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Bunt gestapelte Stahlträger: Ein Überblick über die Ausstellung im Grand Palais in Paris.

© dpa

Container in der Kunst: Die Welt ist eine Kiste

Container sind der Inbegriff des Welthandels. In Paris richten gleich drei Ausstellungen einen kritischen Blick auf die spröden Wunderkisten.

Als 1993 ein Bolzen aus der eisernen Konstruktion des Pariser Grand Palais herabstürzte und zum Glück niemanden verletzte, war das Erschrecken groß: über den Vorfall als solchen wie über die Vernachlässigung, die dieses Monument französischer Gloire offenkundig erlitten hatte. Nach zwölfjähriger Restaurierung kam der Grand Palais 2005 unter die Fittiche der Vereinigung der Staatlichen Museen Frankreichs, anders ausgedrückt: unter die Aufsicht des Kulturministeriums. Das nahm die Inschrift über dem Gebäude ernst, „Zum Ruhme der französischen Kunst“, und richtete die Ausstellungsreihe „Monumenta“ ein:  Jedes oder jedes zweite Jahr gestaltet ein einzelner Künstler eine Installation, die die 35 Meter hohe und 13 500 Quadratmeter große Halle als Bühne nutzt für den ganz großen Kunstauftritt.

Kunst? Diesmal sieht der Betrachter zunächst nur Container. Sie sind der Inbegriff des heutigen Welthandels. 20 Fuß lang, so der als Maß dienende Standardcontainer, oder verdoppelt als 40-Fuß- Container, bis zu 7-fach aufeinander gestapelt – mehr ist nicht zulässig, um das Gesamtgewicht bei voller Ladung von 215 Tonnen nicht zu überschreiten. Und in der Mitte mehrerer solcher Containertürme steht ein Laufkran, der sie heben und abstellen kann. Huang Yong Ping, der Künstler, hat einen Containerhafen oder -bahnhof in den Grand Palais gestellt. Wäre da nicht dieses riesige, endlose Gerippe eines Fabelwesens, das sich schlangengleich über sämtliche Containerstapel hinweg windet.

„Empires“, „Reiche“, hat Huang Yong Ping seine Installation genannt. Er stammt aus China, wurde 1989 nach Paris zu der bahnbrechenden Ausstellung globaler Künstler eingeladen, „Zauberer der Erde“, und blieb, ein Immigrant wie Millionen. Seither lebt und arbeitet der heute 62-jährige Huang in einem Vorort von Paris und ist mit seinen Vor-Ort-Installationen weltweit präsent.

China wurde in den letzten zehn Jahren von Containern überschwemmt

Huang spielt mit seiner derzeitigen Installation auf China an, das er vor dem rapiden Wirtschaftswunder verließ und nach mehr als einem Jahrzehnt erstmals wieder besuchen konnte: „Ganz China war mit einem Mal von Containern überschwemmt“, hat er dazu bemerkt. Er verließ China im dunklen Jahr des Tian’anmen-Massakers und blieb in Paris, wo seine Kunst erstmals internationale Beachtung fand. 1986 hatte er mit Künstlerkollegen die Gruppe „Xiamen Dada“ gegründet, die mit Aktionen auf öffentlichen Plätzen bei der Obrigkeit aneckte. In der Stadt Xiamen im Süden Chinas ist der 1954 geborene Huang Yong Ping aufgewachsen. Als die Künstlergruppe dort erstmals als „Xiamen Dada“ auftrat, wurde ihre Ausstellung nach zwei Stunden von der Polizei geschlossen.

Im Grand Palais soll das 254 Meter lange Schlangengerippe aus Aluminium die Macht des „Empires“ ebenso versinnbildlichen wie ein gigantischer Zweispitz, modelliert nach der bekannten Kopfbedeckung des selbsternannten Kaisers Napoleon. Vielleicht ein bisschen viel der Anspielungen. So ist nun, meint Huang, aus dem ewigen Auf und Ab der Weltreiche das des Handels hervorgegangen, symbolisiert durch die allgegenwärtigen Container, das Transportmittel der Globalisierung.

Die in diesen Tagen naheliegende Interpretation des Containers hat Huang jedoch ausgelassen: die der Übergangsbehausung des Wohncontainers. Vor dem „Museum der Immigration“, das 2007 am östlichen Rand der Pariser Innenstadt im früheren Kolonialmuseum eröffnet wurde, steht demonstrativ ein Container – einzeln und doch ebenso eindrucksvoll wie Huangs Riesenwerk im Grand Palais. Denn das ist ein Container, wie ihn Asylsuchende, in Frankreich „Sans-papiers“ genannt, Menschen ohne gültige Pässe, zum illegalen Grenzübertritt benutzen und zum notdürftigen Aufenthalt. Die Fotos aus dem nordfranzösischen Küstenstädtchen Sangatte bei Calais, wo Tausende in einem Flüchtlingslager, „Dschungel“ genannt, auf die Überfahrt nach Großbritannien hoffen, gingen um die Welt. Der Container ist zum Symbol für Notunterkünfte wie für illegale Einreise geworden, versuchen doch Flüchtlinge immer wieder, sich in Containern zu verstecken, die auf die Fähren nach England verladen werden.

Rund ein Viertel aller Franzosen entstammt Einwandererfamilien

In den Ausstellungsräumen des Einwanderungs-Museums wird dieses Kapitel dargestellt, ebenso wie im Architekturmuseum im Westen der Stadt in Sichtweite des Eiffel-Turms. „Im Lager leben“, heißt die neue Ausstellung, die alle Formen von Lagern und temporären Unterkünften vorstellt, von solchen nomadischer Völker bis zu den Ferienkolonien der Campingplätze. Aber eben auch die Containerbehausungen von Sangatte und anderen Flüchtlingslagern.

In Paris zählen „Sans-papiers“ zum Straßenbild. Immer wieder gab und gibt es Zeltlager auf Brachflächen, unter Autobahnbrücken oder in Parks, die alsbald von der Polizei geräumt werden – nur um an anderer Stelle erneut zu entstehen. Rund ein Viertel der 64 Millionen französischer Staatsbürger entstammt Einwandererfamilien, in erster oder weiterer Generation. Huang Yong Ping ist einer von ihnen, der in Frankreich Fuß gefasst hat. 1999 vertrat er sein selbstgewähltes Heimatland bei der Kunst-Biennale von Venedig.

Für die diesjährige Bespielung des Grand Palais ausgewählt hat ihn die seinerzeitige Kulturministerin Aurélie Filippetti, die selbst einer Familie italienischer Einwanderer entstammt; ihr Vater arbeitete als Bergmann in Lothringen. Filippetti, die ihr Amt nach zwei Jahren 2014 wieder verlor, begründete ihre Wahl von Huang allerdings nicht mit dessen Biografie als Immigrant. Sondern ganz allgemein mit dem von ihr so beschriebenen „Resultat“ ihrer Kulturpolitik: „Frankreich ist zurückgekehrt in die erste Reihe der zeitgenössischen Kunst“. Ganz im Sinne des Mottos, das 1900 in das steinerne Portal des Grand Palais gemeißelt wurde.

Paris, Grand Palais, noch bis 18. Juni. Katalog 13,50 €.

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