisten zu schaffen macht. Mit dieser Frage beschäftigten sich auch die Initiatoren von „Occupy Comics“, einem amerikanischen Comicprojekt, das über die Crowdfundingplattform kickstarter.com erfolgreich finanziert wurde. Ziel ist die Erstellung und Publikation von Comics, die die Occupy-Bewegung in den USA portraitieren. Inzwischen konnten mehr als 50 Zeichnerinnen und Zeichner für das Projekt gewonnen werden, darunter auch Alan Moore, dessen „V for Vendetta“ die Guy-Fawkes-Maske entlehnt ist, die zum optischen Erkennungszeichen der Demonstranten geworden ist.

Zehntausende Dollar dank Crowdfunding

Die entstandenen Comics sollen zunächst online veröffentlicht werden, in der zweiten Jahreshälfte 2012 soll mit der gedruckten Anthologie dann eine Zeitkapsel entstanden sein, die die Emotionen der Bewegung konserviert. Ziel ist es jedoch nicht nur, den momentanen Geist der Bewegung festzuhalten, sondern die Aktivisten auch finanziell zu unterstützen. Alle Beteiligten, Zeichner und Herausgeber, werden für ihre Arbeit entlohnt, haben sich aber verpflichtet, dieses Geld an die Demonstranten, die noch in den Zeltstädten ausharren, zu spenden. So soll für warme Kleidung, winterfeste Zelte und Waschräume gesorgt werden. Das Projekt über das Prinzip des Crowdfundings zu finanzieren, bei dem Privatpersonen eine von ihnen selbst bestimmte Summe für Projekte spenden, von denen sie überzeugt sind, hat sich als äußerst erfolgreich erwiesen. Das Minimalziel von 10.000 Dollar wurde nahezu verdreifacht, was wohl auch der Tatsache geschuldet ist, dass man je mach Höhe der Spende ein T-Shirt oder ein Exemplar der fertigen Anthologie erhält, sozusagen als Gegenleistung für seine Unterstützung.

Man darf also gespannt sein, zum einen, inwieweit diese finanzielle Unterstützung der Occupy-Bewegung durch den Winter zu helfen vermag und welche Geschichten die Zeichnerinnen und Zeichner über die Proteste und ihre Protagonisten erzählen werden. Zum anderen darf man ebenso gespannt sein auf die weiteren Projekte der Plattform cartoonmovement.com, die für Januar 2012 den Start einer Comic-Serie über die aktuelle Lage in Haiti, knapp ein Jahr nach dem schweren Erdbeben, angekündigt hat.

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