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Conrad Wiedemann

© Privat

Conrad Wiedemann wird 80: Wiederbeatmer

Anwalt der Berliner Klassik: Der Germanist Conrad Wiedemann wird 80 Jahre alt

Der Begriff hatte das Zeug dazu, Aufsehen zu erregen, zumindest auf dem Feld von Literatur- und Kulturgeschichte. „Berliner Klassik“ hieß die Losung, unter der vor gut eineinhalb Jahrzehnten der Germanist Conrad Wiedemann ein Forschungsprogramm der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften auf den Weg brachte. Das ehrgeizige Unternehmen sollte die fruchtbaren Berliner Jahrzehnte um 1800 in Wissenschaft und Öffentlichkeit als wichtigen Erinnerungsort in der deutschen Kulturgeschichte profilieren. Denn die damalige Blüte von literarischem Leben und Publizistik, von Architektur, Musik und neuem Denken – so Wiedemanns Überzeugung – stelle ein Ereignis dar, das weder den Berlinern noch den Deutschen insgesamt bewusst sei.

Natürlich spielte der Name des Vorhabens mit der Weimarer Klassik, dem Gipfel der deutschen Bildungstradition. Er erhob ja auch nichts Geringeres als den Anspruch auf Partnerschaft im deutschen Geistes-Olymp. Allerdings auf seine, durchaus unterschiedliche Weise, sozusagen als Gegenwelt. Dort der Kleinstaat mit seinem Musenhof, Goethe, Schiller und die Klassik, dazu die Romantiker im nahen Jena, da Berlin als beginnende Großstadt, geprägt durch die Vielfalt seiner Literaten, Baumeister, bildenden Künstler und Intellektuellen – die Kleist, Tieck, Arnim und E.T.A. Hoffmann, die Schadow und Schinkel, die Humboldt, Schleiermacher und Fichte. Die Pointe steckte in der Differenz: Für Wiedemann begründete die Szene, die sich an dieser Zeitenwende in Berlin entwickelte, etwas, was es bis dahin in Deutschland so nicht gegeben hatte: eine moderne Zivilgesellschaft, die diesen Namen verdient.

Beitrag zur Hauptstadt-Werdung

Bis sich Wiedemann der Rekonstruktion dieser Großtadtkultur – halb Fund, halb Erfindung – mit ihren Salons, dem florierenden Theaterwesen und Musikleben zuwendete, hatte er, seit 1988 Professor an der TU Berlin, auf dem weiten Feld der germanistischen Wissenschaft geackert, geforscht, ediert und herausgegeben, vornehmlich zwischen Barock und Aufklärung. Mit dem Projekt Berliner Klassik griff er weiter aus, in die Gesellschaftsgeschichte, die Kultursoziologie, in das Feld der Auseinandersetzungen um eine aufgeklärte Bürgerkultur.

Das ist ein altes deutsches Thema, und Wiedemann sieht in dem urbanen Aufbruchsgeist, der in Berlin um 1800 weht, ein Erbteil, das hochzuhalten, ja eigentlich erst zu entdecken ist. Weshalb er unverdrossen dabei ist, seine Hausgötter, das bürgerlich-deutsch-jüdische Dreigespann Lessing-Mendelssohn-Nicolai, zu denen der Stadt zu machen, und noch vorhandene Traditionsstränge ins Licht zu rücken – etwa die Zeitungsstadt Berlin oder die Sing-Akademie zu Berlin, deren Vorsitz er übernommen hat. Zu welchem Zweck?

Er verstehe seine Arbeit, so hat er einmal formuliert, als „historische Wiederbeatmung der Metropole“. Aber ist nicht das ganze Projekt der „Berliner Klassik“ ein Beitrag zu jener Hauptstadt-Werdung, die wir im letzten Vierteljahrhundert erlebt haben, veranstaltet mit literarischen und kulturhistorischen Mitteln? An diesem Montag wird Conrad Wiedemann 80 Jahre alt.

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