zum Hauptinhalt
Von der Geschichte überwältigt: Die Ich-Erzählerin in einer Seite aus dem Buch.

© Illustration: Glidden

Politik im Comic: Was, kein Kaffee am Sabbat?

Die amerikanische Zeichnerin Sarah Glidden vermittelt mit „How to understand Israel in 60 days or less“ einen wertvollen Einblick in Geschichte und Gegenwart Israels. Im Juni erscheint ihr Buch auf Deutsch.

Autobiographische Comics, einst wesentliches Instrument einer wichtigen Erweiterung des thematischen Spektrums des Mediums, schienen zuletzt ausgereizt. Was sollte nach Spiegelmans Traumabewältigungen in „Maus“ und  „In the shadow of no towers“, nach den Geschichten von Teenage Angst und Coming of Age z.B. bei Craig Thompson und den bis zur geschmacklichen Schmerzgrenze gehenden Selbstentblößungen von Joe Matt auch noch kommen? Nun aber berichtet Sarah Glidden über ihre Exkursion nach Israel, eine kostenlose „Birthright Israel“-Tour, die das Land jungen Juden aus aller Welt anbietet.

Sarah, nicht religiöse amerikanische Jüdin, politisch links und mit großen Sympathien für die Anliegen der Palästinenser, ist eine an allem und an sich selbst zweifelnde und zunehmend verzweifelnde Idealistin auf der Suche nach klaren Antworten. Sie verdächtigt „Birthright Israel“ schon vor der Abreise der propagandistischen Gehirnwäsche mit dem Ziel, Unterstützung für Israel zu sichern und möglichst viele zur „Aliyah“ zu bewegen, zur Einwanderung. Entsprechend hat sie sich per Selbststudium gewappnet, nimmt ihre noch stärker nicht religiöse Freundin mit auf die Reise und auch die Warnungen ihres nicht jüdischen Freundes Jamil, sich nicht „umdrehen“ zu lassen.

„So einfach ist es nicht“

Der Band ist in schönen, fast naiv-kindlichen Wasserfarben gehalten; Cartoon-hafte Figuren agieren in realistisch gestalteter Umgebung. Graphische und bildgestalterische Finessen fehlen weitgehend und Glidden erzählt linear, ohne nennenswerte narrative Kniffe. Schön ist aber die Idee, die Protagonistin bei ihren Reflexionen und Tagträumen in eine sich jeweils passend wandelnde Umgebung wandern zu lassen. So interagiert Sarah plötzlich mit historischen Personen, die z.B. durch die Erzählungen der Reiseführer lebendig werden, oder sie übernimmt bei einer Art innerer Gerichtsverhandlung alle Funktionen, ist Richterin, Anklägerin, Verteidigerin. Während Überlebende beider Konfliktparteien mit dem Ziel der Versöhnung über ihre toten Angehörigen sprechen, sieht sie ihren kleinen Bruder, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist.

Sarah will die unbequemen Fragen stellen, allerdings traut sie sich nicht immer. Sie will sich nicht vom „birthright glow“ anstecken lassen, von der in der Reisegruppe um sich greifenden Begeisterung für Israel. Und doch ist sie zunehmend beeindruckt von der Lebenswirklichkeit der israelischen Juden, von der Komplexität Israels. Auch linke Israelis entgegnen auf ihre apodiktischen Einwürfe regelmäßig: „So einfach ist es nicht“.

Zweifelnde Idealistin: Sarah Glidden auf dem Cover ihres Buches.
Zweifelnde Idealistin: Sarah Glidden auf dem Cover ihres Buches.

© Illustration: Vertigo

In der Tat, schon der Versuch, eine einigermaßen akkurate Landkarte der israelischen Siedlungen, „Vorposten“, speziellen Straßen und Posten zu zeichnen, muss scheitern, zumal in einem Comic mit seinen begrenzten grafischen Möglichkeiten. Die politische Unübersichtlichkeit lässt sich nicht darstellen, geschweige denn auflösen. Doch der Leser gewinnt mit den Augen Gliddens einen wertvollen Einblick in Geschichte und Gegenwart Israels und bedauert mit ihr, dass nicht mehr über die besetzten Gebiete im Westjordanland zu erfahren ist. Immerhin findet man nebenbei heraus, woher Monthy Python die Idee für das Selbstmordkommando in „Life of Brian“ hatten. Ist Sarah Glidden, deren neues, innovativ finanziertes Projekt eines investigativen Comic-Journalismus in Arbeit ist, am Ende schlauer? Lassen Sie sich überraschen.

Hinweis: Sarah Gliddens Buch erscheint im Juni unter dem Titel „Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger“ auf Deutsch bei Panini. Die Autorin wird aus dem Anlass als Gast des Comicfestivals München erwartet. Zu ihrer Website geht es hier.

Unser Gastautor Dr. Thomas Greven ist Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik, Berlin, und Privatdozent am Kennedy-Institut der FU Berlin. Mehr Texte von ihm finden sich unter diesem Link.

Thomas Greven

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false