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Kunstvoll: Ben Templesmith verleiht der Geschichte mit seinen Zeichnungen einen ganz eigenen Ton.

© Cross Cult

Vampircomic: Einfach blutig

Vampire ohne „Twilight“-Kitsch: Der jetzt neu aufgelegte Horrorcomic  „30 Days of Night“ zeigt, dass manchmal die simpelste Idee ausreicht, um eine großartige Geschichte zu erzählen.

30 Tage Nacht. Ein Versprechen, das sich für jeden Vampir unwiderstehlich anhören muss. Eingelöst wird es am nördlichsten Punkt Amerikas - in der kleinen Stadt Barrow, Alaska. Einen Monat lang leben die Bewohner der Kleinstadt am Polarkreis in ständiger Dunkelheit. Gefundenes Fressen für einen Vampir, der sich zur nächsten Finsternis mit seiner Sippe dort verabredet. Der Rest ist Kopfkino.

Um seine Filmidee zu verkaufen, ging Autor Steve Niles in Hollywood von Tür zu Tür, doch niemand interessierte sich für den abgedrehten Vampirstoff. Deshalb entschied er sich, einen Comic daraus zu machen. Verrückte Ideen – wie Werwölfe auf dem Mond – haben seit jeher ihren angestammten Platz in diesem Medium. Warum dann nicht den Horror der andauernden Dunkelheit aufs Papier bringen? Gemeinsam mit dem Zeichner Ben Templesmith veröffentlichte Niles „30 Days of Night“ bei dem damals noch unbekannten Comicverlag IDW Publishing.

So kamen die Vampire schließlich doch noch an, und Niles feierte mit dem Comic einen Überraschungserfolg, der dann wiederum die Vorlage für einen Kinofilm abgab. Das Publikum wurde ebenso überrumpelt wie die Einwohner von Barrow. Natürlich hatte man sich auf die Dunkelheit vorbereitet, aber nicht auf Vampire. In feinster Horrormanier wird die Bevölkerung mit einer Gefahr konfrontiert, ohne ihr direkt gegenüberzustehen. Die Bürger verstecken sich, während ihre Kameraden zerfleischt werden. Der Leser wird zum Mittelsmann zwischen Jäger und Gejagten. Nur ihm drückt Zeichner Ben Templesmith die blutigen Fratzen der Vampire ins Gesicht und nur er weiß, was auf die Ahnungslosen zukommt.

Blutige Fratzen: Eine Doppelseite aus dem Buch.
Blutige Fratzen: Eine Doppelseite aus dem Buch.

© Illustration: Ben Templesmith / Cross Cult

Obwohl der grafische Stil sehr an die Collage-Technik von Comic-Altmeister Bill Sienkiewicz („Stray Toasters“, „Elektra: Assassin“) erinnert, gelingt es Templesmith doch, ihn gezielt für seine Zwecke einzusetzen: Zunächst fängt er mit blassen Blau- und Weißtönen die klirrende Kälte Alaskas ein, nur um sie bei Einbruch der Dunkelheit gegen mattschwarze Hintergründe auszutauschen. Auch das Aussehen der Figuren ist durch seinen Zeichenstil stark beeinflusst: Templesmith’ Vampirmäuler sehen aus, als hätte man einem Jungen die feste Spange von den Zähnen gerissen: eine blutige Variante des Joker-Grinsens, die jeglichen „Twilight“-Knutscherei vergessen macht.

Die Genialität der Geschichte liegt in ihrem Purismus begründet. Sie ist simpel und dennoch beeindruckend: Es ist dunkel, es ist kalt. Die Einwohner fürchten sich. Vampire brechen wie eine Naturkatastrophe über sie herein. Wie gebannt schaut man dem Spektakel zu. Weder interessiert es dabei, wer der Anführer der Vampire ist, noch welchen Hobbys Sheriff Olemaun, der Held von Barrow, nachgeht. Eine so simple Story endet bei Sonnenaufgang und sollte auch nicht fortgesetzt werden.

Keine „Twilight“-Knutscherei: Eine Szene aus dem Buch.
Keine „Twilight“-Knutscherei: Eine Szene aus dem Buch.

© Cross Cult

Der zweite Teil der Barrow-Trilogie, „Dunkle Tage“, spielt nicht mehr in Alaska, sondern irgendwo in Amerika. Die Olemaun-Witwe Stella ist inzwischen mit ihrer Schilderung der Ereignisse dieser Nächte auf Buchtournee. Doch statt Signierstunden abzuhalten, sinnt sie auf Rache - mit Handminen und Schusswaffen. Aus dem Horrorstreifen wird ein Steven-Segal-Actionfilm: Das kühle Blau weicht warmen Bernsteinfarben und ein Vampir zeigt seine wahren Gefühle für Stella. Das Schlimmste jedoch sind die Dialoge: „Ich weiss nicht, wie mein Freund hier deine Kommentare findet, aber noch so ein Grufti-Spruch und mir kommt alles hoch.“ „Dunkle Tage“ liest sich wie die Antithese zu „30 Days of Night“.

Die vertraute Dunkelheit stellt sich erst wieder mit der „Rückkehr nach Barrow“ ein. In der Zwischenzeit hat Niles in der Comicserie „Freaks of the Heartland“ gelernt, seinen Figuren zu vertrauen: Er lässt sie glaubwürdig miteinander reden und interagieren. Das färbt auch auf das Finale der Barrow-Trilogie ab: So gibt sich der neue Sheriff durch den obligatorischen Verzehr von Donuts als Gesetzeshüter zu erkennen.

Dunkel: Das Buchcover.
Dunkel: Das Buchcover.

© Cross Cult

Die Bewohner von Barrow sind in der Zwischenzeit zu fanatischen Waffennarren mutiert, auf die selbst die NRA stolz wäre. Ein wildes Feuergefecht zwischen den Bewohnern und bewaffneten Vampiren entbrennt. Und so endet die Barrow-Trilogie nach 380 Seiten genau wie sie begonnen hat – mit einer absurd guten Idee.

Steve Niles und Ben Templesmith: 30 Days of Night , 1: Die Barrow-Trilogie, Cross Cult, 400 Seiten, 35 Euro. Leseprobe unter diesem Link.

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