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Hartgesotten: Eine Szene aus dem Buch.

© Splitter

Science-Fiction-Thriller: Der letzte Coup

Neo-Noir vom Feinsten: Der Sci-Fi-Krimi „The Last Days of American Crime“ ist schmutzig, blutig und entfaltet Sogwirkung. Jetzt gibt es ihn auf Deutsch.

Autor Rick Remender („Punisher“) und Zeichner Greg Tocchini („Thor: Asgards Sohn“) erzählen vom letzten großen Coup in der Geschichte der Vereinigten Staaten: Kurz bevor die US-Regierung in einer nicht allzu fernen Zukunft Verbrechen per Funk-Signal und Gedankenkontrolle quasi unmöglich macht und zur Ablenkung von diesem Affront gegen die Menschenrechte auch noch das Währungssystem digitalisiert, wollen Graham Bricke und seine Komplizen eine der Aufladestationen für das neue bargeldlose Zahlungssystem klauen. Dafür bleiben ihnen nur noch zwei Wochen, da dann das Signal aktiviert und jede illegale Tat blockiert wird - die Hatz nach einem kleinen Vermögen und zum letzten Verbrechen Amerikas beginnt .

Die USA in der nahen Zukunft. Kriminalität und Terror haben gewonnen und das einstmalige Land der unbegrenzten Möglichkeiten in die Knie gezwungen. Die US-Regierung entschließt sich, das Problem bei der Wurzel anzupacken und per Sendesignal alle illegalen Aktivitäten im Keim zu ersticken, indem biochemische Prozesse, die für ein Verbrechen notwendig sind, permanent via Neuro-Inhibitor geblockt werden. Die Kontroverse ist entsprechend groß, und der Massen-Exodus veranlasst Mexiko und Kanada schließlich sogar dazu, die Grenzen komplett abzuriegeln. Doch nicht genug: Um die empörte Öffentlichkeit abzulenken, lässt die amerikanische Regierung gleichzeitig durchsickern, dass auch das Währungssystem des Landes eine drastische Änderung erfahren wird – es soll vollauf digitalisiert werden, wodurch künftig jeder Geldfluss direkt protokolliert und besteuert werden würde.

Harte Kerle, mysteriöse Hacker

Diese beiden Ankündigungen lassen nur einen Schluss zu: Wer als Berufsgangster in dieser kaputten „alten Neuen Welt“ noch ein großes Ding drehen will, muss sich beeilen.

Das weiß auch der hartgesottene Ganove Graham Bricke, der sich aufgrund des knappen Zeitfensters für seinen finalen Coup – den Diebstahl einer Aufladestation des neuen Zahlungsmittelsystems – sogar ein unbekanntes Hacker-Pärchen ins Boot holen muss, dem er nicht weiter traut als er spucken kann. Schließlich verführt ihn seine neue Komplizin bereits, bevor sie sich ein paar Minuten später offiziell zum ersten Mal in einer Bar treffen und über das letzte große Verbrechen in der Geschichte Amerikas reden ...

Rick Remender geht in seinen Comics gerne ein Stück weiter als viele seiner Kollegen, und das meistens mit Erfolg: Marvels obersten und eigentlich grimmigsten Antihelden, den Punisher, hat er so etwa mit Mary Shelleys Frankenstein-Mythos gekreuzt und eine innovative, bei den Fans des Bestrafers aber keineswegs unumstrittene Horror-Action-Geschichte erzählt. Seine SF-Comic-Reihe „Fear Agent“, die in den USA kurz vor ihrem Abschluss steht, ist dagegen eine trashige Hommage an die großen Weltraum-Abenteuerhelden des Golden Age, und seine Endzeit-Miniserie „Lone“ wird leider genauso selten lobend erwähnt wie sein Contemporary- Fantasy-Spaß „The Helm“. Aktuell schreibt der viel beschäftigte Remender nicht nur Videospiel-Drehbücher („Dead Space“), sondern für Marvel überdies die neuen Abenteuer der X-Force, der brutalen Black-OP-Einheit der X-Men. Mit Zeichner Tony Moore arbeitet er darüber hinaus an der Spider-Man-Spin-off-Serie „Venom“, die bisher ebenfalls ziemlich ungewöhnlich daher kommt.

Verkommene Zukunft: Eine Seite aus dem Buch.
Verkommene Zukunft: Eine Seite aus dem Buch.

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Bereits 2010 schuf Remender für den nach vorn drängenden US-Verlag Radical Comics die dreiteilige Miniserie „The Last Days of American Crime“. Dazu dachte Remender, der früher auch als Animationszeichner tätig war und u. a. an Filmen wie „Titan A. E.“ und „Der Gigant aus dem All“ mitwirkte, sich ein extrem düsteres Near-Future-Setting aus, um darin eine klassische Noir-Krimi-Geschichte über ein paar Gangster zu erzählen, die gegen sich selbst und die Uhr kämpfen. Ein letzter großer Coup mit riesigen Gewinnaussichten dient als leuchtendes Ziel für eine instabile Crew mit einem ausgeklügelten Plan und ausgesprochen guten Fähigkeiten. Um das letzte Verbrechen in der Geschichte der USA und die Mitglieder der kleinen Gaunergruppe spielen sich auf den knapp 140 Comic-Seiten natürlich zahllose Konflikte, Intrigen und Dilemmas ab, wie das eben bei einer Story dieser Art sein muss, egal in was für einem Setting sie nun spielt.

Die zeichnerische Ausgestaltung der verkommenen Zukunft in Remenders Szenario oblag Greg Tocchini. Der 1979 in Brasilien geborene Künstler, der bisher insbesondere mit Fantasy-Serien für Marvel auf sich aufmerksam machen konnte, zuletzt aber auch für DCs „Batman & Robin“ tätig war, bringt Seite für Seite all den Schmutz und all das Blut in Remenders pessimistischer Zukunftsvision zum Leuchten und nutzt dabei eine erstaunlich bunte Farbpalette. Zugleich geizt er jedoch keineswegs mit sexy Einstellungen oder handfester Action-Kost, während die Verdorbenheit des heruntergewirtschafteten Amerikas ebenfalls immer in seinem Fokus bleibt. So führt uns Tocchini trittsicher durch die ziemlich textlastige Story voller Gewalt und Erotik.

Schwung bis zum letzten Panel

Eine Frage stellt sich schon während der Lektüre unweigerlich: Hätte Remender den sozialkritischen Aspekten seines interessanten Backgrounds mehr Raum geben müssen?

Vielleicht. Die eigentliche Story und ihre Charaktere beeinflusst das aber nicht weiter, und für einen tollen Rahmen genügen die gelegentlichen Schnipsel allemal. Die Art und Weise, wie Remender sein Setting unterwegs mit Leben füllt, erinnert sogar an Veteranen wie Frank Miller oder Howard Chaykin. Auch in den revolutionären dystopischen Comic-Klassikern dieser beiden einflussreichen Künstler waren Nachrichtensendungen ein bewährtes Mittel, um den SF-Hintergrund ihrer Szenarien zu zementieren. Bei Remender geschieht das jedoch nicht im Zentrum einer Seite, sondern eher beiläufig und ein wenig abseits der narrativen Hauptstraße, wenn irgendwo im Hintergrund eines Motelzimmers etwa ein Fernseher läuft und die Sprechblasen uns mit TV-Runden und News versorgen, in denen hitzig über den Neuro-Inhibitor debattiert und berichtet wird. Hier zollt Remender der Social Fiction dann auch am ehesten Tribut: Etwa wenn die Experten im Studio darüber streiten, ob es ethisch vertretbar sei, die Rückgewinnung der Sicherheit eines Landes damit zu erkaufen, dass alle Individuen von der moralischen Entscheidungspflicht befreit werden, indem ein Signal diese Entscheidung für sie trifft.

Keine Frage: Unter SF-Aspekten wäre hier durchaus mehr zu holen gewesen. Andererseits hätte ein entsprechend stärker beleuchteter Background, der zu oft mit dem Vordergrund verschmilzt und mit der harten Gangster-Story konkurriert, schnell das Tempo aus der Geschichte nehmen können. So hat Remenders unerbittlicher Noir-Reißer bis zum letzten Panel immer ordentlich Schwung. Die reichlich dystopische Präventionsmaßnahme bleibt dagegen lediglich ein interessantes Hintergrundrauschen, das immer irgendwie präsent ist, aber nie in letzter Konsequenz untersucht wird, nachdem es die Handlung ins Rollen gebracht hat und die Uhr, deren Ticken wir und die Protagonisten beständig hören, gnadenlos herunterlaufen lässt.

Ein Film mit Sam Worthington ist in Planung

Ansonsten hat Remenders Geldraub der etwas anderen Art nicht zuletzt wegen seiner erzwungenen Geschwindigkeit eine enorme Sogwirkung und schlägt bis zum Finale genretypisch noch so manchen unerwarteten Haken – und selbst ganz am Schluss gibt es noch den einen oder anderen Kniff, mit dem der Autor seine Leser überrascht. Für die Lektüre seines SF-Comics sollte man also immer alle Sinne beisammen haben, um nicht abgehängt zu werden. Dann steht dem Genuss dieser großartigen Neo-Noir-Gangstergeschichte in Comic-Form aber eigentlich nichts mehr im Wege, nachdem der Band beim Bielefelder Splitter Verlag nun endlich auch auf Deutsch erschienen ist und sogar im Hardcover mit Schutzumschlag glänzen darf, während es in den USA nach den drei Heften nur ein normales Tradepaperback gab.

Die ursprüngliche Definition des Noir-Genres geht auf die kritische Beschäftigung mit den düsteren Hollywood-Krimis der 1940er und 1950er zurück. Kein Wunder, dass angesichts dieser Tradition sowie der beachtlichen Erfolge diverser Comic-Verfilmungen die Leinwand-Adaption von Remenders und Tocchinis Miniserie bereits geplant ist: Die Filmversion des kernigen Szenarios, das für eine cineastische Aufbereitung in der Tradition epischer Gangster-Streifen wie „Heat“ geradezu prädestiniert scheint, steht schon in den Startlöchern. In absehbarer Zukunft soll die Kinofassung mit Sam Worthington („Terminator: Die Erlösung“, „Avatar“) in der Hauptrolle in die Kinos kommen.

Sex und Gewalt: Das Cover des Buches.
Sex und Gewalt: Das Cover des Buches.

© Splitter

Die Tage, da „The Last Days of American Crime“ ein Geheimtipp für findige US-Leser war, die von Alex Maleev’ und Greg Tocchinis fantastischen Heftcovern angezogen wurden, scheinen also nicht nur wegen der überfälligen deutschen Ausgabe gezählt. Zum Glück. Es wäre zwar nicht das erste und auch nicht das letzte Verbrechen an unterschätzten Comics gewesen – aber mit Sicherheit doch verdammt schade um die Geschichte des letzten großen Coups in den Annalen der Vereinigten Staaten.

Remender/Tocchini: The Last Days of American Crime, Splitter-Verlag, aus dem Englischen von Bernd Kronsbein, 172 Seiten, 22,80 Euro, Leseprobe unter diesem Link.

Der Blog unseres Autors Christian Endres findet sich hier: www.christianendres.de.

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